Abgeordneter im Deutschen Bundestag
1983 – 1990
Die Grünen Nordrhein-Westfalen nominierten mich für die Landesliste zur Bundestagswahl am 6. März 1983 und beschlossen zugleich die „Rotation“. Die gewählten Abgeordneten sollten zur Hälfte der Wahlperiode „Nachrückern“ Platz machen. Mein Listenplatz reichte, um als Teil der zweiten Crew mit internem Stimmrecht beim Aufbau der neuen Bundestagsfraktion mitwirken zu können. Hier machte ich mich als politischer Koordinator des außen- und friedenspolitischen Arbeitskreises und Mitglied im erweiterten Fraktionsvorstand nützlich. Am 10. April 1985 wurde ich Abgeordneter und in den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Entwicklungspolitik), in den Finanzausschuss sowie als Stellvertreter in den Auswärtigen Ausschuss entsandt.
Die Arbeitsbelastung ließ keine Zeit mehr für die halbfertige Doktorarbeit. Diese befasste sich, nun an der philosophischen Fakultat in Gießen, mit der Theorie sozialer Bewegungen. Vor die Wahl zwischen Theorie und Praxis gestellt, entschied ich mich für die Letztere und brach die Promotion ordentlich ab.
Am 31. Januar 1986 wählte mich die Fraktion zu einem der drei Vorsitzenden („Sprecher“), übrigens dem bis dahin jüngsten in der Geschichte des Bundestages. Der Job war nicht ganz leicht. Manche „Rausrücker“ aus der ersten Crew haderten, auch unterstützt durch eine Öffentlichkeit, die kaum ein gutes Haar an den Grünen ließ, gleichwohl aber nicht auf die „bekannten Gesichter“ verzichten wollte. Am 18. Juli 1986 legte ich das Amt nieder, weil die NRW-Grünen mich für die Bundestagswahl am 25. Januar 1987 auf einen unsicheren Listenplatz gesetzt hatten. Mit solch zweifelhaftem Rückhalt konnte ich eine Führungsrolle im Wahljahr nicht ausfüllen. Doch der Platz reichte wider Erwarten, ich wurde gewählt und nahm meine Ausschusssitze wieder ein. Bei der Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 war wegen des „Rotationsprinzips“ allerdings Schluss.
Lateinamerika, Afrika, Asien
Inhaltlich übernahm ich von meiner „Vorgängerin“ die Lateinamerikapolitik. Im Mittelpunkt standen die Befreiungs-, Emanzipations- und Friedensprozesse in Nicaragua, El Salvador und Chile. Meine Leitidee unterschied sich dabei etwas vom Mainstream der deutschen „Soli-Bewegung“. Ich ergriff dieselbe Partei, setzte aber nicht auf „Sieg im bewaffneten Kampf“, sondern auf einen – auch durch ausländische Einmischung erwirkten – sozial gerechten Frieden. Neben Lateinamerika waren auch die Subsahara-Länder und Südostasien in meinem Fokus und, nicht zu vergessen, die Regenwälder Amazoniens und Borneos, die damals schon riesigen Staudammprojekten und Palmölplantagen weichen mussten. Als Mitglied der ersten offiziellen Bundestags-Delegationen nach China (1985), Cuba (1986) und Vietnam (1987) konnte ich nicht nur blockübergreifende Entspannungspolitik unterstützen, sondern auch ein Gefühl für Transformationsstaaten entwickeln, das mir später als Staatsminister zugutekam.
Besetzung Deutsche Botschaft Südafrika
1986 besetzen acht führende Grüne für 48 Stunden die Deutsche Botschaft in Pretoria, Südafrika, aus Protest gegen das Apartheid-System und die Indifferenz der konservativen Bundesregierung.
