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(Am 12. November 2001 hielt ich als aus dem Ruhrgebiet stammender Staatsminister diese Rede vor dem „Politischen Forum Ruhr“ zur Außenpolitik der 1998 ins Amt gekommenen Rot-Grünen Bundesregierung.)

 

Als wir uns auf das Thema „neue deutsche Außenpolitik“ einigten, konnte niemand ahnen, welch dramatische Ereignisse uns erschüttern würden. Der 11. September 2001 – seine Auswirkungen auf die internationale Politik können nicht groß genug eingeschätzt werden. Dieses Datum bezeichnet eine Stunde null der Außenpolitik, eine Zeitenwende, vergleichbar mit dem Ende des Weltkrieges oder dem Fall der Mauer. Eine neue, in ihren Ausmaßen noch undeutliche Bedrohung verlangt von uns neue Politiken und neue innere Einstellungen. Doch es kommt darauf an, in dem Ungewissen nicht nur sorgenvoll eine Bedrohung zu sehen, sondern auch eine Chance für eine neue Weltordnung zu erkennen.

Die Frage nach den Konsequenzen aus den Terroranschlägen in New York und Washington möchte ich dennoch ans Ende meiner Ausführungen stellen. Denn die ursprüngliche Themenstellung birgt – wie ich hoffe deutlich machen zu können – zugleich viele Elemente einer Antwort auf die aktuellen Zeitfragen.

Die dramatischen Ereignisse dieser Wochen und die Erwartungen, die an die deutsche Außenpolitik gestellt werden, stehen dabei in einem merkwürdigen Gegensatz zu dem öffentlichen Bild, mit dem Außenpolitiker zu kämpfen haben. Diplomaten sitzen ständig Sektglas schwenkend in ihren viel zu großen Swimmingpools, schlagen sich bei Galadinners den Bauch voll, tun nichts und sind ständiges Ärgernis für Bundesrechnungshof und Bild-Zeitung. Das zumindest ist ein weitverbreitetes Klischee. Außenpolitik reduziert sich in der öffentlichen Wahrnehmung zudem auf die medial darstellbaren Aktivitäten des Außenministers und Bundeskanzlers, und das war‘s dann.

Das nächste Klischee: Ein Politiker, der aus dem Ruhrgebiet stammt, und sich nicht den hiesigen Top-Themen der Wirtschafts- und Struktur-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik verschreibt – ist das nicht ein Unding? Wenn man nur das ganz unmittelbare Wahlkreisinteresse im Auge hat – vielleicht. Wenn man sich aber bewusst ist, dass auch die Chancen dieser Region zu Zeiten der Globalisierung nicht unwesentlich von äußeren Rahmenbedingungen abhängen, dann darf der Wert und Stellenwert von Friedenssicherung, Konfliktbewältigung, nachhaltiger Entwicklung und internationaler Struktur- und Ordnungspolitik nicht unterschätzt werden.

Ich möchte mich für die Einladung bedanken und für die Chance darzustellen, dass Außenpolitik weder langweilig noch nutzlos ist und auch in weniger turbulenten Zeiten für Wähler und Steuerzahler eine unverzichtbare Leistung erbringt. Außenpolitik muss weder abgehoben noch bürgerfern sein. Sie muss auch nicht konservativ daherkommen, sondern kann sowohl Ziel als auch Motor einer notwendigen Reformpolitik sein.

Manchmal ist der Zusammenhang z.B. meiner außenpolitischen Tätigkeit in Berlin mit den Interessen der Region sogar ganz unmittelbar. So freue ich mich, dass ich auf meinen offiziellen Reisen einige Male dazu beitragen konnte, auch die Chancen von Firmen aus dem Revier – und dem befreundeten Rheinland – bei internationalen Ausschreibungen zu verbessern. Noch vor gut zwei Wochen konnte ich beim Emir von Katar, der großes Interesse an einem Nachbau der Arena „Auf Schalke“ hat, Reklame für dieses Prachtstück aus meinem Wahlkreis machen. Aber auch bei der Errichtung einer großen Windkraftanlage in den Arabischen Emiraten oder dem Aufbau der Aluminiumindustrie in Brunei, die ihre Energie aus bis dahin nutzlos abgefackeltem Erdgas bezieht, konnte ich helfen, NRW-Firmen ins Gespräch zu bringen.

 

Kontinuität und Wandel

Nach dem Regierungswechsel im Jahre 1998 lautete das Schlüsselwort in der deutschen Außenpolitik zunächst „Kontinuität“ – und das aus gutem Grund, denn die Bundesrepublik Deutschland ist in ein dichtes Geflecht internationaler Bezüge und in einen supranationalen Ordnungsrahmen eingebettet, den es bei allem Veränderungswillen als Konstanten deutscher Außenpolitik zu pflegen gilt. Hierzu zählen die Selbsteinbindung in die Europäische Union mit dem Kern der deutsch-französischen Freundschaft, der Wille, die europäische Einigung durch ihre Vertiefung und die Erweiterung nach Osten zu vollenden, die transatlantische Partnerschaft zu den USA, der Brückenschlag nach Osten insbesondere zu Russland, das Bekenntnis zum friedlichen Interessenausgleich auch im Nord-Süd-Verhältnis.

Professionelle Außenpolitik zeichnet sich durch Berechenbarkeit und Behutsamkeit aus. Reformen und neue Politikansätze bedürfen daher einer sorgsamen Einpassung in das genannte Beziehungsgeflecht, der Abwägung ihrer Auswirkungen auf die Rolle Deutschlands in der Europäischen Union und der NATO und die zu erwartende Wirkung auf unsere Nachbarn und Verbündeten. Wohlgemerkt: nicht Anpassung ist das Zauberwort, sondern Reform. Reform aber nicht als harte Antithese, sondern als Einfügung im Sinne konstruktiver Fortentwicklung durch neue Elemente und anders gesetzte Schwerpunkte.

Manches Neue wird dabei erst im Rückblick deutlich, manch ein Reformansatz braucht Zeit, um wirksam und damit sichtbar zu werden. Ich will hier nun aber nicht drei Jahre grüner Außenpolitik im Einzelnen nacherzählen, sondern beispielhaft wichtige inhaltliche Schwerpunkte dieser Politik aufzeigen.

 

Europapolitik

Diese Bundesregierung hat sich zu Beginn der Wahlperiode sofort mit einer doppelten europäischen Herausforderung konfrontiert gesehen: mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 und der gleichzeitigen Kosovo-Krise. In beiden Fällen musste auch europapolitisches Neuland betreten werden.

Die Verabschiedung der berühmten „Agenda 2000“ auf dem Berliner Sondergipfel im März 99 und damit die Festlegung des Finanzrahmens der EU bis 2006 sowie die Verbesserung der deutschen Nettozahlerposition war allein schon ein hartes Stück Arbeit. Die im Vergleich mit den anderen Mitgliedstaaten weit überproportionale Belastung der deutschen Steuerzahler war finanziell, aber auch politisch in dieser extremen Form nicht mehr tragbar, wenn wir nicht riskieren wollten, dass langfristig die Akzeptanz der europäischen Integration bei den Bürgern einer Erosion unterworfen würde.

Auch im Blick auf die durch die Erweiterung der EU zu erwartenden Aufgaben war diese Trendwende überfällig. Ohne die mühsam errungene Einigung über die Agenda 2000 wären weder die Verhandlungen über die institutionelle Reform der EU noch das Jahrhundertprojekt Osterweiterung weitergekommen. Auf beiden Gebieten haben wir uns in der Folge mit Nachdruck engagiert und wichtige Fortschritte erzielt.

 

(Reform der Institutionen, Finalität)

Joschka Fischer hat mit seiner Grundsatzrede vor der Humboldt-Universität (am 12. Mai 2000) konkrete Vorstellungen entwickelt, wie Europa in Richtung auf eine Verfassung mit föderaler Ausrichtung weitergedacht werden kann. Damit hat er in der EU eine umfassende Debatte über die Finalität Europas in Gang gebracht, eine Debatte, die längst überfällig war und der die Politik nicht länger ausweichen durfte.

Hinter dem Zögern stand zwar Befürchtung, dass die Antwort in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu unterschiedlich ausfallen würden. Doch mit der Vertiefung und Erweiterung wollen die Bürger nun wissen, wohin der Zug geht. Je mehr direkt spürbare Auswirkungen die EU auf das Leben der Menschen hat, desto mehr verlangen sie nach einer Antwort.

Nicht nur manches Beitrittsland muss sich zudem erst noch mit dem Souveränitätstransfer von der Ebene des Nationalstaates auf die Ebene der EU abfinden. Er betrifft z.B. die von uns gewollte Durchsetzung des generalisierten Prinzips der Mehrheitsentscheidung. Nur so kann aber eine erweiterte Union handlungsfähig und davor bewahrt bleiben, zu einer besseren Zollunion zu verkommen.

In enger Abstimmung mit unseren französischen Freunden wurden bereits auf dem Gipfel von Nizza im Dezember 2000 erste wichtige Weichenstellungen zu einer Reform der Organe der Union vorgenommen. Die Schlusserklärung enthält auch – vor allem aufgrund deutscher Initiativen – klare Zielvorgaben für größere Bürgernähe, mehr Transparenz und eine bessere demokratische Legitimierung der Union. Gerade diese Elemente können in ihrer langfristigen Bedeutung für die Zukunft der Union gar nicht überschätzt werden! Viel zu lange waren sie ausweichend behandelt worden. Heute gehören sie zu den Kernaufgaben der EU-Reform.

 

(Osterweiterung)

Alle diese Fragen und Probleme bekommen im Blick auf die Osterweiterung zusätzliche Dringlichkeit. Für die gesamte EU und ganz besonders für uns Deutsche hat die Erweiterung nach Osten historische Bedeutung. Sie ist nicht nur ein Akt historischer Gerechtigkeit, sondern auch ein konkretes Element europäischer Friedens- und Stabilitätspolitik!

Deutschland wird nach der ersten Erweiterungsrunde keine EU-Außengrenzen mehr haben. Mit der durch die Teilung Europas im Kalten Krieg bedingten künstlichen Randlage ist es dann endgültig vorbei, und wir können mit unseren polnischen Nachbarn im Osten eine ähnliche Freundschaft schließen wie mit Frankreich im Westen.

Es geht aber letztlich nicht nur um die geographische Erweiterung der Europäischen Union, sondern um einen großen Schritt zu ihrer Vollendung! „Vollendung“ bedeutet dabei die Ausdehnung einer Struktur auf möglichst weite Teile Europas, die nicht nur ökonomischen Fortschritt und Entwicklung, sondern auch eine dauerhafte Friedens- und Menschenrechtsordnung darstellt, wie wir sie in Europa noch nie gehabt haben.

Auch wirtschaftlich und kulturell profitieren wir als unmittelbare Nachbarn wichtiger Beitrittsländer besonders von diesem Prozess. Durch das Aushandeln vernünftiger Übergangsfristen (bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit) hat die Bundesregierung auch der verbreiteten Sorge Rechnung getragen, dass die Osterweiterung kurz- oder mittelfristig negative Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt haben könnte.

