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(Am 15. Mai 1991 schrieb ich diesen Beitrag für die Bonner Illustrierte. Ich war gerade Parteivorsitzender der Grünen geworden und bemühte mich, die verzerrten Wahrnehmungen in der Partei und über sie geradezurücken.)

Deutschland war kein Thema, als wir uns vor elf Jahren gründeten. Uns ging es um Ökologie, Frieden, Emanzipation der Frauen. Im Bundestag dann mussten wir auch zur deutschen Frage Stellung nehmen. Die SPD-Politik setzte auf zwischenstaatliche Entspannung und Blockstabilität; der Preis war die Zementierung der inneren Verhältnisse in Deutschland West und Ost. „Berechenbarkeit“ der eigenen Politik schloss eine Unterstützung von Oppositions- und Emanzipationsgruppen aus.  Wie nun konnten die GRÜNEN, die neue politische Kraft, das friedenspolitisches Ziel der Auflösung aller Militärblöcke, also Destabilisierung, und die außenpolitische Forderung nach Anerkennung der DDR, also Entspannung, verknüpfen? Wie konnte es gelingen, staatliche Anerkennung der DDR einerseits und SED-Staat-feindliche Unterstützung von Emanzipationsprozessen in der DDR zu verbinden?

Diese heiklen Fragen diskutierten wir intensiv – aber nur in unserem außenpolitischen Arbeitskreis. Die Partei als Ganze interessierte sich kaum dafür. Umso mehr aber die Stasi, die – wie wir heute wissen – alles mitbekommen haben muss. Dennoch gelang einigen die Verknüpfung von Entspannung und Subversion auch praktisch. Ein offizieller Besuch bei Honecker schuf die Logistik für die Versorgung von Oppositionsgruppen mit technischem Gerät und kritischer Literatur. Eine Demonstration auf dem Alexanderplatz und Besuche bei Oppositionellen flankierten den Staatsbesuch. Die DDR-Oberen reagierten gereizt: Einreiseverbote für alle bekannten Mitglieder der GRÜNEN jahrelang. Wer ausnahmsweise durchgelassen wurde, hatte die Stasi auf den Fersen.

Jahre später der Fall der Mauer. In der untergehenden DDR gründete sich eine grüne Partei. Zu zahlreichen Menschen der unabhängigen Bürgerrechtsgruppen hatten einige von uns lange illegale Kontakte gepflegt. Wir wollten mit beiden zusammenarbeiten, keine Gruppe einfach einverleiben, wie das die anderen Westparteien getan hatten. Aber wo war jenseits des guten Willens die Strategie? Es gab keinen Bestand fester deutschlandpolitischer Positionen wie bei den Altparteien. So schlingerten wir zwischen einer blanken Ablehnung der Einheit, die immer mehr an Realitätsbezug verlor, und einer illusionären Hoffnung, das neue Deutschland über eine Verfassungsdebatte wirklich mitgestalten zu können.

Das alles im Wahlkampfjahr 1990. Unsere klassischen Themen gerieten in den Hintergrund. Die drohende Klimakatastrophe (damals schon!!!, LV, 2024) schien wie weggeblasen. Nur Deutschland zählte noch. Und während Kanzler Helmut Kohl das Volk belog, denen drüben schnellen Wohlstand versprach, ohne die hüben zur Kasse bitten zu müssen, wurden wir GRÜNEN immer blasser. Einige allerdings nutzten das Vakuum, um sich mit besonders schrägen Vorschlägen zu profilieren und provozierten damit einen inneren Streit, der uns in der Öffentlichkeit als ungenießbar erscheinen ließ.

Dabei waren wir im Vorjahr so gut in Form gewesen. Der Kanzler schlitterte durch die Fettnäpfe, und wir inszenierten in der Sommerpause das Theaterstück „rot-grün in Bonn“. Immer mehr fanden Gefallen daran, Illustrierte stellten rot-grüne Schattenkabinette vor. Dann rettete das Thema Deutschland den Kanzler. Wir blieben auf der Strecke.

Und heute, im Mai 1991? Die Leute reiben sich die Augen und sehen wieder klarer. Kein Wirtschaftswunder im Osten, kein Nulltarif im Westen. Wer guten Willens höhere Steuern, Abgaben und Zinsen zahlt, den Auslandsurlaub wegen der DM-Schwäche teurer bezahlt, darf miterleben, wie das Geld planlos verpulvert wird. Statt eines gezielten sozialökologischen Umbaus regionaler Wirtschaftsstrukturen im Osten – ein an Schamanenglauben erinnerndes Bekenntnis zur Wunderkraft des Marktes. Statt der angekündigten Förderung von einheimischer Initiative – Ausverkauf an Investoren aus dem Westen. Statt das Volksvermögen, das unter Schutt und Brennnesseln begraben liegt, freizuschaufeln – die endgültige Kaputtsanierung. Der brachiale Versuch, die „neuen Länder“ ohne Rücksicht auf Verluste auf Weltmarktstandard zu trimmen, die ungeschützte Anpassung an weit überlegene Strukturen nimmt billigend das tiefe Tal in Kauf, die statistische Anpassungsdelle, die vor dem – nicht einmal sicheren Aufschwung – steht. Dass dies gleichbedeutend ist mit der Beendigung des Erwerbslebens für die über 45jährigen, enttäuschte Hoffnung für die darunter, mehr häusliche Schufterei in der Regel für die Frauen – das alles wusste der Kanzler vorher. Nicht geirrt hat er sich, nicht korrigieren musste er sich. Er muss es gewusst haben. Diese Kombination von kreditfinanzierter Industrialisierung und Austeritätspolitik (Gürtel enger schnallen) kennen wir aus der sogenannten Entwicklungspolitik gegen die „Dritte Welt“. Die fatalen Folgen können wir dort studieren. So wie es dort „Brotaufstände“ der Armen gibt, wird der Protest der Zukurzgekommenen in den neuen Ländern immer wütender werden, auch wenn manches Maul noch mit westlichen Konsumgütern gestopft werden kann.

Deutschland droht eine Struktur wie sie Italien aufweist. Die neuen Länder als deutscher Mezzogiorno. Innere Wanderungsbewegungen und innerer Rassismus. Nur durch gezielte regionale Wirtschaftspolitik kann das verhindert werden. Den Moloch Berlin weiter wuchern zu lassen und auf Sickereffekte in das Umland zu hoffen, ist weniger als ein schlechter Ersatz dafür. Die Theorie der „Entwicklungszentren“ in strukturschwachem Umland ist – siehe wiederum die Dritte Welt – längst widerlegt. Die Politik muss sich über die Marktkräfte stellen, statt diese nur zu bedienen, das ist die Grundsatzentscheidung, die getroffen werden muss. Die Liberalkonservativen an der Macht wollen das nicht. Die Alternative heißt rot-grün

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