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(Wasserpistolen beim grünen Parteitag! Bis heute wird in bildmächtigen Medien der Mythos transportiert, auf dem grünen Parteitag von Neumünster im April 1991 seien die Grünen im völligen Chaos versunken. Das Gegenteil ist der Fall. Neumünster war die Neugeburt der Grünen (West), die 1990 aus dem Bundestag geflogen waren. Basis war ein erneuerter Grundkonsens („Friede von Neumünster“) und ein breit getragener integrativer neuer Parteivorstand, der dann die Fusion mit Bündnis 90 ebenso organisierte wie das Comeback 1994 in den Bundestag. Die Wasserpistolen wurden von einer kleinen „radikalökologischen“ Minderheit („Fundis“) gezückt, die den neuen Konsens nicht mittragen wollte. Sie demonstrierte ihre Randständigkeit. Für Bildmedien scheint jedoch zu gelten: Man klebt Filmchen mit Unterhaltungswert zusammen, die man zufällig gedreht hat und verkauft den Clip dann als Geschichtsschreibung. Dabei erklärt dieser nichts, außer die parasitäre Existenz mancher Fernsehmacher. Der folgende Text enthält einen offenen Brief vom 13. Mai 1991, den ich als gewählter Parteivorsitzender an die Wasserpistoleros geschrieben habe.)

Offener Brief an die RadikalökologInnen zu ihrem Abspaltungsbeschluss vom 7. Mai 1991

Wenn Ihr Euch in Frankfurt versammelt, um Euren Austritt aus den Grünen zu zelebrieren, sollt Ihr wissen: es ist nicht Aufgabe des Bundesvorstandes der Partei, Gruppen oder Personen hinauszudrän­gen; gerade nach Eurem Auftreten in Neumünster aber ist auch beim linkeren Teil der Partei die Zahl der Menschen erheblich gewach­sen, die kaum noch eine Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit Euch sehen.

Ihr versucht den Eindruck zu erwecken, die Grünen bestünden zum allergrößten Teil aus Verrätern, korrupten Elementen, angepassten Existenzen, während Ihr in alter Frische die eigentlichen Ziele unserer Partei hochhaltet. Warum geht es nicht eine Nummer klei­ner: lasst uns doch einfach festhalten, dass eine mehr als neunzigprozentige Mehrheit der Partei, die ihr als „traurigen Rest“ wahr­nehmt, und Eure höchstens zehnprozentige Minderheit, die als lern­unfähig gilt, sich im Laufe der letzten Jahre politisch und menschlich auseinanderentwickelt ha­ben.

Drei Prüfsteine für Euren Verbleib hattet Ihr vor der BDK in Neumünster aufgestellt. Ihr wolltet gehen, wenn das „Aufbruch“-Konzept einer „ökologischen Bürgerrechtspartei“, die Aufhebung der Tren­nung von Amt und Mandat und NN als Sprecherin durchkä­men. Nichts von allem ist geschehen. Dennoch habt Ihr Euren Abgang inszeniert. Die Gründe müssen also woanders liegen.

Ihr habt nicht nur Unrecht. In der Partei hat es tatsächlich Fehlentwicklungen gege­ben, Karrierismus, Ökotechnokratentum, den Versuch Spätaufge­sprungener, die Partei für andere Zwecke und Ziele zu funktionalisieren. Hättet Ihr bei einem ansonsten erkenn­baren Wil­len zu konstruktiver Erneuerung der Partei solche Missstände ange­prangert, wäret Ihr nicht in die Isolation geraten.  Dass bei dem Prozess, der Euch vor zwei, drei Jahren aus dem Zentrum der Partei drängte, neben notwendiger und berechtigter Kritik an Euch auch üble Intrigen und Rufmord­kampagnen eine Rolle spielten (Wittgen­stein-Komplex), gehört zu den düsteren Kapiteln unserer Parteige­schichte.

Der eigentliche Grund aber für Euer Abrutschen in eine Minder­heitsposition, ja für Euer Scheitern in der grünen Partei, liegt bei Euch selbst. Ihr seid die letzten, die ein­fach nicht wahrhaben wollen, dass wir nicht mehr die Protestpartei der frühen achtziger Jahre sind und sein können, sondern uns in einer harten Par­teienkonkurrenz um die plausibleren Konzepte für die Zukunftsge­staltung befinden. Und dies nicht wegen innerer Anpasslerei, son­dern wegen veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. Ihr wollt einfach nicht einsehen, dass die reine Anprangerung ökologi­scher und sozialer Missstände, das Beschwören der großen Katastro­phe kaum noch aufklärerischen Wert besitzt. Wie könnt Ihr Euch nach Jahren außerparlamentari­scher Arbeit der Einsicht ver­schließen, dass sozialökologische Po­litik neben der Straße auch in­stitutionelle Formen der Umsetzung bis hin zu Koali­tionen braucht?