Diese Sorge war in bestimmten grenznahen Regionen stärker ausgeprägt als etwa im Ruhrgebiet – wo wir ja im Übrigen auf eine lange und erfolgreiche Geschichte der Integration polnischer Arbeiter und ihrer Familien zurückblicken können. Überhaupt kann die Region Rhein/Ruhr in Sachen Integration und Strukturwandel mit guten Beispielen und wertvollen Erfahrungen aufwarten, die wir in Deutschland und Europa noch brauchen werden.

 

(GASP, ESVP)

Will die Union politisch handlungsfähig sein, bedarf es auch zusätzlicher Anstrengungen bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, für die sich die unschöne Abkürzung „GASP“ eingebürgert hat. Ob es uns gefällt oder nicht – das internationale Gewicht der EU wird künftig noch mehr auch davon abhängen, inwieweit es ihr gelingt, politisch „Flagge zu zeigen“ und eigenständige Beiträge zu Krisenprävention und Konfliktmanagement zu leisten.

Wir stehen hier keineswegs am Anfang, sondern können auf einem soliden Fundament bauen, das lange vor dem 11. September gelegt worden ist. Um ein angemessenes Krisenmanagement gewährleisten zu können, schafft die EU im Rahmen der ESVP eigene Kapazitäten. Dabei setzten wir nicht etwa nur auf den Aufbau militärischer Mittel. Es ist geradezu ein „Markenzeichen“ der ESVP, sich auf parallele und ausgewogene militärische und zivile Fähigkeiten zu stützen. Hierfür haben wir uns in den letzten drei Jahren etwa durch den von uns initiierten Sondergipfel zum Aufbau ziviler Krisenbewältigungskapazitäten mit besonderem Nachdruck eingesetzt.

 

 (Transatlantische Beziehungen)

Über die Entwicklung der europäischen Perspektiven dürfen wir unsere transatlantischen Beziehungen nicht vernachlässigen. Nicht erst seit der Terrorkrise wurden sie etwas zu sehr unter militärischen und sicherheitspolitischen Gesichtspunkten gesehen. Deshalb arbeiten wir mit Nachdruck an einer neuen transatlantischen Agenda, die insbesondere die gemeinsame Verantwortung des industrialisierten Nordens für die Lösung globaler Fragen betont. Wie notwendig und schwierig diese Dimension ist, haben wir bei den Verhandlungen über den Klimaschutz und das Kyoto-Protokoll gesehen. Wir hoffen, dass der aus der Antiterrorpolitik resultierende neue amerikanische Multilateralismus, das Wissen, Freunde zu brauchen und Teil einer Weltgesellschaft zu sein, sich auch in verstärkten Anstrengungen zur Lösung globaler Fragen niederschlägt.

Zeiten wie die gegenwärtige sind für das Image der Europäischen Union nicht sehr förderlich. Wenn es um die Bekämpfung des weltweiten Terrorismus geht, treten schnell alte und neue Kritiker der europäischen Integration an die Öffentlichkeit und fordern eine Rückkehr zum allein handelnden Nationalstaat als angeblich logische Konsequenz. Wir halten dagegen: Das wiedervereinigte Deutschland mit all seinem Gewicht, wirtschaftlich und was die Bevölkerungszahl angeht, mitten in Europa gelegen, hat ein Interesse daran, Nachbarn und Freunde nicht mit Dominanzstreben und unilateralen Parforceritten, aber auch nicht durch Verweigerung und Disengagement, zu ängstigen. Im Sinne von Selbsteinbindung und Selbstbeschränkung muss gerade im deutschen Interesse die Antwort auf zahlreiche aktuelle Herausforderungen eine europäische sein.

Die Kosovokrise, aber auch die aktuellen Bestrebungen gegenüber Mazedonien, haben uns die Notwendigkeit, aber auch die Möglichkeit deutlich vor Augen geführt, europäische Handlungsfähigkeit in sicherheitspolitisch relevanten Fragen unter Beweis zu stellen. Nicht zuletzt auf unsere Initiative hin sind zudem sogenannte gemeinsame Strategien entwickelt worden, etwa zum Konflikt im Kaukasus oder der Stabilitätspakt für Südosteuropa. Auf dem Kölner EU-Gipfel von 1999 sind weitere wichtige Impulse gegeben worden. Wer hätte sich vor nur zehn Jahren diese Fortschritte vorstellen können? Ich finde, wir haben europapolitisch Erfolg gehabt, sollen Erfolg auch Erfolg nennen und darauf stolz sein.

 

Konfliktprävention und Krisenbewältigung

Den Gefahren des Terrorismus und der organisierten Kriminalität im Allgemeinen, aber auch anderen Herausforderungen einer zunehmend globalisierten und interdependenten Welt können wir nur mit einem breiten Politikansatz begegnen.

Eine besondere Bedeutung haben dabei nichtmilitärische, politische Strategien und Konzepte. Deshalb hat die Bundesregierung – wie schon in der Koalitionsvereinbarung formuliert – ein Gesamtkonzept zur „zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ entwickelt und verabschiedet. Inzwischen sind wir mit der Umsetzung gut vorangekommen. Hier liegt ein Schwerpunkt, auswärtiger Reformpolitik. Geleitet hat uns auch die Einschätzung, dass die Kosten der Verhinderung von Konflikteskalationen – politisch wie finanziell – in jedem Fall geringer sind als die für ein militärisches Eingreifen.

Konfliktprävention ist eine Querschnittsaufgabe der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik, der Finanz- und Wirtschaftspolitik, der Umwelt-, Kultur- und der Rechtspolitik. Diese Politik setzt auf internationale Vernetzung, sucht die Zusammenarbeit internationaler Großorganisationen wie UNO, OSZE, EU, Europarat und NATO.

Neben der Verbreiterung dieses Politikansatzes im internationalen Feld haben wir mit dem Aufbau einer eigenen Infrastruktur begonnen. Im Rahmen der „Aktion ziviles Friedenspersonal“ haben wir ein auch international genutztes Trainingsprogramm für freiwillige Einsätze z.B. bei UNO- und OSZE-Missionen eingerichtet. Der dafür geschaffene „Personalpool“ ist mittlerweile auf rund 700 Personen angewachsen. Sie sind z.B. als Wahlbeobachter im Kosovo und in Mazedonien zum Einsatz gekommen, beim Verwaltungsaufbau in Ost-Timor oder bei Langzeitmissionen im Kaukasus. Anfang nächsten Jahres wird das AA seine Infrastruktur für Personalentsendung und Training durch Outsourcing, durch die Gründung einer neuen Institution erheblich verbessern. (Das spätere Zentrum für internationale Friedenseinsätze ZIF)

Die OSZE hat auf ihrem Gipfel 1999 unseren Ansatz als beispielgebend angesehen und als „react“-Programm in den eigenen Instrumentenkatalog aufgenommen, die G8 haben die von deutscher Seite angestoßenen Initiativen um die Themen „Rolle der Frau in der Konfliktprävention“ und „Soziale Verantwortung von Unternehmen“ erweitert.

Sicher ist das erst ein Anfang – weniger spektakulär als die Entsendung von Kriegsschiffen oder Flugzeugen, aber ein guter Anfang! Deshalb kann ich – nicht ohne eine gewisse persönliche Befriedigung – sagen, dass in den letzten drei Jahren vieles im Sinne der Stärkung nichtmilitärischer Instrumente der Sicherheitspolitik erreicht wurde, vieles, was zuvor als unrealistisch belächelt worden war.

 

Abrüstung und Rüstungskontrolle

Auch wenn Abrüstungsfragen öffentlich nicht mehr so gravierend erscheinen wie Mitte der 80er Jahre, so hat es hier doch bemerkenswerte Fortschritte gegeben.

Im Laufe dieser Wahlperiode konnten durch deutsche Beiträge Schlüsselfragen im Bereich der Anpassung des Vertrags über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) an die neuen sicherheitspolitischen Realitäten unseres Kontinents gelöst werden. Dies eröffnet Spielräume auch für die Reduzierung entsprechender Waffensysteme bei der Bundeswehr.

Heute beschäftigen uns weitere folgenschwere Fragen. Nicht zuletzt aufgrund der von uns wesentlich mitformulierten Besorgnisse der Verbündeten dürfte Präsident Clinton die Entscheidung zur Einführung von NMD/TMD, der nuklearen und taktischen Raketenabwehr, verschoben haben. Dass die Bundesregierung der weiteren atomaren Abrüstung und den Gefahren der Proliferation von biologischen und chemischen Waffen große Aufmerksamkeit widmet, bedarf in diesem Zusammenhang gewiss keiner besonderen Erwähnung.

Schreckliche Auswirkungen aber haben nicht nur Massenvernichtungswaffen, sondern auch Landminen und Kleinwaffen. Viele Länder leiden jahrzehntelang unter den furchtbaren menschlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Unser Engagement zum Verbot von Antipersonenminen ist in diesem Sinne humanitär und entwicklungspolitisch begründet. Und dieses Engagement zahlt sich aus: 121 Staaten haben das Ottawa-Übereinkommen für sich bereits in Kraft gesetzt, 20 weitere haben es gezeichnet. Hierdurch entsteht eine neue völkerrechtliche Norm, deren bindende Wirkung auch von vielen anerkannt wird, die dem Abkommen selbst noch nicht beigetreten sind.

Die Bundesregierung hat zudem mit großem Nachdruck Bemühungen initiiert und unterstützt, die der Ächtung oder Beschränkung der Kleinwaffenverbreitung dienen. Im Dezember 1998 verabschiedete die EU hierzu eine „Gemeinsame Aktion. Im Jahr 2000 wurde ein Verpflichtungsdokument der OSZE erstellt und 2001 ein VN-Aktionsplan verabschiedet. Unser Ziel ist es, weltweit auch Waffenvermittlungsgeschäfte unter Kontrolle zu bringen und die Verfolgung des illegalen Waffenhandels durch Markierungsstandards zu verbessern.

 

Nord-Süd-Politik

Unser multilateraler Ansatz gründet auf der Überzeugung, dass nur ein partnerschaftlicher Umgang auch mit den staatlichen Akteuren der Dritten Welt dauerhafte Wege zur Zusammenarbeit eröffnet. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass paternalistische Ratschläge – und seien sie noch so gut gemeint – keinen nachhaltigen Erfolg haben. Gewiss, viele Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas haben heute noch zu leiden unter den Ungerechtigkeiten und Menschenrechtsverletzungen, die ihnen von uns Europäern durch Kolonialismus, Sklaverei und ungerechte Handels- und Finanzpolitik zugefügt wurden. Immer mehr aber wächst das Bewusstsein in diesen Staaten, dass auch Misswirtschaft, Korruption und fehlende Staatlichkeit, also hausgemachte Probleme, das ihre zu den Entwicklungsproblemen beigetragen haben.

