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(Acht Tage nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hielt ich im Bundestag diese Rede als Staatsminister im Auswärtigen Amt. Die Militärische Intervention von USA/Nato in Afghanistan hatte noch nicht begonnen, zeichnete sich aber im Hintergrund bereits ab. Die Bundesregierung hoffte noch auf eine nicht-militärische Antwort der USA, sah sich aber in der Solidaritätspflicht. Plenarprotokoll 14/187)

 

Der Terrorangriff auf die USA hat großes menschliches Leid gebracht. Er hat ein Nervenzentrum der westlichen Welt zerstört. Er hat eine aufregende multikulturelle Stadt verwüstet. Er hat aber noch ein Weiteres bewirkt: Er hat das festgefügte Weltbild ins Wanken gebracht, das manch einer mit den dominant wirkenden USA verband. Der Schock in der amerikanischen Gesellschaft über den Verlust der vermeintlichen Unverwundbarkeit geht mit der verstörten Einsicht bei uns einher, dass die Garantiemacht für unsere Sicherheit nun Opfer geworden ist. 50 Jahre lang haben die USA geholfen, in Europa Sicherheit, Freiheit und Demokratie zu sichern. Deshalb ist es jetzt, in dieser schweren, schicksalshaften Stunde, an uns Europäern, den USA beizustehen. Wir werden dies, wie es Bundeskanzler Gerhard Schröder erneut betont hat, mit aller Entschlossenheit tun, aber auch mit der nötigen Besonnenheit, mit Augenmaß und mit dem Blick auf die Folgen unseres Handelns.

Wir bewundern eine amerikanische Haltung, die Trauer und Wut zwar in starke Worte kleidet, jedoch ohne übereilte Aktionen versucht, gemeinsam mit den Partnern einen vernunftgesteuerten Plan zu entwickeln, wie die neue, erschreckende Dimension des Terrorismus bekämpft werden kann, ohne die Falschen zu treffen, ohne potenzielle Freunde zu Gegnern zu machen, ohne den gezielten Kampf gegen Verbrecherorganisationen in einen allgemeinen Kampf der Kulturen münden zu lassen. Außenminister Fischer ist heute in Washington, um unseren amerikanischen Freunden erneut unsere Solidarität zu versichern und mit ihnen das weitere Vorgehen abzustimmen.

Die NATO hat mit ihrem Beschluss vom 12. September ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Vereinigten Staaten gesetzt. Die nordatlantische Allianz ist kein Schönwetterbündnis. Gegen menschenverachtende Mörder, die ohne Hemmungen die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens zerstören wollen, muss das Bündnis gemeinsam auftreten. Wir als Verbündete des angegriffenen Partners haben nicht nur das moralische Recht, sondern auch die moralische und politische Verpflichtung, unseren Beitrag zur Verteidigung zu leisten und die Täter, Organisatoren und Sponsoren terroristischer Akte zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Verpflichtung wird ausdrücklich auch in der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 12. September 2001 formuliert, in der der Angriff auf die USA als Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit bewertet wird.

Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus wird schwierig und langwierig sein. Täter, Mithelfer und Anstifter müssen bestraft werden. Tun wir das nicht, dann wird dies nur zu einer weiteren Eskalation einladen. Soll die Gefährdung aber nicht binnen kurzer Zeit in anderer Gestalt wieder erstehen, muss die gesamte internationale Gemeinschaft in einer konzertierten Aktion, in einer weltweiten Koalition, handeln. Es steht nicht Kultur gegen Kultur, sondern Zivilisation gegen Barbarei.

Aus vielen Ländern kommen dazu ermutigende Signale: aus Russland, aus China, aus Pakistan und aus Indien. Die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan haben ihre uneingeschränkte Unterstützung zugesagt. Es bildet sich eine regionale Koalition, die zum einen dem Terror entschlossen entgegentreten will und zum anderen verhindern möchte, dass das afghanische Talibanregime die gesamte Region destabilisiert. Ägypten hat eine internationale Terrorismuskonferenz vorgeschlagen; die EU wird am Freitag einen Sonderrat zur Terrorismusbekämpfung einberufen.

Fast die gesamte arabisch-islamische Welt, das scheint mir entscheidend zu sein, hat die Terroranschläge schärfstens verurteilt. Auch sie hat wie wir teure Angehörige in den Trümmern des World Trade Centers verloren. Nicht wenige arabische Staaten haben selbst sehr schmerzvolle Erfahrungen mit dem Terrorismus gemacht. Wenn die Spuren der Täter in die arabisch-islamische Welt weisen, so soll dies Anlass sein, die arabischen Staaten in der internationalen Allianz zur Bekämpfung dieser Geißel der Menschheit willkommen zu heißen.

Dieser Kampf wird umso effektiver sein, je mehr sich der Dialog der Kulturen vertieft. Wenn aber der Kulturdialog ein unabdingbarer außenpolitischer Faktor ist, dann muss er auch ein innenpolitischer sein und bleiben. Es war eine großartige Geste, dass Präsident Bush in einer Washingtoner Moschee zu Toleranz gegenüber den Moslems aufgerufen hat. Auch in Deutschland sollten wir auf unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zugehen und ihnen zeigen, dass wir den Unterschied zwischen Islam und Islamismus sehr genau begriffen haben.