Warum stoßt Ihr die Öffentlichkeit, die wir gewin­nen wollen, durch reine Brüskierungen ohne provokativen Wert dau­ernd vor den Kopf? Warum gebt Ihr denen in der grünen Partei, die mit ihrem überbetonten Pragmatismus den emanzipatorischen Gehalt unserer Politik einer faden Verwaltungsmentalität zu opfern drohen, durch Euer chaotisches Auftreten die Möglichkeit, sich als die einzigen Trä­gerInnen von Vernunft darzustellen? Warum behandelt Ihr das kost­barste Instrument, das ÖkologInnen haben, die grüne Partei, wie einen rostigen Nagel statt wie Meißener Porzellan?

Vielleicht schwant Euch ja, dass angesichts der Existenz differen­zierter sozialökologischer Umbauprogramme, einer fortentwickelten parlamentarischen Strategie und einem sich andeutenden Wertewandel in der Gesellschaft Eure Form antikapitalistischer Gesellschafts­kritik zu reiner Phraseologie verkümmert ist; doch statt einzuhal­ten, treibt Ihr Euch zu einer ins maßlose gesteigerten Wortradika­lität, als ob eine falsche Botschaft durch immer schrillere Into­nierung verständlicher wird. Ist Euch eigentlich der Widerspruch bewusst, wenn ihr einerseits behauptet, die Grünen hätten den Grün­dungskonsens ver­lassen, und andererseits eine Sprache pflegt, die Ihr aus der „au­tonomen Szene“ übernommen habt?

Die grüne Partei braucht Leute, die ein Versacken in Parlamenten und Ministerialverwaltungen verhindern, die Ökologie nicht als An­einanderreihung von umweltpolitischen Einzelforderungen sehen, die über den Dialog mit Andersdenkenden nicht den gesellschaftlichen In­teressenkampf vergessen, die den taktischen Möglichkeiten nicht die strategischen Notwendigkeiten opfern wollen. Aber eben diese Rolle eines kritischen Korrektivs in der Partei spielt Ihr schon lange nicht mehr. Dafür habt Ihr zu wenig Distanz zu Euch selbst und zu wenig Nähe zu denen, die den vor zwanzig Jahren begonnenen „Marsch durch die Institutionen“ trotz der Gefahr der Anpassung weitergehen wollen.

Viele sehen in Eurem scheinbar politisch konsequenten und standhaf­ten Beharren auf Prinzipien nur noch unhistorische Rechtha­berei. Ihr habt in ihren Augen den Anschluss verpasst, die Kurve nicht gekriegt, als eine objektive Veränderung der politi­schen Rahmenbedingungen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre einen Strategiewechsel erforderte. Vieles am Stil Eures Auftretens erinnert so fatal an die ablebenden K-Grüppchen der späten Siebzi­ger; auf die entstehenden lebendigen gesellschaftlichen Bewegungen der ökologischen und undogmatischen Linken, denen auch Ihr ent­stammt, konnten die Traditionalisten damals nur noch mit einer Ästhetisierung ihrer Politik ant­worten, mit der inbrünstigen Beto­nung radi­kaler Formen, die für Inhalte genommen wurden. Heute wie­derholt ausgerechnet Ihr deren Fehler: Antikapitalismus als reine Ly­rik; Trillerpfeifen, um das Gehör derer zu erreichen, denen Eure Worte nichts mehr sagen.

Viele in der Partei sind wütend auf Euch. Noch mehr sind eher traurig. Sie wissen um Eure Verdienste in der Anfangszeit, sie ha­ben Jutta Ditfurths TV-Auftritte gegen Franz-Josef Strauß nicht vergessen, sie erinnern sich an ge­meinsame Demonstrationen. Heute finden sie es eher be­klemmend, dass Ihr Eure Bedeutung nur noch dadurch demonstrieren könnt, dass Ihr Eure Absplitterung zur Spaltung der Partei auf­blast; als ob es mitten durch ginge.

Vor elf Jahren begannen wir, Gruppen zur Partei zu sammeln. Abge­sprungen sind danach auf beiden Flügeln immer die, die ihren abso­luten Anspruch nicht durchsetzen konnten. Voraussetzung zum Blei­ben ist demnach die Bereitschaft, den eigenen Standpunkt mit den anderen legitimen Interessen in der Partei zu vermitteln. Diese Selbstverständlichkeit gilt umso mehr, als es zu den Grünen keine Alternative gibt. Jeder andere Traum wird schnell platzen.

Macht’s gut

(Übrigens: Der Bielefelder Parteitag 1999 zum umstrittenen Kosovo-Einsatz wird medial ähnlich falsch mythologisiert. Er war, obwohl sehr hitzig und kontrovers, längst nicht so chaotisch wie in kurzen Clips kolportiert. Es waren Außenseiter, die Chaos stiften wollten: Akteure eben jener oben angesprochenen Gruppe hatten sich, obwohl keine Mitglieder mehr, mit Trillerpfeifen bewaffnet im Hintergrund aufgebaut, um Rabatz zu machen. Das Farbei, das Außenminister Joschka Fischer traf, kam nicht von Grünen, sondern von einem Unbekannten, der in das Gebäude eingedrungen war.)