Jede Seite muss nun ihren Anteil an der Misere reduzieren. Wir müssen versuchen, soziale Kategorien in die WTO-Verhandlungen und Freihandelsabkommen zu integrieren, unsere Märkte zu öffnen, die Schuldenlast weiter zu erleichtern. Aber auch die Eliten der Drittweltländer sind in der Verantwortung. Dies ist heute auch ihr eigenes, selbstbewusstes Verständnis. Gleiche Augenhöhe vorausgesetzt, haben wir nicht nur die Pflicht zu geben – etwa mehr Entwicklungshilfe, sondern auch das Recht, zu nehmen – etwa die Verpflichtung zum verantwortlichen Umgang damit, zu good governance.

Wir haben aufgrund von pointierten Darstellungen in den Medien die Tendenz, zu übersehen, dass sich z.B. in Afrika politisch eine Menge getan hat. In unserer Optik bestimmen noch zu sehr Dürrekatastrophen, die AIDS-Pandemie und politische Krisenherde klischeehaft unser Afrikabild. Diese Probleme sind in der Tat äußerst virulent, aber positive Entwicklungen ebenfalls. So haben die Staaten Afrikas die „Afrikanische Union“ gegründet, die sich am Beispiel der EU orientieren und eine kontinentalweite Ansprechpartnerin für die europäischen Regierungen und die EU darstellen will. Sie haben die wegweisende Initiative „New Partnership for African Development“ ins Leben gerufen, mit der sie im Sinne der african ownership, der Eigenzuständigkeit der Afrikaner für ihre Angelegenheiten, die Verantwortung für ihren Kontinent übernommen haben. Damit ist das alte entwicklungspolitische Credo der „Hilfe zur Selbsthilfe“ obsolet geworden. Selbsthilfe ist längst in Gang gekommen, sie braucht nun unsere partnerschaftliche Begleitung.

Die jetzige Bundesregierung hat die Nord-Süd-Politik der Vorgängerregierung gründlich revidiert. Deren Kontinentalkonzepte zu Asien, Lateinamerika und Afrika waren zu allgemein und daher praktisch wenig aussagekräftig. Wir haben begonnen, sie durch regionale und subregionale Konzepte zu ersetzen. Diese erlauben die Formulierung konkreter Handlungsansätze und spezifischer Strategien, nicht nur für das Auswärtige Amt allein, sondern auch in seiner koordinierenden Funktion und für andere Akteure.

Die bis dahin einseitig wirtschaftslastige Tendenz haben wir systematisch ergänzt um die Dimension des politischen Dialogs, der Sicherheitsfragen ebenso umfasst wie gute Regierungsführung, Menschenrechte und kulturellen Zusammenarbeit. Ich selbst jedenfalls habe die Erfahrung gemacht, dass so auch eine bessere Grundlage für wirtschaftliche Kontakte geschaffen wird. So haben mir Partner z.B. in Indonesien offen gesagt, bitte, Ihr lieben Deutschen, kommt nicht nur immer, um uns etwas zu verkaufen. Kommt doch einfach mal vorbei und fragt uns, wie es uns geht, schaut Euch unsere Kulturgüter an, macht hier Urlaub – und dann werdet Ihr merken, Geschäfte machen wir am liebsten mit Freunden.

Diese Philosophie durchzieht all unsere neuen Regionalstrategien. Die jüngste ist übrigens die zum südlichen Afrika, zu den SADC-Staaten. Wie die anderen ist sie im Internet zu finden. Regionale Strategien haben wir auch für Lateinamerika erarbeitet, das wir in Mercosur-Staaten, Andenstaaten, Zentralamerika, Karibik und Mexiko gegliedert haben. Dieser Ansatz fließt auch in die Verhandlungen der EU mit ein, die zurzeit intensiv an einem Freihandelsabkommen mit dem MERCOSUR und Chile arbeitet. Die Bedeutung solcher Abkommen für die Marktchancen deutscher liegt auf der Hand, zumal dann, wenn sich auch USA und NAFTA um eine gesamtamerikanische Freihandelszone bemühen. Mit unseren Regionalkonzepten versuchen wir auch, so gut wir können, beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen zu helfen. Dies betrifft besonders die Staaten des Andenpaktes. In Zentralamerika haben wir zudem eine Initiative mit angestoßen, die Verwundbarkeit dieser Region durch Naturkatastrophen durch verbesserten Katastrophenschutz zu vermindern.

Mit den Ländern Südamerikas verbindet uns seit dem Rio-Gipfel 2000 eine strategische Partnerschaft, die umfassende Kooperationsmöglichkeiten eröffnet. Nordamerika, Südamerika und Europa sollen – das ist unser Plan – ein transatlantisches Dreieck bilden.

Deutschland ist ein Exportland, das der Welt viel zu bieten hat an Investitionen, Gütern und Dienstleistungen. Doch der größte deutsche Exportschlager ist vielleicht der Rechtsstaat. Jedenfalls gibt es weltweit eine enorme Nachfrage nach Beratung in Fragen des institutionellen Aufbaus, des capacity building. Der Rechtsstaatsdialog mit der Volksrepublik China ermöglicht uns heute bereits, auch prekäre Fragen von Menschenrechten, Strafvollzug, administrativen Verfahren anzusprechen. Mit ersten Erfolgen. Und es ist nicht zufällig, dass MP Zhu dem deutschen Bundeskanzler gegenüber erstmals Defizite in der Menschenrechtslage öffentlich zugegeben hat.

Es erweist sich hier, dass die systematische, aber sensible Thematisierung von Menschenrechtsfragen mehr bringt als die öffentliche Anklage. Ich habe selbst oft folgende Erfahrung gemacht: wir Europäer müssen zugestehen, dass gute Regierungsführung in riesigen, heterogenen Konglomeratstaaten mit Tausenden von Inseln, Hunderten von Völkern und Sprachen, erheblich schwieriger ist als in unseren europäischen, weitgehend homogenen und überschaubaren Staaten. Wenn wir dies zugestehen, dann und nur dann sind die anderen auch bereit darüber zu reden, dass sie Menschenrechtsprobleme haben. Auch hier schadet der erhobene Zeigefinger, gemeinsames Lernen aber hilft beiden Seiten weiter.

Mit China stehen wir auch im Dialog zu Umweltfragen – und ich konnte feststellen, dass sich unsere Mühe bereits auszahlt: bei der Kanzlerreise vor 2 Wochen nach China hörte ich von mitreisenden begeisterten Wirtschaftsvertretern, dass sich in der chinesischen Politik und Wirtschaft seit dem deutsch-chinesischen Umweltgipfel 2000 mehr und mehr ein Trend zu Umwelttechnologien und umweltfreundlichen Produktionsweisen durchsetzt. Dies ist übrigens auch ein Beispiel für die Umweltaußenpolitik, die von der neuen Bundesregierung auf die Außenpolitische Bühne gehoben wurde.

China ist in Beispiel für die neue Politik gegenüber asiatischen Staaten: auch hier haben wir das überholte Konzept der früheren Bundesregierung suspendiert. Ein neues Regionalkonzept für Südost-Asien, anlässlich der Osttimor-Krise 2000 im Dialog mit den Nachbarstaaten entwickelt, ergänzt die bisher fast ausschließlich exportwirtschaftliche Dimension durch die oben genannten Ebenen, einschließlich der sicherheitspolitischen Dimension. Die deutsche Indienpolitik haben wir bereits vor dem grauenhaften Attentat erheblich intensiviert; dies zahlt sich jetzt aus. Diese politischen Offensiven gewinnen aktuelle Bedeutung angesichts der großen muslimischen Bevölkerungsanteile in zahlreichen asiatischen Staaten, die bei einer Radikalisierung durch islamistische Gruppen erhebliche Stabilitätsrisiken bergen könnten. Auch in Asien möchten wir daher die Regionale Zusammenarbeit gestärkt sehen. Auf unsere Anregung hin hat neben den etablierten Treffen von EU, ASEAN und ostasiatischen Staaten bereits ein erstes Dialogtreffen zwischen OSZE und dem Asia Regional Forum (ARF) zu sicherheitspolitischen Fragen stattgefunden.

Wer in den letzten Wochen in Berlin war, konnte als Ergebnis unserer kulturellen Beziehungen die bemerkenswerten kulturellen Errungenschaften Asiens live in der „Asien-Pazifik-Woche“ erleben. Zum ersten Mal war auch Nordkorea vertreten, mit dem wir zu Beginn dieses Jahres diplomatische Beziehungen aufgenommen haben. Auch hier setzen wir auf Dialog statt auf Konfrontation. Es ist besser, Außenseiter mit ihren Ansprüchen ernst zu nehmen und sie zu integrieren zu versuchen, als sich gegen sie mit fragwürdigen Raketenabwehrschirmen schützen zu wollen.

 

Dialog der Kulturen, Globale Fragen

Diese Beispiele für den Dialog der Kulturen nähren unseren Optimismus, dass der von manchem Kulturpessimisten an die Wand gemalte Kampf der Kulturen vermieden werden wird. Der Kampf um Kultur beweist immer wieder, dass die ethischen Fundamente in allen Weltreligionen hinreichende Gemeinsamkeiten für eine gemeinsame globale Verantwortung bieten.

Multilateralismus ist ein weiterer Schlüssel zu einer friedlichen Welt. Für uns sind die Vereinten Nationen die wichtigste Instanz zur Bearbeitung globaler Fragen und wichtiger Referenzrahmen zur Lösung regionaler Krisen. Uns wird z.B. die Beendigung des Kosovo-Krieges durch eine UNO-orientierte Strategie, die wir initiiert haben, gutgeschrieben. Was von manch kritischem Geist in Deutschland als deutsche Kriegsbeteiligung verurteilt wird, erscheint dem Rest der Welt als ein gelungenes Stück Diplomatie zur Konfliktbeendigung. Die Welt bemerkt unser Engagement, die Rolle der VN zu stärken, den Dialog der Kulturen zu suchen und zu fördern, globale Fragen partnerschaftlich anzugehen und unsere nach der Wiedervereinigung gewachsene Bedeutung. Dies spiegelt in den zahlreichen Zusagen zur Wahl Deutschlands für den nichtständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat 2003 und hat zu dem Wunsch vieler Staaten geführt, die Bundesrepublik Deutschland ständig im Sicherheitsrat zu sehen. Im Koalitionsvertrag bevorzugen wir zwar eine „europäische Variante“. Ich habe aber auch gelernt, dass eine Diskussion um die nötige Reform des UN-Sicherheitsrates faktisch nur so lange in Gang bleibt, als ein deutscher Anspruch im Raume steht.

Unser UNO-Engagement wird durch das „Forum globale Fragen“ unterstrichen, das wir in Berlin eingerichtet haben. Dort führen wir regelmäßig im Sinne einer „Public-Private Partnership“ die verschiedensten staatlichen und nichtstaatlichen Akteure internationaler Politik – Nichtregierungsorganisationen, Medienvertreter, Einzelpersönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft – zu einem offenen, manchmal sehr kontroversen Meinungsaustausch zusammen. Viele Ideen und Gedanken fließen anschließend in unsere offizielle Politik ein. Das nächste Forum eröffne ich übermorgen (16.11.) zum Thema „Globalisierung und Kommunikation“. Wenn Einzelne von Ihnen Interesse haben – ich will gern sehen, ob ich Sie noch einladen kann!