Weltwirtschaft, Ökologie, Entwicklung
Beginn der Globalisierungskritik
Als wichtigstes Ziel aber setzte ich mir die Neudefinition der Entwicklungspolitik. Statt klassischer Hilfsprojekte bevorzugte ich einen weltwirtschaftskritischen Ansatz, der die Handelsbeziehungen zwischen Nord und Süd sowie die internationale Schuldenkrise ins Zentrum rückte. So initiierte ich mit Gleichgesinnten 1985 in Bonn den ersten „Gegengipfel“ samt Großdemonstration gegen den sogenannten „Weltwirtschaftsgipfel“ und provozierte entsprechende Debatten im Bundestag. Dieser entsandte fortan eine eigene Delegation zu den jährlichen „Weltfinanzgipfeln“ von IWF und Weltbank, der ich angehörte. Ein rasch anwachsendes Bündnis von Grünen und Nicht-Regierungsorganisationen, das ich samt Mitarbeitern initiierte und mitstrukturierte, organisierte in den Folgejahren eine weltwirtschaftskritische Kampagne, die zur Jahrestagung von IWF und Weltbank im Herbst 1988 in West-Berlin kulminierte: ein international hochrangig besetzter und weltweit beachteter „Gegenkongress“, eine Großdemonstration, ein „Tribunal der Völker“ und zahlreiche dezentrale Aktionen brachten die globale Ungerechtigkeit endlich ins öffentliche Bewusstsein. Die globale Umweltzerstörung und der beginnende Klimawandel spielten eine wesentliche Rolle.
Im Anschluss betrieb ich als Fraktions-Sprecher für Weltwirtschaftsfragen federführend die Erarbeitung der Programmschrift „Auf dem Weg zu einer ökologisch-solidarischen Weltwirtschaft“, die später auf dem amerikanischen Markt als Buch unter dem Titel „Ecological Economics“ erschien. Mit der Kampagne und der ganzheitlichen Sicht auf globale Probleme gelang es, bis dahin nebeneinander agierende Bewegungen wie Dritte-Welt-, Umwelt- und Friedensgruppen zu einer einheitlichen Bewegung zu verbinden. Zahlreiche Positionen, für die wir in den 1980er Jahren standen, wurden später von „Globalisierungskritikern“ weiterentwickelt; an der Gründung von Initiativen wie WEED (World Economy Ecology and Development) und attac waren wir aktiv beteiligt. Später folgte Occupy. Die ganzheitliche Sicht auf globale Fragen begann sich zu verbreiten. Doch bald verblassten viele dieser Initiativen im Schatten der Deutschen Einheit. Die Euphorie über den Zusammenbruch des Ostblocks ließ Kritik an den offensichtlichen Schwachpunkten des vermeintlich siegreichen Kapitalismus in den Hintergrund treten. In einer Rede im Bundestag hielt ich dagegen:
Der Kapitalismus hat die Systemkonkurrenz gewonnen, aber er ist nicht die Lösung für die Menschheit.
1994 – 2005
Am 16. Oktober 1994 schafften Bündnis 90/Die Grünen das Comeback in den Bundestag, ich wurde als Spitzenkandidat in NRW gewählt und nahm einen Platz im Auswärtigen Ausschuss und eine Stellvertretung im Entwicklungs-, sowie Finanzausschuss ein, später auch im Verteidigungsausschuss. Als Parteivorsitzender hatte ich den Wahlerfolg zwar maßgeblich mitorganisiert, in der Fraktion gab es für mich wegen diverser Quoten und Proporze dennoch keine Führungsposition.
Allerdings markierte ich eine Art Kontrapunkt zum tendenziell neoliberalen, auf die politische Mitte zielenden Kurs, den der Fraktionsvorstand einschlug. Vor allem in der Wirtschafts- und Friedenspolitik. So wurde die internationale Politik wieder mein Hauptarbeitsfeld. Dazu gehörte die deutsche Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, wo ich die grün-alternative Gruppierung gründete, deren Vorsitz ich übernahm. Zudem wurde ich stellvertretender Vorsitzender der deutsch-amerikanischen und der deutsch-russischen Parlamentariergruppe. Die Bundestagswahl am 27. September 1998 bescherte mir erneut als NRW-Spitzenkandidat ein Mandat und darüber hinaus das Amt des Staatsministers im Auswärtigen Amt. Zur Bundestagswahl am 22. September 2002 erklärte ich den Verzicht auf eine zweite Amtszeit als Staatsminister und übernahm in der Fraktion die Rolle des außenpolitischen Sprechers. Nachdem ich Bundeskanzler Gerhard Schröder bei seiner Vertrauensfrage gegen seinen Willen das Vertrauen ausgesprochen hatte, verzichtete ich, entsetzt über „meine“ NRW-Grünen, auf eine erneute Kandidatur bei der anstehenden Neuwahl und schied am 18. September 2005 aus dem Bundestag aus.
Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung
Mein Hauptthema nach dem Comeback im Bundestag war die Suche nach zivilen Alternativen zur militärgestützten Außen- und Sicherheitspolitik. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes und angesichts neuer Bedrohungen machte ich mich dafür stark, auf der Basis eines erweiterten Sicherheitsbegriffs Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung zu Leitideen einer modernen deutschen und europäischen Sicherheitspolitik zu machen. Die in dieser Zeit erarbeiteten Ansätze flossen später in die rot-grüne Koalition ein und wurden von dort in die europäischen Gremien getragen. „Was bleibt vom Pazifismus“ lautete meine öffentliche Frage nach 9/11 angesichts anschwellenden Kriegsgeschreis und löste bei Veteranen der Friedensbewegung Empörung aus. Später begriffen sie, dass ich nur einen abstrakten Gesinnungspazifismus in Frage stellte, der meines Erachtens zu oft Konflikte ausblendete, um sein eigenes Weltbild zu retten. Stattdessen versuchte ich, Umrisse eines verantwortungsethischen politischen Pazifismus zu entwerfen: Dieser sollte versuchen, handlungsmächtige Instrumente und Strategien an die Stelle der militärischen zu setzen, ohne aber – unter dem Primat des Zivilen – militärische Komponenten kategorisch auszuschließen. Ausschnitte aus meinen Essays fanden später Eingang in universitäre Lehrmaterialien und sogar Schulbücher.
Krieg und Frieden
Vor diesem Hintergrund stand ich militärischen Einsätzen von Nato-Staaten im zerfallenden Jugoslawien ablehnend gegenüber, nicht aber einem „robusten Einsatz“ der UNO. Wegen nationaler Eigeninteressen der Europäer fand Krisenprävention nicht statt, zivile Strategien waren umstritten. Oftmals setzte ich dazu in grünen Gremien Positionspapiere durch, für manche Linke zu kompromisslerisch, für Realos oft zu pazifistisch. Bei der Bundestagsentscheidung zum Militäreinsatz im Kosovo hielt ich für die Hälfte der zutiefst uneinigen Fraktion im Oktober 1998 die einzige Gegenrede. Der Krieg kam trotzdem. Meine Initiativen dazu finden sich im Text zu meiner Zeit als Staatsminister, ebenso wie die Haltung zum Terrorismus von 9/11 und den Afghanistaneinsätzen.
Noch als Staatsminister sprach ich mich bereits im Januar 2002 entschieden gegen eine deutsche Beteiligung an einem eventuellen Irak-Krieg aus. Diese erste öffentliche Stellungnahme für Rot-Grün wirkte nach innen durchaus orientierend. Im Bundestag warnte ich später eindrücklich vor den amerikanischen Fehleinschätzungen und deren Konsequenzen. Hier waren fast alle Grünen einig und trugen den Protest auch auf die Straße. Die meisten Medien standen wie die CDU/FDP-Opposition auf der Gegenseite, heizten die Stimmung an und brandmarkten die rot-grünen Kriegsdienstverweigerer als Verräter westlicher Werte und deutscher Interessen. Das Ergebnis ist bekannt. Entschuldigt hat sich bei uns niemand.
Schlaglichter
Erläuterungen, Details und persönliche Essays zu Einzel-Themen aus der Zeit als Abgeordneter
Im Jahre 2002 versuchten Medien, mich in die sogenannte Bonusmeilen-Affäre hinein zu ziehen. Einige Abgeordnete hatten, auf politischen Flugreisen erworbene Bonusmeilen privat genutzt, wie ein FDP-naher Lufthansa-Angestellter geleakt hatte. Was in der Wirtschaft völlig normal war, wurde in der Politik zum Skandal. Ich konnte jedoch nachweisen, dass meine damalige Frau Bonusmeilen für notwendige ehrenamtliche Tätigkeiten während des Regierungsumzugs von Bonn nach Berlin genutzt hatte. Das war die mit der Zentralabteilung des Auswärtigen Amtes abgesprochene unbürokratischste und kostengünstigste Lösung. Hinzu kamen Bonn-Berlin-Flüge auf Einladung des Bundespräsidenten, der bei Staatsbanketts Ersatz für seine schwer erkrankte Frau suchte. Für meinen Sohn, der mich mangels Kinderbetreuung einmal auf einer Inlandsreise begleiten musste, hatte ich privat erworbene Meilen eingesetzt.