Ein weiterer Faktor für die Bekämpfung des islamistischen Terrors sind rasche und sichtbare Erfolge im israelisch-palästinensischen Friedensprozess. Jede weitere Eskalation im Nahen Osten würde die extremistischen Kräfte in der gesamten islamischen Welt fördern. Die Bundesregierung begrüßt daher die gestrige Erklärung von Präsident Arafat als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten. Es ist eine strategische Entscheidung der Palästinenser, sich unmissverständlich auf die Seite der Antiterrorkoalition zu stellen und dazu beizutragen, dass die internationalen Netzwerke des Todes zerstört werden können. Wir hoffen, dass Präsident Arafat die Kraft hat, sich in dieser Stunde null der internationalen Politik mit seinem Bekenntnis zum Waffenstillstand und zum Neuanfang gegen interne Widersacher, die heute Nacht wieder gezündelt haben, zu behaupten, und dass er von israelischer Seite die entsprechende Resonanz erhält. Die Bundesregierung und insbesondere Bundesaußenminister Fischer haben sich in den letzten Monaten engagiert und fortlaufend um eine Wiederbelebung des Friedensprozesses bemüht. Der Außenminister hatte sich auch mit Präsident Arafat mehrfach kurzgeschlossen und die gestrige Erklärung eng mit ihm abgestimmt. Wir werden dieses Engagement fortsetzen. Wir werden weiterhin daran arbeiten, dass die Israelis und die Palästinenser Gespräche aufnehmen, und zwar wie es der Mitchellplan vorsieht: ohne jede Vorbedingung.

Auch die pakistanische Seite hat die Terroranschläge schnell und entschieden verurteilt. Dieser Schritt war in der gegenwärtigen schwierigen und aufgeheizten Lage alles andere als einfach. Präsident Musharraf hat sich klar zu Unterstützungsersuchen der USA bekannt. Seine Regierung ist bemüht, einen breiten nationalen Konsens für einen konstruktiven Kurs zu finden. Sie bedarf unserer Unterstützung, damit nicht über innere Destabilisierung islamistisch-fundamentalistische Gruppen die Verfügungsmacht über das pakistanische Atomwaffenpotenzial  erhalten.

Wenn militärische Aktionen gegen die Beherrscher Afghanistans gerechtfertigt und unvermeidlich sein sollten, stellt sich die Frage, mit welchem Ziel sie geführt werden sollen. Wenn sie unvermeidlich sind, dürfen sie nicht die Voraussetzung dafür zerstören, dass auch Afghanistan Selbst die Chance auf eine Zukunft, die Chance auf eine aufgeklärte Regierungsführung, die Chance auf die Bewältigung des Armuts- und Flüchtlingsproblems, die Chance auf Modernisierung und Demokratie hat.

Viele Menschen sind verunsichert, gerade auch Mitglieder und Anhänger meiner Partei, aber auch die anderer Parteien. Sie haben Angst, auf eine schiefe Bahn zu geraten, auf der die Politik in unaufhaltsame militärische Eskalation abrutscht. Viele sehen sich vor der Gewissensfrage, eventuell dem Einsatz militärischer Mittel zustimmen zu müssen. Sie sehen sich damit einer Situation ausgesetzt, die sie durch präventive Sicherheitspolitik hatten verhindern wollen. Solche Bedenken sind ernst zu nehmen. Wenn man diese Menschen dafür gewinnen will, militärische Aktionen auch gegen große innere Zweifel zu tolerieren, müssen deren Dimensionen überschaubar sein und muss ein Ende absehbar sein. Es muss deutlich sein, dass die absolute Priorität bei politischen Maßnahmen liegt.

Auch deshalb möchte ich sagen: Der 11. September 2001 hat die Welt von Grund auf verändert. Vieles, was über den Tag hinausweist, wird grundsätzlich neu zu beraten sein. Wir werden eine neue  Sicherheitspolitik entwerfen müssen, die dem Terrorismus als Bedrohung Nummer eins begegnen kann. Diese wird nicht in erster Linie militärisch ausgerichtet sein. Eine umfassende Politik der Krisenprävention muss darauf abzielen, dem Terror mit den Mitteln einer internationalen Strukturpolitik den sozialen Resonanzboden zu entziehen. Vieles übrigens, was in der Globalisierungsdebatte der letzten Monate von Kritikern vorgetragen wurde, sollte ernsthaft bedacht werden. Auch wenn keine noch so ungerechte Struktur Terror rechtfertigen kann, müssen wir realistischerweise sehen, dass ein Mehr an Gerechtigkeit in der Welt ein Mehr an Fairness bei der Lösung von Regionalkonflikten, ein Mehr an Dialogen auf Augenhöhe auch mit den kleineren und ärmeren Staaten, ein Mehr an Sicherheit für uns bedeuten wird.

Lassen Sie mich abschließend noch sagen: Das Zusammenstehen in dieser schicksalhaften Stunde macht uns bewusst, dass unsere transatlantischen Gemeinsamkeiten essenziell sind,  Meinungsverschiedenheiten in einzelnen Fragen, die uns in der letzten Zeit viel beschäftigt haben, dagegen geringfügig. Bei aller furchtbaren Tragik der Ereignisse liegt darin sogar eine Chance für eine erneuerte transatlantische Partnerschaft, die Chance für einen intensivierten Dialog gerade auch der jüngeren Generation diesseits und jenseits des Atlantiks, die den Weltkrieg, die Nachkriegszeit und den Kalten Krieg nicht oder nicht bewusst erlebt hat. Die Bekämpfung von Barbarei wird von nun an die gemeinsame Agenda von Amerikanern und Europäern mitbestimmen und andere einbeziehen, die am Prozess der Zivilisation mitarbeiten wollen.