 

Innen- und Außenpolitik

Im Dialog mit Nichtregierungsorganisationen haben wir ein wichtiges Instrument für Gerichte und Innenbehörden verbessern können, nämlich die „Berichte des Auswärtigen Amtes über die Asyl- und Abschiebungsrelevante Lage“ in einem Land. Vielleicht sind einige Vertreter der Justiz hier im Publikum damit befasst. Wir haben festgestellt, dass zusätzlich zu den Erkenntnissen der Botschaft wesentliche und belastbare Erkenntnisse über die Lage in Herkunftsländern von Asylbewerbern von UNHCR, Flüchtlingsräten, Amnesty International, Pro Asyl und anderen Gruppen eingebracht werden können. Wir übernehmen nichts ungeprüft. Wir färben keine Situationen schön, wir wollen den Ausländerbehörden und Gerichten komplette und objektive, möglichst umfassende Informationen an die Hand geben, die ihnen erlauben sollen, die Angaben von Asylbewerbern zu überprüfen und vor Abschiebungen die Konsequenzen wirklich erkennen zu können. Wir haben sehr viel positive Resonanz auf diese Reform erhalten. Ergänzt haben wir sie durch eine liberale Reform der Vergabepraxis von Visa, die durch das aktuelle Sicherheitspaket ergänzt wird. Auf diese Weise tragen wir zur Entwicklung eines modernen, zugleich sicherheitsorientierten und weltoffenen Grenzmanagements bei.

Neben die große Politik tritt immer wieder die Einzelfallhilfe, z.B. zur Befreiung von Entführten. Sie erinnern sich an die Befreiung der Familie Wallert im letzten Jahr. Vor kurzem ist es dem Auswärtigen Amt gelungen, drei in Kolumbien entführte Deutschen, darunter einen GtZ-Mitarbeiter, heil nach Deutschland zurückzubekommen, ebenso wie einen deutschen Diplomaten, der im Jemen auf einer Dienstfahrt gekidnappt worden war. Geduld und Zähigkeit war das oberste Gebot, aber die Zeit bis zur glücklichen Freilassung ist nervenaufreibend für alle.

Hier hat sich übrigens ausgezahlt, dass wir im AA infolge der zunehmenden Notlagen von Deutschen im Ausland ein Krisenreaktionszentrum aufgebaut haben, das hochprofessionell 24 Stunden im Einsatz ist und dabei übrigens mit den entsprechenden Stellen der Tourismuswirtschaft eng kooperiert. Nützlich ist auch unser Bürgertelefon, das ich noch vor den „Großen Ferien“ eröffnen konnte, damit es Reisende bei der Reiseplanung mit Informationen versorgt oder bei „kleineren“ Notlagen wie Passverlust, Konkurs der Airline vor dem Rückflug oder bei Krankheit und Unfällen im Ausland helfen oder Hilfe vermitteln kann. Um das konkret darzustellen ein Beispiel: nach dem 11.9. gingen in wenigen Tagen über 23.000 Anrufe von Bürgern ein, die ihre Familienangehörigen, Freunde oder Kollegen vermissten. 200 Beamte des AA leisteten freiwilligen Schichtdienst (nach der Arbeit, versteht sich). „Nebenbei“ liefen die Bemühungen um die Geiseln in Kolumbien und im Jemen.

 

Zivilmacht, politischer Pazifismus und neue Bedrohungen

Gut zehn Jahre nach der Wiedervereinigung ist nicht mehr zu verdrängen, dass der Bundesrepublik Deutschland eine enorm gewachsene Verantwortung nicht nur bei der Lösung europäischer, sondern auch globaler Fragen zukommt. Wir können uns nicht mehr hinter dem breiten Rücken unseres transatlantischen Partners und unserer europäischen Freunde verstecken. Die Zeiten sind vorbei, in denen Angst und Furcht von Deutschland ausging. Die Welt erwartet weit mehr von uns, als dem allgemeinen Bewusstsein hier im Lande entspricht. Die Staaten und Völker wissen, dass wir unsere Vergangenheit redlich aufzuarbeiten bemüht sind und die notwendigen Konsequenzen gezogen haben. In den selbstquälerischen Diskussionen darüber, ob Deutschland auch militärisch bei der Lösung von regionalen Konflikten engagiert sein sollte, kam und kommt zum Ausdruck, wie wenig unser Volk, unsere Politiker und unser Staat darauf aus sind, in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt zu werden. Dies ist eine positive Wendung in dem, was manche als Nationalcharakter bezeichnen, die man nicht hoch genug einschätzen kann. Die Lehre aus der Geschichte kann für uns jedoch nicht heißen, sich selbst zurückzulehnen und zuzuschauen, wie andere schwere Verantwortung auf sich nehmen.

Deutschland hat versucht, sich als Zivilmacht zu etablieren. Zivilmacht bedeutet dabei, den Anspruch zu haben, eine wesentliche Rolle bei der Lösung von Problemen zu spielen, gleichzeitig aber durch Selbstbeschränkung und Selbsteinbindung in internationale Strukturen jede Furcht vor nationalen, gar chauvinistischen Alleingängen überflüssig zu machen und die Rolle des Militärischen möglichst weit in den Hintergrund zu rücken.

 

(Neue Bedrohung: der internationale Terrorismus)

In dieser Rolle hatten wir uns gerade einzurichten begonnen, als die Terroranschläge auf Amerika nicht nur Tausende unschuldiger Opfer hinterließen, sondern auch unser Weltbild, unser Selbstverständnis bis ins Mark erschütterten. Der 11.9. war wie das Ende des zweiten Weltkriegs eine Stunde null der internationalen Politik. Dieses Datum erfordert, alle Grundkategorien und Rezepte der eigenen internationalen Politik daraufhin zu überdenken, ob sie den neuen Bedrohungen gerecht werden. Die Bundesregierung hat schnell erkannt, dass wir einen völlig neuen sicherheitspolitischen Diskurs brauchen, eine Sicherheitspolitik, die sich nicht mehr an den alten noch aus dem kalten Krieg stammenden Bedrohungsszenarien orientiert. Nicht nur der kalte Krieg ist vorbei, sondern auch die kühle Nachkriegszeit. Russland macht uns Freundschaftsangebote, die nicht ausgeschlagen werden sollen. China verbindet ambitionierte Entwicklungsziele mit zunehmender internationaler Dialogbereitschaft. Die Zeiten, wo wir uns durch andere Staaten bedroht fühlen konnten, sind passé.

Die heutige Bedrohung Nr. 1 für den Weltfrieden geht aus von der privatisierten Gewalt, die sich in manchen Gegenden dieser Erde, konzentriert im Moment in Afghanistan, gegen die gesamte zivilisierte Welt, gegen alle Völker und Kulturen richtet. Begonnen hat nicht der Kampf der Kulturen, begonnen hat der Kampf um Kultur. Angegriffen wurde die moderne, die zivilisierte Welt mit ihren offenen Gesellschaften als solche durch Kräfte, die sich jeder Modernisierung entgegenstellen und mittelalterliche Herrschaftsformen durchsetzen wollen. Wir haben es mit einer Gefahr zu tun, wo sich eine verbrecherische Schattengesellschaft quasi unter unsere moderne globalisierte Gesellschaft schieben und diese unterminieren will – finanziert durch den Handel mit Drogen und schmutzigen Diamanten, aber auch aus Erbschaften des Ölbooms, bereit Massenvernichtungswaffen zu benutzen, den Islam als Begründung für ihre menschen- und gottesfeindlichen Ziele missbrauchend. Die Zivilisationen müssen sich gegen diese Gefahr verteidigen.

Damit kommt ein Aspekt in der Außenpolitik wieder zur Geltung, der in den 90er Jahren in den Hintergrund trat, der der Sicherheit. Zehn Jahre haben wir geglaubt, eine Friedensdividende nutzen zu können, um die anderen beiden Ziele internationaler Politik besser erreichen zu können: Wohlstandssicherung bei uns und anderen und die Verteidigung und Durchsetzung von Demokratie, Partizipation und Menschenrechten. Der 11.9. hat mit erschreckender Deutlichkeit klar gemacht, dass für uns Europäer nach dem epochalen Wandel auf unserem Kontinent das Thema Sicherheit nicht ein für alle Mal erledigt ist. Die Bundesregierung hat sich deshalb, unterstützt vom Parlament, entschlossen, eine aktive Rolle in der internationalen Koalition gegen den Terrorismus zu spielen. Selbstverständlich geht ein solcher Perspektivwechsel in der eigenen Außenpolitik nicht ohne tiefgreifende Diskussionen, nicht ohne Selbstzweifel, nicht ohne kritische Nachfragen, nicht ohne kontroverse Diskussionen ab. Wir werten dies eher als positives Zeichen. Denn wenn sich unsere Gesellschaft, wenn sich unser Staat in der internationalen Gemeinschaft neu verorten will, dann muss dies im vollen Bewusstsein der Verpflichtungen und auch der Risiken geschehen.

 

(Globalisierung)

Noch kurz vor dem 11.9. hatten wir eine hochkontroverse öffentliche Diskussion über die Perspektiven der Globalisierung, auch darüber, inwieweit über politische Rahmensetzungen der Globalisierungsprozess gesteuert werden müsse. Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien haben sich in der Vergangenheit intensiv eingesetzt für eine internationale Strukturpolitik, für global governance, für eine globale Ordnungspolitik oder welchen Namen auch immer man den Bestrebungen geben mag, auf der einen Seite die Entfaltung von Marktkräften zu fördern, auf der anderen Seite aber ihre zerstörerisch wirkende Entfesselung durch eine politische Rahmensetzung einzudämmen. Bei aller Kritik, die an Auswüchsen der Globalisierung geübt werden kann und muss, gilt es heute, den globalen Ansatz zu verteidigen gegen diejenigen Kräfte, die uns mit Terrorakten zurückzwingen wollen in mittelalterliche Weltvorstellungen. Zur Verteidigung der Globalisierung gehört aber auch ihre mutige Reformierung.

In der neuen deutschen Außenpolitik fließen verschiedene Philosophien zusammen, die sich gegenseitig befruchten können. Eine aufgeklärte Realpolitik, ein auf internationale Verflechtung setzender Institutionalismus, ein politischer Pazifismus, der das Primat der Politik in jeder gegebenen Situation auch praktisch durchzusetzen versucht. Für diese Tendenz gibt es eine breite Mehrheit im Parlament und auch in der Bevölkerung. Nationalistische und militaristische Töne gehören der Vergangenheit an. Sie werden den Hauptstrom der deutschen Außenpolitik genauso wenig beeinflussen können, wie jene, die jedes weltweite Engagement unter Imperialismusverdacht stellen.