Doch die Fakten spielten für die Öffentlichkeit keine Rolle. Auch die selbsternannten „Qualitätsmedien“ waren sich nicht zu fein, unter dem Vorwand der Pressefreiheit falsche und verleumderische Anklagen in schrillen Schlagzeilen (getarnt durch ein Fragezeichen) hinaus zu schreien und die Widerlegung im Kleingedruckten zu bringen, wenn überhaupt. Solche Kampagnen schaden den Betroffenen immer, aber sie fördern den Umsatz und leider auch den Politikverdruss.
Am 11. Februar 2005 legte ich im Zuge der sogenannten Visa-Affäre auf Druck der grünen Landesspitze NRW, die sich im Landtagswahlkampf befand und es mit der Angst zu tun bekam, meinen Sitz im Auswärtigen Ausschuss und die Funktion des außenpolitischen Sprechers nieder. Was war geschehen? Eine von CSU-Rechtsaußen losgetretene Medienkampagne hatte einen Zusammenhang zwischen der Visa-Vergabe des Auswärtigen Amtes und meiner geringfügigen privatwirtschaftlichen Tätigkeit als Berater konstruiert. Kurz: Ich hätte als Staatsminister Visa-Vergaberichtlinien rechtswidrig aufgeweicht, um illegal massenhaft kriminelle Ausländer ins Land zu schleusen und dafür später einen Beratervertrag einer begünstigten Firma erhalten. Obwohl diese aberwitzige Konstruktion leicht hätte widerlegt werden können, zwang das Trommelfeuer der Falschmeldungen die Grünen in NRW in die Knie. Die politische Führung dort begriff nicht die bundespolitische Gefechtslage und legte mir feigerweise Rücktritte nahe. So trat ich zurück, um der Kampagne die Spitze nehmen, was Medien wiederum als Schuldeingeständnis werteten. Mein Schritt nutzte also nichts. Es gab zu viele Interessenten, die Rot-Grün als Politikmodell für Deutschland kaputt machen wollten.
Am 21. April 2005 wurde ich in der ersten öffentlichen Anhörung eines Bundestags-Untersuchungsausschusses fast zehn Stunden lang zur Visa-Politik befragt. Der Abschlussbericht kommt zu dem Ergebnis, daß die von mir mitinitiierte Visa-Politik nicht ursächlich verantwortlich war für den tatsächlich existierenden Visa-Missbrauch, sondern zwei Erlasse der Vorgängerregierung. Ausdrücklich wurde ich von jeder Schuld freigesprochen. Selbst das abweichende Minderheitsvotum der Opposition wiederholte keinen persönlichen Vorwurf gegen mich. (Zu dem Thema findet sich unter „Texte & Kontexte“ ein gesonderter Essay.)
Trotz „Freispruchs“ auf ganzer Linie lehnten die NRW-Grünen ein erneutes Spitzentreffen zu meiner Rehabilitierung ab. Mitstreiter, die nicht zuletzt durch meine Parteiarbeit zu Amt und Mandat gekommen waren, fielen mir in den Rücken, als es auf ihre Solidarität ankam. Mein Sturz mithilfe einer Kampagne von rechts löste den Beförderungsstau. Meine Nachfolgerin im Auswärtigen Amt versagte nicht nur jegliche Hilfe bei der Vorbereitung für den Untersuchungsausschuss, sondern hatte bereits meine Handakten zu den Vorgängen, die ich dringend gebraucht hätte, aufgelöst. Nur dank eines „Whistleblowers“ kam ich an die für meine Verteidigung benötigten Unterlagen aus dem Auswärtigen Amt.
Pikanterie am Rande: Einer der drei Hauptankläger im Untersuchungsausschuss, die mir mit viel Fantasie korruptes Verhalten nachweisen wollten, wurde später Präsident des Deutschen Fußballbundes und musste nach wenigen Monaten wieder zurücktreten – wegen Korruption.
Meine Zeugenaussage ist auf YouTube als Videoaufzeichnung verfügbar.
Die „Grüne Tulpe“ war wohl das utopischste Projekt der Grünen. Sie wollte nachweisen, dass auch Müslis und Körnerfresser, die nicht beim Bund gedient, sondern sich bei Latschdemos die Füße platt getreten hatten, bereit und in der Lage waren, Gras zu fressen und durch Schlamm zu robben. Alle überkommenen Regeln, Strategien, Taktiken wurden radikal hinterfragt. Professioneller Kommerz, wie er in der Hochphase der zweiten Rekonstruktionsperiode des Spätkapitalismus im Fußball Einzug gehalten hatte, sollte der alternativen Selbstverwirklichung weichen. Die Mannschaft sollte nicht mehr als verschwitzter Männerbund auftreten, sondern als verschwitzter Männer- und Frauenbund, als geschlechtsunspezifischer Haufen, in dem jeder Bewegungsablauf/jede Bewegungsabläufin diskriminierungslos seinen/ihren selbstverständlichen Platz fand.