Ich stehe hier vor Ihnen, um dafür zu werben, diese neue Tendenz der deutschen Außenpolitik nach Kräften zu unterstützen. Außenpolitik ist nicht nur das Arbeitsfeld der Regierung. Im Zuge der Globalisierung gibt es zahlreiche Akteure, die internationalisierende Politik betreiben. Nichtregierungsorganisationen, seien es die humanitären Hilfswerke oder seien es Wirtschaftsunternehmen, sind wichtige Akteure im internationalen Feld. Die Bundesregierung hat sich mit ihrem Dialogangebot darum bemüht. die verschiedenen Akteure in einen gemeinsamen Diskurs zu bringen. Aber auch Staatliche Außenpolitik ist kein Relikt aus der Vergangenheit, das im Zeichen der Globalisierung zurücktreten kann hinter die individuellen Schritte der einzelnen Akteure. Staatliche Außenpolitik ist die Instanz, die den Überblick behalten muss über die verschiedenen Aktivitäten und Tendenzen, die steuernd eingreifen muss, die koordinieren sollte.

 

Schluss

Ich hoffe, dass ich mit meinem Beitrag deutlich gemacht habe, dass auch die Außenpolitik und ihre Hauptagentur, das Auswärtige Amt, eine Leistung für die Bürgerinnen und Bürger erbringt. Unsere Diplomatinnen und Diplomaten arbeiten hart, oft auf unbequemen Posten in Ländern, in denen die meisten von Ihnen nicht mal Urlaub machen würden. Sie leisten einen Beitrag zu einer deutschen Außenpolitik, die versucht, gewalt-, konflikt- und krisenpräventiv zu handeln. Wir wissen, das Vorbeugung letztlich billiger ist als heilen. Aber auch, wenn wir weniger Mittel benötigen als etwa die militärischen Einrichtungen, so brauchen wir doch ein Minimum an Finanzausstattung, um unserer Aufgabe gerecht werden zu können. In der öffentlichen Eindruckskonkurrenz kommt die Leistung krisenpräventiver Politik nicht richtig zur Geltung. Denn ihr Zweck ist gerade, Bilder mit Feuer und Rauch, Toten und Verletzten zu verhindern. Sie liefert keine Action-Bilder und versucht alles zu tun, dass die Nachrichtensendungen langweilig werden. Die Strafe sind viel zu knappe Mittel. Sie, meine Damen und Herren, gehören hoffentlich spätesten seit heute zu den Steuerzahlern, die eine Investition in die Außenpolitik nicht für Verschwendung halten. Ich möchte dafür werben, die Stärkung der Auswärtigen Politik und des Auswärtigen Amtes als Investition anzusehen, als Investition in Sicherheit, Demokratie und Menschenrechte, Wohlstand und nachhaltige Entwicklung, ein internationales Klima, das Handel und Investitionen begünstigt und in eine Welt, die lebenswert und liebenswert bleibt – nicht nur für uns.

 

 

 

 

 

 

 

Kontinuität und Reform

 

Europapolitik

 

Diese Bundesregierung hat sich zu Beginn der Wahlperiode sofort mit einer doppelten europäischen Herausforderung konfrontiert gesehen: mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 und der gleichzeitigen Kosovo-Krise. In beiden Fällen musste auch europapolitisches Neuland betreten werden.

 

Die Verabschiedung der berühmten „Agenda 2000“ auf dem Berliner Sondergipfel im März 99 und damit die Festlegung des Finanzrahmens der EU bis 2006 sowie die Verbesserung der deutschen Nettozahlerposition war allein schon ein hartes Stück Arbeit. Die im Vergleich mit den anderen Mitgliedstaaten weit überproportionale Belastung der deutschen Steuerzahler war finanziell, aber auch politisch in dieser extremen Form nicht mehr tragbar, wenn wir nicht riskieren wollten, dass langfristig die Akzeptanz der europäischen Integration bei den Bürgern einer Erosion unterworfen würde.

 

Auch im Blick auf die durch die Erweiterung der EU zu erwartenden Aufgaben war diese Trendwende überfällig. Ohne die mühsam errungene Einigung über die Agenda 2000 wären weder die Verhandlungen über die institutionelle Reform der EU noch das Jahrhundertprojekt Osterweiterung weitergekommen. Auf beiden Gebieten haben wir uns in der Folge mit Nachdruck engagiert und wichtige Fortschritte erzielt.

 

 

(Reform der Institutionen, Finalität)

 

Joschka Fischer hat mit seiner Grundsatzrede vor der Humboldt-Universität (am 12. Mai 2000) konkrete Vorstellungen entwickelt, wie Europa in Richtung auf eine Verfassung mit föderaler Ausrichtung weitergedacht werden kann. Damit hat er in der EU eine umfassende Debatte über die Finalität Europas in Gang gebracht, eine Debatte, die längst überfällig war und der die Politik nicht länger ausweichen durfte.

 

Hinter dem Zögern stand zwar Befürchtung, dass die Antwort in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu unterschiedlich ausfallen würden. Doch mit der Vertiefung und Erweiterung wollen die Bürger nun wissen, wohin der Zug geht. Je mehr direkt spürbare Auswirkungen die EU auf das Leben der Menschen hat, desto mehr verlangen sie nach einer Antwort.

 

Nicht nur manches Beitrittsland muss sich zudem erst noch mit dem Souveränitätstransfer von der Ebene des Nationalstaates auf die Ebene der EU abfinden. Er betrifft z.B. die von uns gewollte Durchsetzung des generalisierten Prinzips der Mehrheitsentscheidung. Nur so kann aber eine erweiterte Union handlungsfähig und davor bewahrt bleiben, zu einer besseren Zollunion zu verkommen.

 

In enger Abstimmung mit unseren französischen Freunden wurden bereits auf dem Gipfel von Nizza im Dezember 2000 erste wichtige Weichenstellungen zu einer Reform der Organe der Union vorgenommen. Die Schlusserklärung enthält auch – vor allem aufgrund deutscher Initiativen – klare Zielvorgaben für größere Bürgernähe, mehr Transparenz und eine bessere demokratische Legitimierung der Union. Gerade diese Elemente können in ihrer langfristigen Bedeutung für die Zukunft der Union gar nicht überschätzt werden! Viel zu lange waren sie ausweichend behandelt worden. Heute gehören sie zu den Kernaufgaben der EU-Reform.

 

 

(Osterweiterung)

 

Alle diese Fragen und Probleme bekommen im Blick auf die Osterweiterung zusätzliche Dringlichkeit. Für die gesamte EU und ganz besonders für uns Deutsche hat die Erweiterung nach Osten historische Bedeutung. Sie ist nicht nur ein Akt historischer Gerechtigkeit, sondern auch ein konkretes Element europäischer Friedens- und Stabilitätspolitik!

 

Deutschland wird nach der ersten Erweiterungsrunde keine EU-Außengrenzen mehr haben. Mit der durch die Teilung Europas im Kalten Krieg bedingten künstlichen Randlage ist es dann endgültig vorbei, und wir können mit unseren polnischen Nachbarn im Osten eine ähnliche Freundschaft schließen wie mit Frankreich im Westen.

 

Es geht aber letztlich nicht nur um die geographische Erweiterung der Europäischen Union, sondern um einen großen Schritt zu ihrer Vollendung! „Vollendung“ bedeutet dabei die Ausdehnung einer Struktur auf möglichst weite Teile Europas, die nicht nur ökonomischen Fortschritt und Entwicklung, sondern auch eine dauerhafte Friedens- und Menschenrechtsordnung darstellt, wie wir sie in Europa noch nie gehabt haben.

 

Auch wirtschaftlich und kulturell profitieren wir als unmittelbare Nachbarn wichtiger Beitrittsländer besonders von diesem Prozess. Durch das Aushandeln vernünftiger Übergangsfristen (bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit) hat die Bundesregierung auch der verbreiteten Sorge Rechnung getragen, dass die Osterweiterung kurz- oder mittelfristig negative Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt haben könnte.

 

Diese Sorge war in bestimmten grenznahen Regionen stärker ausgeprägt als etwa im Ruhrgebiet – wo wir ja im Übrigen auf eine lange und erfolgreiche Geschichte der Integration polnischer Arbeiter und ihrer Familien zurückblicken können. Überhaupt kann die Region Rhein/Ruhr in Sachen Integration und Strukturwandel mit guten Beispielen und wertvollen Erfahrungen aufwarten, die wir in Deutschland und Europa noch brauchen werden.

 

 

(GASP, ESVP)

 

Will die Union politisch handlungsfähig sein, bedarf es auch zusätzlicher Anstrengungen bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, für die sich die unschöne Abkürzung „GASP“ eingebürgert hat. Ob es uns gefällt oder nicht – das internationale Gewicht der EU wird künftig noch mehr auch davon abhängen, inwieweit es ihr gelingt, politisch „Flagge zu zeigen“ und eigenständige Beiträge zu Krisenprävention und Konfliktmanagement zu leisten.

 

Wir stehen hier keineswegs am Anfang, sondern können auf einem soliden Fundament bauen, das lange vor dem 11. September gelegt worden ist. Um ein angemessenes Krisenmanagement gewährleisten zu können, schafft die EU im Rahmen der ESVP eigene Kapazitäten. Dabei setzten wir nicht etwa nur auf den Aufbau militärischer Mittel. Es ist geradezu ein „Markenzeichen“ der ESVP, sich auf parallele und ausgewogene militärische und zivile Fähigkeiten zu stützen. Hierfür haben wir uns in den letzten drei Jahren etwa durch den von uns initiierten Sondergipfel zum Aufbau ziviler Krisenbewältigungskapazitäten mit besonderem Nachdruck eingesetzt.

 

 

 

 (Transatlantische Beziehungen)

 

Über die Entwicklung der europäischen Perspektiven dürfen wir unsere transatlantischen Beziehungen nicht vernachlässigen. Nicht erst seit der Terrorkrise wurden sie etwas zu sehr unter militärischen und sicherheitspolitischen Gesichtspunkten gesehen. Deshalb arbeiten wir mit Nachdruck an einer neuen transatlantischen Agenda, die insbesondere die gemeinsame Verantwortung des industrialisierten Nordens für die Lösung globaler Fragen betont. Wie notwendig und schwierig diese Dimension ist, haben wir bei den Verhandlungen über den Klimaschutz und das Kyoto-Protokoll gesehen. Wir hoffen, dass der aus der Antiterrorpolitik resultierende neue amerikanische Multilateralismus, das Wissen, Freunde zu brauchen und Teil einer Weltgesellschaft zu sein, sich auch in verstärkten Anstrengungen zur Lösung globaler Fragen niederschlägt.

 

Zeiten wie die gegenwärtige sind für das Image der Europäischen Union nicht sehr förderlich. Wenn es um die Bekämpfung des weltweiten Terrorismus geht, treten schnell alte und neue Kritiker der europäischen Integration an die Öffentlichkeit und fordern eine Rückkehr zum allein handelnden Nationalstaat als angeblich logische Konsequenz. Wir halten dagegen: Das wiedervereinigte Deutschland mit all seinem Gewicht, wirtschaftlich und was die Bevölkerungszahl angeht, mitten in Europa gelegen, hat ein Interesse daran, Nachbarn und Freunde nicht mit Dominanzstreben und unilateralen Parforceritten, aber auch nicht durch Verweigerung und Disengagement, zu ängstigen. Im Sinne von Selbsteinbindung und Selbstbeschränkung muss gerade im deutschen Interesse die Antwort auf zahlreiche aktuelle Herausforderungen eine europäische sein.

 

Die Kosovokrise, aber auch die aktuellen Bestrebungen gegenüber Mazedonien, haben uns die Notwendigkeit, aber auch die Möglichkeit deutlich vor Augen geführt, europäische Handlungsfähigkeit in sicherheitspolitisch relevanten Fragen unter Beweis zu stellen. Nicht zuletzt auf unsere Initiative hin sind zudem sogenannte gemeinsame Strategien entwickelt worden, etwa zum Konflikt im Kaukasus oder der Stabilitätspakt für Südosteuropa. Auf dem Kölner EU-Gipfel von 1999 sind weitere wichtige Impulse gegeben worden. Wer hätte sich vor nur zehn Jahren diese Fortschritte vorstellen können? Ich finde, wir haben europapolitisch Erfolg gehabt, sollen Erfolg auch Erfolg nennen und darauf stolz sein.

 

 

Konfliktprävention und Krisenbewältigung

 

Den Gefahren des Terrorismus und der organisierten Kriminalität im Allgemeinen, aber auch anderen Herausforderungen einer zunehmend globalisierten und interdependenten Welt können wir nur mit einem breiten Politikansatz begegnen.

Eine besondere Bedeutung haben dabei nichtmilitärische, politische Strategien und Konzepte.

 

Deshalb hat die Bundesregierung – wie schon in der Koalitionsvereinbarung formuliert – ein Gesamtkonzept zur „zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ entwickelt und verabschiedet. Inzwischen sind wir mit der Umsetzung gut vorangekommen. Hier liegt ein Schwerpunkt, auswärtiger Reformpolitik. Geleitet hat uns auch die Einschätzung, dass die Kosten der Verhinderung von Konflikteskalationen – politisch wie finanziell – in jedem Fall geringer sind als die für ein militärisches Eingreifen.

 

Konfliktprävention ist eine Querschnittsaufgabe der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik, der Finanz- und Wirtschaftspolitik, der Umwelt-, Kultur- und der Rechtspolitik. Diese Politik setzt auf internationale Vernetzung, sucht die Zusammenarbeit internationaler Großorganisationen wie UNO, OSZE, EU, Europarat und NATO.

 

Neben der Verbreiterung dieses Politikansatzes im internationalen Feld haben wir mit dem Aufbau einer eigenen Infrastruktur begonnen. Im Rahmen der „Aktion ziviles Friedenspersonal“ haben wir ein auch international genutztes Trainingsprogramm für freiwillige Einsätze z.B. bei UNO- und OSZE-Missionen eingerichtet. Der dafür geschaffene „Personalpool“ ist mittlerweile auf rund 700 Personen angewachsen. Sie sind z.B. als Wahlbeobachter im Kosovo und in Mazedonien zum Einsatz gekommen, beim Verwaltungsaufbau in Ost-Timor oder bei Langzeitmissionen im Kaukasus. Anfang nächsten Jahres wird das AA seine Infrastruktur für Personalentsendung und Training durch Outsourcing, durch die Gründung einer neuen Institution erheblich verbessern. (Das spätere Zentrum für internationale Friedenseinsätze ZIF)

 

Die OSZE hat auf ihrem Gipfel 1999 unseren Ansatz als beispielgebend angesehen und als „react“-Programm in den eigenen Instrumentenkatalog aufgenommen, die G8 haben die von deutscher Seite angestoßenen Initiativen um die Themen „Rolle der Frau in der Konfliktprävention“ und „Soziale Verantwortung von Unternehmen“ erweitert.

 

Sicher ist das erst ein Anfang – weniger spektakulär als die Entsendung von Kriegsschiffen oder Flugzeugen, aber ein guter Anfang! Deshalb kann ich – nicht ohne eine gewisse persönliche Befriedigung – sagen, dass in den letzten drei Jahren vieles im Sinne der Stärkung nichtmilitärischer Instrumente der Sicherheitspolitik erreicht wurde, vieles, was zuvor als unrealistisch belächelt worden war.

 

 

Abrüstung und Rüstungskontrolle

 

Auch wenn Abrüstungsfragen öffentlich nicht mehr so gravierend erscheinen wie Mitte der 80er Jahre, so hat es hier doch bemerkenswerte Fortschritte gegeben.

Im Laufe dieser Wahlperiode konnten durch deutsche Beiträge Schlüsselfragen im Bereich der Anpassung des Vertrags über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) an die neuen sicherheitspolitischen Realitäten unseres Kontinents gelöst werden. Dies eröffnet Spielräume auch für die Reduzierung entsprechender Waffensysteme bei der Bundeswehr.

 

Heute beschäftigen uns weitere folgenschwere Fragen. Nicht zuletzt aufgrund der von uns wesentlich mitformulierten Besorgnisse der Verbündeten dürfte Präsident Clinton die Entscheidung zur Einführung von NMD/TMD, der nuklearen und taktischen Raketenabwehr, verschoben haben. Dass die Bundesregierung der weiteren atomaren Abrüstung und den Gefahren der Proliferation von biologischen und chemischen Waffen große Aufmerksamkeit widmet, bedarf in diesem Zusammenhang gewiss keiner besonderen Erwähnung.

 

Schreckliche Auswirkungen aber haben nicht nur Massenvernichtungswaffen, sondern auch Landminen und Kleinwaffen. Viele Länder leiden jahrzehntelang unter den furchtbaren menschlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Unser Engagement zum Verbot von Antipersonenminen ist in diesem Sinne humanitär und entwicklungspolitisch begründet. Und dieses Engagement zahlt sich aus: 121 Staaten haben das Ottawa-Übereinkommen für sich bereits in Kraft gesetzt, 20 weitere haben es gezeichnet. Hierdurch entsteht eine neue völkerrechtliche Norm, deren bindende Wirkung auch von vielen anerkannt wird, die dem Abkommen selbst noch nicht beigetreten sind.

 

Die Bundesregierung hat zudem mit großem Nachdruck Bemühungen initiiert und unterstützt, die der Ächtung oder Beschränkung der Kleinwaffenverbreitung dienen. Im Dezember 1998 verabschiedete die EU hierzu eine „Gemeinsame Aktion. Im Jahr 2000 wurde ein Verpflichtungsdokument der OSZE erstellt und 2001 ein VN-Aktionsplan verabschiedet. Unser Ziel ist es, weltweit auch Waffenvermittlungsgeschäfte unter Kontrolle zu bringen und die Verfolgung des illegalen Waffenhandels durch Markierungsstandards zu verbessern.

 

 

 

Nord-Süd-Politik

 

Unser multilateraler Ansatz gründet auf der Überzeugung, dass nur ein partnerschaftlicher Umgang auch mit den staatlichen Akteuren der Dritten Welt dauerhafte Wege zur Zusammenarbeit eröffnet. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass paternalistische Ratschläge – und seien sie noch so gut gemeint – keinen nachhaltigen Erfolg haben. Gewiss, viele Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas haben heute noch zu leiden unter den Ungerechtigkeiten und Menschenrechtsverletzungen, die ihnen von uns Europäern durch Kolonialismus, Sklaverei und ungerechte Handels- und Finanzpolitik zugefügt wurden. Immer mehr aber wächst das Bewusstsein in diesen Staaten, dass auch Misswirtschaft, Korruption und fehlende Staatlichkeit, also hausgemachte Probleme, das ihre zu den Entwicklungsproblemen beigetragen haben.

 

Jede Seite muss nun ihren Anteil an der Misere reduzieren. Wir müssen versuchen, soziale Kategorien in die WTO-Verhandlungen und Freihandelsabkommen zu integrieren, unsere Märkte zu öffnen, die Schuldenlast weiter zu erleichtern. Aber auch die Eliten der Drittweltländer sind in der Verantwortung. Dies ist heute auch ihr eigenes, selbstbewusstes Verständnis. Gleiche Augenhöhe vorausgesetzt, haben wir nicht nur die Pflicht zu geben – etwa mehr Entwicklungshilfe, sondern auch das Recht, zu nehmen – etwa die Verpflichtung zum verantwortlichen Umgang damit, zu good governance.

 

Wir haben aufgrund von pointierten Darstellungen in den Medien die Tendenz, zu übersehen, dass sich z.B. in Afrika politisch eine Menge getan hat. In unserer Optik bestimmen noch zu sehr Dürrekatastrophen, die AIDS-Pandemie und politische Krisenherde klischeehaft unser Afrikabild. Diese Probleme sind in der Tat äußerst virulent, aber positive Entwicklungen ebenfalls. So haben die Staaten Afrikas die „Afrikanische Union“ gegründet, die sich am Beispiel der EU orientieren und eine kontinentalweite Ansprechpartnerin für die europäischen Regierungen und die EU darstellen will. Sie haben die wegweisende Initiative „New Partnership for African Development“ ins Leben gerufen, mit der sie im Sinne der african ownership, der Eigenzuständigkeit der Afrikaner für ihre Angelegenheiten, die Verantwortung für ihren Kontinent übernommen haben. Damit ist das alte entwicklungspolitische Credo der „Hilfe zur Selbsthilfe“ obsolet geworden. Selbsthilfe ist längst in Gang gekommen, sie braucht nun unsere partnerschaftliche Begleitung.

 

Die jetzige Bundesregierung hat die Nord-Süd-Politik der Vorgängerregierung gründlich revidiert. Deren Kontinentalkonzepte zu Asien, Lateinamerika und Afrika waren zu allgemein und daher praktisch wenig aussagekräftig. Wir haben begonnen, sie durch regionale und subregionale Konzepte zu ersetzen. Diese erlauben die Formulierung konkreter Handlungsansätze und spezifischer Strategien, nicht nur für das Auswärtige Amt allein, sondern auch in seiner koordinierenden Funktion und für andere Akteure.

 

Die bis dahin einseitig wirtschaftslastige Tendenz haben wir systematisch ergänzt um die Dimension des politischen Dialogs, der Sicherheitsfragen ebenso umfasst wie gute Regierungsführung, Menschenrechte und kulturellen Zusammenarbeit. Ich selbst jedenfalls habe die Erfahrung gemacht, dass so auch eine bessere Grundlage für wirtschaftliche Kontakte geschaffen wird. So haben mir Partner z.B. in Indonesien offen gesagt, bitte, Ihr lieben Deutschen, kommt nicht nur immer, um uns etwas zu verkaufen. Kommt doch einfach mal vorbei und fragt uns, wie es uns geht, schaut Euch unsere Kulturgüter an, macht hier Urlaub – und dann werdet Ihr merken, Geschäfte machen wir am liebsten mit Freunden.