Hintergrund:
Historiker der Universität Cambridge (UK), die an einer Forschungsarbeit zu den Ursprüngen der Kampagne für globale Gerechtigkeit in den 1980er Jahren arbeiten, stießen in diesem Zusammenhang auf meinen Namen und kontaktierten mich mit der Bitte um weitere Informationen zu meiner Rolle. Das Ergebnis war eine Chronologie der Ereignisse, an denen ich beteiligt war. Diese kann hier als PDF heruntergeladen werden.
Man hatte es kommen sehen, die Ereignisse spitzten sich seit Monaten zu. Für mich waren es Nachrichten aus einer Welt, die in der Ferne verschwand – der Welt der Politik. Denn aus ihr hatte ich mich innerlich zu verabschieden begonnen, gezwungenermaßen. Noch ein Jahr zuvor steckte ich als MdB mittendrin im Berliner Getümmel. Oktober ´88: Weltfinanzgipfel im Internationalen Kongresszentrum ICC West-Berlin. Dagegen: ein international stark beachteter „Gegenkongress“ in der Technischen Universität, ein „Tribunal der Völker“, Siebzigtausend auf West-Berlins Straßen – die IWF/Weltbank-Kampagne, die erste globalisierungskritische Bewegung. Das alles hatte ich an vorderster Front mitorganisiert. Kontakte zu Unseresgleichen in Berlin-Ost liefen noch konspirativ. Seit Mitte der 1970er Jahre hatte ich Brieffreunde am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, die ich einmal im Jahr besuchte, bis wir Grünen 1984 Einreiseverbot in die DDR erhielten. Jetzt tat sich etwas dort drüben. Das war zu spüren. Aber die Eruption, die Revolution war noch nicht zu ahnen.
Egal, meine Zeit als Politiker lief ab im Herbst ´89. Die grüne Rotationsregel verbot eine erneute Kandidatur für den Bundestag Ende 1990. Ich begann umzuschulen auf Hausmann, Vater und Gelegenheitsphilosoph. Meine Themen waren Maxi Cosi, Tagesmütter und dioxinfreies Karottenmus. Mein Sohn war knapp vier Monate alt, als ich am 9.11. mit ihm in Bonn vor dem Fernseher saß. Ihm wird das Geschehen ähnlich äußerlich geblieben sein wie mir. Er war noch nicht „in“, ich war fast „out“. Deutschland – das sollten andere regeln! Ich war für die „Dritte Welt“ und globale Gerechtigkeit zuständig gewesen und nun für das Gedeihen des Geschöpfes, das im indischen Tragetuch auf meinem Schoß lag und andere Probleme hatte, als Mauern einzureißen. Dass meine biografische Wende mit der historischen zusammenfiel, gab einen gewissen Trost.
Dann kam alles ganz anders: Die Mauer war weg, die Grünen hatten keinen Plan und flogen aus dem Bundestag – alle, nicht nur die Rotationsopfer. Kein Grüner-West trat an meine Stelle. Auch nicht meine Lebensgefährtin, die Spitzenkandidatin in NRW war. Journalistenfragen nach dem Warum des Scheiterns – sie wurden nicht an die Neuen gerichtet, die es nicht gab, sondern an die alten. Plötzlich war ich wieder wer, eine politische Gestalt, einer der Helden des Untergangs. Wie geht’s weiter? Die Grünen meinten, mit meinen Antworten darauf müsste ich neuer Vorsitzender werden. So geschah’s. Und auf einmal war ich verantwortlich für einen Ausschnitt deutscher Einheit, für die Fusion der Grünen mit Bündnis 90, war letzter Vorsitzender der Grünen und erster der gesamtdeutschen Partei und durfte das Comeback in den Bundestag mitorganisieren, auch meins.
Der Fall der Mauer, die Einheit – sie haben mir ein Leben in der Politik erhalten, ohne sie wäre ich 1990 von der Bildfläche verschwunden. Meine ganz persönliche tiefere Ironie …