 

Diese Philosophie durchzieht all unsere neuen Regionalstrategien. Die jüngste ist übrigens die zum südlichen Afrika, zu den SADC-Staaten. Wie die anderen ist sie im Internet zu finden.

 

Regionale Strategien haben wir auch für Lateinamerika erarbeitet, das wir in Mercosur-Staaten, Andenstaaten, Zentralamerika, Karibik und Mexiko gegliedert haben. Dieser Ansatz fließt auch in die Verhandlungen der EU mit ein, die zurzeit intensiv an einem Freihandelsabkommen mit dem MERCOSUR und Chile arbeitet. Die Bedeutung solcher Abkommen für die Marktchancen deutscher liegt auf der Hand, zumal dann, wenn sich auch USA und NAFTA um eine gesamtamerikanische Freihandelszone bemühen. Mit unseren Regionalkonzepten versuchen wir auch, so gut wir können, beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen zu helfen. Dies betrifft besonders die Staaten des Andenpaktes. In Zentralamerika haben wir zudem eine Initiative mit angestoßen, die Verwundbarkeit dieser Region durch Naturkatastrophen durch verbesserten Katastrophenschutz zu vermindern.

 

Mit den Ländern Südamerikas verbindet uns seit dem Rio-Gipfel 2000 eine strategische Partnerschaft, die umfassende Kooperationsmöglichkeiten eröffnet. Nordamerika, Südamerika und Europa sollen – das ist unser Plan – ein transatlantisches Dreieck bilden.

 

Deutschland ist ein Exportland, das der Welt viel zu bieten hat an Investitionen, Gütern und Dienstleistungen. Doch der größte deutsche Exportschlager ist vielleicht der Rechtsstaat. Jedenfalls gibt es weltweit eine enorme Nachfrage nach Beratung in Fragen des institutionellen Aufbaus, des capacity building. Der Rechtsstaatsdialog mit der Volksrepublik China ermöglicht uns heute bereits, auch prekäre Fragen von Menschenrechten, Strafvollzug, administrativen Verfahren anzusprechen. Mit ersten Erfolgen. Und es ist nicht zufällig, dass MP Zhu dem deutschen Bundeskanzler gegenüber erstmals Defizite in der Menschenrechtslage öffentlich zugegeben hat.

 

Es erweist sich hier, dass die systematische, aber sensible Thematisierung von Menschenrechtsfragen mehr bringt als die öffentliche Anklage. Ich habe selbst oft folgende Erfahrung gemacht: wir Europäer müssen zugestehen, dass gute Regierungsführung in riesigen, heterogenen Konglomeratstaaten mit Tausenden von Inseln, Hunderten von Völkern und Sprachen, erheblich schwieriger ist als in unseren europäischen, weitgehend homogenen und überschaubaren Staaten. Wenn wir dies zugestehen, dann und nur dann sind die anderen auch bereit darüber zu reden, dass sie Menschenrechtsprobleme haben. Auch hier schadet der erhobene Zeigefinger, gemeinsames Lernen aber hilft beiden Seiten weiter.

 

Mit China stehen wir auch im Dialog zu Umweltfragen – und ich konnte feststellen, dass sich unsere Mühe bereits auszahlt: bei der Kanzlerreise vor 2 Wochen nach China hörte ich von mitreisenden begeisterten Wirtschaftsvertretern, dass sich in der chinesischen Politik und Wirtschaft seit dem deutsch-chinesischen Umweltgipfel 2000 mehr und mehr ein Trend zu Umwelttechnologien und umweltfreundlichen Produktionsweisen durchsetzt. Dies ist übrigens auch ein Beispiel für die Umweltaußenpolitik, die von der neuen Bundesregierung auf die Außenpolitische Bühne gehoben wurde.

 

China ist in Beispiel für die neue Politik gegenüber asiatischen Staaten: auch hier haben wir das überholte Konzept der früheren Bundesregierung suspendiert. Ein neues Regionalkonzept für Südost-Asien, anlässlich der Osttimor-Krise 2000 im Dialog mit den Nachbarstaaten entwickelt, ergänzt die bisher fast ausschließlich exportwirtschaftliche Dimension durch die oben genannten Ebenen, einschließlich der sicherheitspolitischen Dimension. Die deutsche Indienpolitik haben wir bereits vor dem grauenhaften Attentat erheblich intensiviert; dies zahlt sich jetzt aus. Diese politischen Offensiven gewinnen aktuelle Bedeutung angesichts der großen muslimischen Bevölkerungsanteile in zahlreichen asiatischen Staaten, die bei einer Radikalisierung durch islamistische Gruppen erhebliche Stabilitätsrisiken bergen könnten. Auch in Asien möchten wir daher die Regionale Zusammenarbeit gestärkt sehen. Auf unsere Anregung hin hat neben den etablierten Treffen von EU, ASEAN und ostasiatischen Staaten bereits ein erstes Dialogtreffen zwischen OSZE und dem Asia Regional Forum (ARF) zu sicherheitspolitischen Fragen stattgefunden.

 

Wer in den letzten Wochen in Berlin war, konnte als Ergebnis unserer kulturellen Beziehungen die bemerkenswerten kulturellen Errungenschaften Asiens live in der „Asien-Pazifik-Woche“ erleben. Zum ersten Mal war auch Nordkorea vertreten, mit dem wir zu Beginn dieses Jahres diplomatische Beziehungen aufgenommen haben. Auch hier setzen wir auf Dialog statt auf Konfrontation. Es ist besser, Außenseiter mit ihren Ansprüchen ernst zu nehmen und sie zu integrieren zu versuchen, als sich gegen sie mit fragwürdigen Raketenabwehrschirmen schützen zu wollen.

 

 

Dialog der Kulturen, Globale Fragen

 

Diese Beispiele für den Dialog der Kulturen nähren unseren Optimismus, dass der von manchem Kulturpessimisten an die Wand gemalte Kampf der Kulturen vermieden werden wird. Der Kampf um Kultur beweist immer wieder, dass die ethischen Fundamente in allen Weltreligionen hinreichende Gemeinsamkeiten für eine gemeinsame globale Verantwortung bieten.

 

Multilateralismus ist ein weiterer Schlüssel zu einer friedlichen Welt. Für uns sind die Vereinten Nationen die wichtigste Instanz zur Bearbeitung globaler Fragen und wichtiger Referenzrahmen zur Lösung regionaler Krisen. Uns wird z.B. die Beendigung des Kosovo-Krieges durch eine UNO-orientierte Strategie, die wir initiiert haben, gutgeschrieben. Was von manch kritischem Geist in Deutschland als deutsche Kriegsbeteiligung verurteilt wird, erscheint dem Rest der Welt als ein gelungenes Stück Diplomatie zur Konfliktbeendigung. Die Welt bemerkt unser Engagement, die Rolle der VN zu stärken, den Dialog der Kulturen zu suchen und zu fördern, globale Fragen partnerschaftlich anzugehen und unsere nach der Wiedervereinigung gewachsene Bedeutung. Dies spiegelt in den zahlreichen Zusagen zur Wahl Deutschlands für den nichtständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat 2003 und hat zu dem Wunsch vieler Staaten geführt, die Bundesrepublik Deutschland ständig im Sicherheitsrat zu sehen. Im Koalitionsvertrag bevorzugen wir zwar eine „europäische Variante“. Ich habe aber auch gelernt, dass eine Diskussion um die nötige Reform des UN-Sicherheitsrates faktisch nur so lange in Gang bleibt, als ein deutscher Anspruch im Raume steht.

 

Unser UNO-Engagement wird durch das „Forum globale Fragen“ unterstrichen, das wir in Berlin eingerichtet haben. Dort führen wir regelmäßig im Sinne einer „Public-Private Partnership“ die verschiedensten staatlichen und nichtstaatlichen Akteure internationaler Politik – Nichtregierungsorganisationen, Medienvertreter, Einzelpersönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft – zu einem offenen, manchmal sehr kontroversen Meinungsaustausch zusammen. Viele Ideen und Gedanken fließen anschließend in unsere offizielle Politik ein. Das nächste Forum eröffne ich übermorgen (16.11.) zum Thema „Globalisierung und Kommunikation“. Wenn Einzelne von Ihnen Interesse haben – ich will gern sehen, ob ich Sie noch einladen kann!

 

 

Innen- und Außenpolitik

 

Im Dialog mit Nichtregierungsorganisationen haben wir ein wichtiges Instrument für Gerichte und Innenbehörden verbessern können, nämlich die „Berichte des Auswärtigen Amtes über die Asyl- und Abschiebungsrelevante Lage“ in einem Land. Vielleicht sind einige Vertreter der Justiz hier im Publikum damit befasst. Wir haben festgestellt, dass zusätzlich zu den Erkenntnissen der Botschaft wesentliche und belastbare Erkenntnisse über die Lage in Herkunftsländern von Asylbewerbern von UNHCR, Flüchtlingsräten, Amnesty International, Pro Asyl und anderen Gruppen eingebracht werden können. Wir übernehmen nichts ungeprüft. Wir färben keine Situationen schön, wir wollen den Ausländerbehörden und Gerichten komplette und objektive, möglichst umfassende Informationen an die Hand geben, die ihnen erlauben sollen, die Angaben von Asylbewerbern zu überprüfen und vor Abschiebungen die Konsequenzen wirklich erkennen zu können. Wir haben sehr viel positive Resonanz auf diese Reform erhalten. Ergänzt haben wir sie durch eine liberale Reform der Vergabepraxis von Visa, die durch das aktuelle Sicherheitspaket ergänzt wird. Auf diese Weise tragen wir zur Entwicklung eines modernen, zugleich sicherheitsorientierten und weltoffenen Grenzmanagements bei.

 

Neben die große Politik tritt immer wieder die Einzelfallhilfe, z.B. zur Befreiung von Entführten. Sie erinnern sich an die Befreiung der Familie Wallert im letzten Jahr. Vor kurzem ist es dem Auswärtigen Amt gelungen, drei in Kolumbien entführte Deutschen, darunter einen GtZ-Mitarbeiter, heil nach Deutschland zurückzubekommen, ebenso wie einen deutschen Diplomaten, der im Jemen auf einer Dienstfahrt gekidnappt worden war. Geduld und Zähigkeit war das oberste Gebot, aber die Zeit bis zur glücklichen Freilassung ist nervenaufreibend für alle.

 

Hier hat sich übrigens ausgezahlt, dass wir im AA infolge der zunehmenden Notlagen von Deutschen im Ausland ein Krisenreaktionszentrum aufgebaut haben, das hochprofessionell 24 Stunden im Einsatz ist und dabei übrigens mit den entsprechenden Stellen der Tourismuswirtschaft eng kooperiert. Nützlich ist auch unser Bürgertelefon, das ich noch vor den „Großen Ferien“ eröffnen konnte, damit es Reisende bei der Reiseplanung mit Informationen versorgt oder bei „kleineren“ Notlagen wie Passverlust, Konkurs der Airline vor dem Rückflug oder bei Krankheit und Unfällen im Ausland helfen oder Hilfe vermitteln kann. Um das konkret darzustellen ein Beispiel: nach dem 11.9. gingen in wenigen Tagen über 23.000 Anrufe von Bürgern ein, die ihre Familienangehörigen, Freunde oder Kollegen vermissten. 200 Beamte des AA leisteten freiwilligen Schichtdienst (nach der Arbeit, versteht sich). „Nebenbei“ liefen die Bemühungen um die Geiseln in Kolumbien und im Jemen.  (auf Nachfrage 01888-174444)

 

 

 

Zivilmacht, politischer Pazifismus und neue Bedrohungen

 

Gut zehn Jahre nach der Wiedervereinigung ist nicht mehr zu verdrängen, dass der Bundesrepublik Deutschland eine enorm gewachsene Verantwortung nicht nur bei der Lösung europäischer, sondern auch globaler Fragen zukommt. Wir können uns nicht mehr hinter dem breiten Rücken unseres transatlantischen Partners und unserer europäischen Freunde verstecken. Die Zeiten sind vorbei, in denen Angst und Furcht von Deutschland ausging. Die Welt erwartet weit mehr von uns, als dem allgemeinen Bewusstsein hier im Lande entspricht. Die Staaten und Völker wissen, dass wir unsere Vergangenheit redlich aufzuarbeiten bemüht sind und die notwendigen Konsequenzen gezogen haben. In den selbstquälerischen Diskussionen darüber, ob Deutschland auch militärisch bei der Lösung von regionalen Konflikten engagiert sein sollte, kam und kommt zum Ausdruck, wie wenig unser Volk, unsere Politiker und unser Staat darauf aus sind, in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt zu werden. Dies ist eine positive Wendung in dem, was manche als Nationalcharakter bezeichnen, die man nicht hoch genug einschätzen kann. Die Lehre aus der Geschichte kann für uns jedoch nicht heißen, sich selbst zurückzulehnen und zuzuschauen, wie andere schwere Verantwortung auf sich nehmen.

 

Deutschland hat versucht, sich als Zivilmacht zu etablieren. Zivilmacht bedeutet dabei, den Anspruch zu haben, eine wesentliche Rolle bei der Lösung von Problemen zu spielen, gleichzeitig aber durch Selbstbeschränkung und Selbsteinbindung in internationale Strukturen jede Furcht vor nationalen, gar chauvinistischen Alleingängen überflüssig zu machen und die Rolle des Militärischen möglichst weit in den Hintergrund zu rücken.

 

Neue Bedrohung: der internationale Terrorismus

 

In dieser Rolle hatten wir uns gerade einzurichten begonnen, als die Terroranschläge auf Amerika nicht nur Tausende unschuldiger Opfer hinterließen, sondern auch unser Weltbild, unser Selbstverständnis bis ins Mark erschütterten. Der 11.9. war wie das Ende des zweiten Weltkriegs eine Stunde null der internationalen Politik. Dieses Datum erfordert, alle Grundkategorien und Rezepte der eigenen internationalen Politik daraufhin zu überdenken, ob sie den neuen Bedrohungen gerecht werden. Die Bundesregierung hat schnell erkannt, dass wir einen völlig neuen sicherheitspolitischen Diskurs brauchen, eine Sicherheitspolitik, die sich nicht mehr an den alten noch aus dem kalten Krieg stammenden Bedrohungsszenarien orientiert. Nicht nur der kalte Krieg ist vorbei, sondern auch die kühle Nachkriegszeit. Russland macht uns Freundschaftsangebote, die nicht ausgeschlagen werden sollen. China verbindet ambitionierte Entwicklungsziele mit zunehmender internationaler Dialogbereitschaft. Die Zeiten, wo wir uns durch andere Staaten bedroht fühlen konnten, sind passé.

 

Die heutige Bedrohung Nr. 1 für den Weltfrieden geht aus von der privatisierten Gewalt, die sich in manchen Gegenden dieser Erde, konzentriert im Moment in Afghanistan, gegen die gesamte zivilisierte Welt, gegen alle Völker und Kulturen richtet. Begonnen hat nicht der Kampf der Kulturen, begonnen hat der Kampf um Kultur. Angegriffen wurde die moderne, die zivilisierte Welt mit ihren offenen Gesellschaften als solche durch Kräfte, die sich jeder Modernisierung entgegenstellen und mittelalterliche Herrschaftsformen durchsetzen wollen. Wir haben es mit einer Gefahr zu tun, wo sich eine verbrecherische Schattengesellschaft quasi unter unsere moderne globalisierte Gesellschaft schieben und diese unterminieren will – finanziert durch den Handel mit Drogen und schmutzigen Diamanten, aber auch aus Erbschaften des Ölbooms, bereit Massenvernichtungswaffen zu benutzen, den Islam als Begründung für ihre menschen- und gottesfeindlichen Ziele missbrauchend. Die Zivilisationen müssen sich gegen diese Gefahr verteidigen.

 

Damit kommt ein Aspekt in der Außenpolitik wieder zur Geltung, der in den 90er Jahren in den Hintergrund trat, der der Sicherheit. Zehn Jahre haben wir geglaubt, eine Friedensdividende nutzen zu können, um die anderen beiden Ziele internationaler Politik besser erreichen zu können: Wohlstandssicherung bei uns und anderen und die Verteidigung und Durchsetzung von Demokratie, Partizipation und Menschenrechten. Der 11.9. hat mit erschreckender Deutlichkeit klar gemacht, dass für uns Europäer nach dem epochalen Wandel auf unserem Kontinent das Thema Sicherheit nicht ein für alle Mal erledigt ist. Die Bundesregierung hat sich deshalb, unterstützt vom Parlament, entschlossen, eine aktive Rolle in der internationalen Koalition gegen den Terrorismus zu spielen. Selbstverständlich geht ein solcher Perspektivwechsel in der eigenen Außenpolitik nicht ohne tiefgreifende Diskussionen, nicht ohne Selbstzweifel, nicht ohne kritische Nachfragen, nicht ohne kontroverse Diskussionen ab. Wir werten dies eher als positives Zeichen. Denn wenn sich unsere Gesellschaft, wenn sich unser Staat in der internationalen Gemeinschaft neu verorten will, dann muss dies im vollen Bewusstsein der Verpflichtungen und auch der Risiken geschehen.

 

 

 

(Globalisierung)

 

Noch kurz vor dem 11.9. hatten wir eine hochkontroverse öffentliche Diskussion über die Perspektiven der Globalisierung, auch darüber, inwieweit über politische Rahmensetzungen der Globalisierungsprozess gesteuert werden müsse. Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien haben sich in der Vergangenheit intensiv eingesetzt für eine internationale Strukturpolitik, für global governance, für eine globale Ordnungspolitik oder welchen Namen auch immer man den Bestrebungen geben mag, auf der einen Seite die Entfaltung von Marktkräften zu fördern, auf der anderen Seite aber ihre zerstörerisch wirkende Entfesselung durch eine politische Rahmensetzung einzudämmen. Bei aller Kritik, die an Auswüchsen der Globalisierung geübt werden kann und muss, gilt es heute, den globalen Ansatz zu verteidigen gegen diejenigen Kräfte, die uns mit Terrorakten zurückzwingen wollen in mittelalterliche Weltvorstellungen. Zur Verteidigung der Globalisierung gehört aber auch ihre mutige Reformierung.

 

In der neuen deutschen Außenpolitik fließen verschiedene Philosophien zusammen, die sich gegenseitig befruchten können. Eine aufgeklärte Realpolitik, ein auf internationale Verflechtung setzender Institutionalismus, ein politischer Pazifismus, der das Primat der Politik in jeder gegebenen Situation auch praktisch durchzusetzen versucht. Für diese Tendenz gibt es eine breite Mehrheit im Parlament und auch in der Bevölkerung. Nationalistische und militaristische Töne gehören der Vergangenheit an. Sie werden den Hauptstrom der deutschen Außenpolitik genauso wenig beeinflussen können, wie jene, die jedes weltweite Engagement unter Imperialismusverdacht stellen.

 

Ich stehe hier vor Ihnen, um dafür zu werben, diese neue Tendenz der deutschen Außenpolitik nach Kräften zu unterstützen. Außenpolitik ist nicht nur das Arbeitsfeld der Regierung. Im Zuge der Globalisierung gibt es zahlreiche Akteure, die internationalisierende Politik betreiben. Nichtregierungsorganisationen, seien es die humanitären Hilfswerke oder seien es Wirtschaftsunternehmen, sind wichtige Akteure im internationalen Feld. Die Bundesregierung hat sich mit ihrem Dialogangebot darum bemüht. die verschiedenen Akteure in einen gemeinsamen Diskurs zu bringen. Aber auch Staatliche Außenpolitik ist kein Relikt aus der Vergangenheit, das im Zeichen der Globalisierung zurücktreten kann hinter die individuellen Schritte der einzelnen Akteure. Staatliche Außenpolitik ist die Instanz, die den Überblick behalten muss über die verschiedenen Aktivitäten und Tendenzen, die steuernd eingreifen muss, die koordinieren sollte.

 

 

Schluss

 

Ich hoffe, dass ich mit meinem Beitrag deutlich gemacht habe, dass auch die Außenpolitik und ihre Hauptagentur, das Auswärtige Amt, eine Leistung für die Bürgerinnen und Bürger erbringt. Unsere Diplomatinnen und Diplomaten arbeiten hart, oft auf unbequemen Posten in Ländern, in denen die meisten von Ihnen nicht mal Urlaub machen würden. Sie leisten einen Beitrag zu einer deutschen Außenpolitik, die versucht, gewalt-, konflikt- und krisenpräventiv zu handeln. Wir wissen, das Vorbeugung letztlich billiger ist als heilen. Aber auch, wenn wir weniger Mittel benötigen als etwa die militärischen Einrichtungen, so brauchen wir doch ein Minimum an Finanzausstattung, um unserer Aufgabe gerecht werden zu können. In der öffentlichen Eindruckskonkurrenz kommt die Leistung krisenpräventiver Politik nicht richtig zur Geltung. Denn ihr Zweck ist gerade, Bilder mit Feuer und Rauch, Toten und Verletzten zu verhindern. Sie liefert keine Action-Bilder und versucht alles zu tun, dass die Nachrichtensendungen langweilig werden. Die Strafe sind viel zu knappe Mittel. Sie, meine Damen und Herren, gehören hoffentlich spätesten seit heute zu den Steuerzahlern, die eine Investition in die Außenpolitik nicht für Verschwendung halten. Ich möchte dafür werben, die Stärkung der Auswärtigen Politik und des Auswärtigen Amtes als Investition anzusehen, als Investition in Sicherheit, Demokratie und Menschenrechte, Wohlstand und nachhaltige Entwicklung, ein internationales Klima, das Handel und Investitionen begünstigt und in eine Welt, die lebenswert und liebenswert bleibt – nicht nur für uns.