Site Loader

(Beitragsbild: Santiago de Chile 2001 mit Pérez de Cuéllar, Premierminister von Peru und ehemaliger UNO-Generalsekretär)

Erschienen in: „Vereinte Nationen“, Hrsg. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Nr. 2, April 1999

Die Vereinten Nationen werden der Jahrtausendwende mit einer besonderen Generalversammlung, der sogenannten „Millennium Assembly“, Rechnung tragen. Dies ist Anlaß, darüber nachzudenken, wie sich die Vereinten Nationen den kommenden „Herausforderungen an die menschliche Solidarität“ stellen sollen. So hat es UNO-Generalsekretär Kofi Annan ausgedrückt und eigene Vorschläge angekündigt.

Unter der deutschen Präsidentschaft hat sich die Europäische Union bereits aktiv an der thematischen Ausrichtung dieser Millennium-Versammlung beteiligt. Dies bietet Gelegenheit, auch unsere nationale Politik in den Vereinten Nationen Revue passieren zu lassen, Erreichtes zu bewerten und Prioritäten für unsere künftige Politik festzulegen. In ihrer Koalitionsvereinbarung hat es die neue Bundesregierung klar gesagt: Die Vereinten Nationen sind die wichtigste Ebene zur Lösung globaler Probleme. Die Bundesregierung ist entschlossen, sich für die Stärkung dieser Ebene einzusetzen. Unser finanzieller Beitrag spricht für sich selbst: Deutschland ist seit vielen Jahren drittgrößter Beitragszahler zum Haushalt der Vereinten Nationen und allein dadurch eine wesentliche Stütze der Organisation. Wir wollen aber mehr. Wir wollen auch politisch-konzeptionell dazu beitragen, daß die Vereinten Nationen ihrer einzigartigen Rolle auch im nächsten Jahrhundert gerecht werden können.

 

Die neuen Herausforderungen

Das Ende des Ost-West-Konflikts war nicht das Ende der Geschichte oder der Beginn des ewigen Friedens. Die Welt ist danach nicht sicherer geworden. Doch tragen die Bedrohungen von Frieden und Sicherheit heute ein anderes Gesicht als noch vor wenigen Jahren. Die Zahl zwischenstaatlicher Konflikte hat abgenommen und „klassische“ friedenserhaltende Maßnahmen sind die Ausnahme. Stattdessen dominieren komplexe innerstaatliche Konflikte mit Gefahren für einzelne Menschen und Bevölkerungsgruppen, besonders für Frauen und Kinder. Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit als erstes Ziel der Charta der Vereinten Nationen hat mithin nicht an Bedeutung verloren. Doch erfordert die neuartige Bedrohungslage auch ein neues ebenso komplexes Reaktionsinstrumentarium. Darauf ist das VN-System in seiner bisherigen Struktur nicht ausgerichtet. Hier muß die internationale Gemeinschaft ansetzen.

Heute, nach einer Reihe schmerzlicher Lektionen, liegen die strukturellen Mängel der Organisation offen zutage. Auf den Traum von den neuen Möglichkeiten des „Peacekeeping“ nach dem Ende der bipolaren Welt des Ost-West-Konflikts folgte die Ernüchterung. Die gescheiterten Operationen in Somalia (UNOSOM), dem ehemaligen Jugoslawien (UNPROFOR) und Ruanda (UNAMIR) waren die wichtigsten Stationen auf diesem Wege. Als Konsequenz sind die eigentlichen UNO-Friedensmissionen selten geworden. An ihre Stelle sind Friedensoperationen getreten, die zwar von der UNO autorisiert, jedoch durch Regionalorganisationen, Bündnisse und Koalitionen, sog. „coalitions of the willing“, umgesetzt wurden. Beispiele sind die NATO-geführten Missionen IFOR und SFOR im ehemaligen Jugoslawien. Im Kosovo hat die NATO militärisch eingegriffen, obwohl sich der UNO-Sicherheitsrat nicht in vollem Maße über einen solchen Einsatz einigen konnte. Manchem drängt sich die Frage auf, ob sich die friedensstiftende Rolle der UNO überlebt hat. Steht das völkerrechtlich abgesicherte internationale Gewaltmonopol des Sicherheitsrats vor seiner Aushöhlung durch die Praxis? Ist es obsolet geworden?

Der Eingriff im Kosovo war unvermeidlich, da nach dem Scheitern aller Verhandlungsbemühungen keine andere Strategie mehr zur Verfügung stand, um einen beginnenden Völkermord im Keim zu ersticken. Auch wenn aus heutiger Perspektive festgehalten werden kann, daß die NATO-Strategie ihr kurzfristiges Ziel nicht erreicht hat, war sie zum Zeitpunkt der Entscheidung jedoch aus humanitären Gründen in diesem Ausnahmefall unausweichlich geworden. Doch wenn die UNO nicht handlungsfähig war, weil einzelne Vetomächte ihr Vetorecht nicht im Sinne der UN-Charta als Verpflichtung zum effektiven Handeln begriffen haben, dürfen wir nicht bei der Selbstlegitimierung unseres Handelns stehenbleiben. Wo sich das Völkerrecht als nicht hinreichend erwiesen hat, darf es nicht einfach beiseite geschoben werden; es bedarf einer gezielten Weiterentwicklung. Das klassische Völkerrecht hat bisher keine adäquate Antwort, erkennt jedoch zunehmend an, daß hier juristisch aufgearbeitet werden muß, was politisch gefordert ist. Oder wird, wie Generalsekretär Annan es kürzlich einmal ausdrückte, das Pendel zugunsten der UNO wieder zurückschlagen? Niemand wird dies heute verläßlich beantworten können. Zweckmäßig scheint es, die Sache von einer anderen Seite zu betrachten und fragen: Wo liegt unser Interesse?

 

Die Vereinten Nationen als Kernstück eines wirksamen „global governance“

Es wird heute viel über die Chancen und Gefahren der Globalisierung geredet. Dabei wird Globalisierung durchaus unterschiedlich verstanden. Einige verengen sie auf die Krisen- und Wachstumspotentiale von Wirtschafts- und Finanzströmen. Andere ergänzen diese Perspektive um das gesamte Geflecht globaler Probleme, von Menschenrechten über Armutsbekämpfung bis hin zu Umweltproblemen. Wie immer man dies jedoch sieht, in einem dürften sich alle einig sein: Globalisierung geht mit einer Verminderung der einzelstaatlichen Einflußmöglichkeiten einher. Einige bezeichnen dies als Prozeß der Denationalisierung. Dies scheint überzogen: Den Nationalstaaten wird weiterhin eine, vielleicht die zentrale Rolle zukommen. Aber richtig ist, daß staatliche Maßnahmen in viel stärkerem Maße mit zwischen- und überstaatlichen Bemühungen zusammengeführt werden müssen. Daraus folgt die Notwendigkeit einer weiteren, breiter angelegten Internationalisierung von Lösungsansätzen. Integrative Ansätze werden aus der Sicht vieler Nationalstaaten dem eigenen Bedürfnis nach Sicherheit, Wohlfahrt und Stabilität besser gerecht als nationalstaatliche Selbsthilfe in einem Interessenstreit aller gegen alle.

Deshalb brauchen wir ein funktionierendes System internationaler Zusammenarbeit zwischen nationalen, lokalen, regionalen und globalen Akteuren und Organisationen. In diesem System des „global governance“, einer internationalen Strukturpolitik, kommt der UNO als einziger internationaler Organisation mit universaler Mitgliedschaft eine zentrale Rolle zu. Sie hat darin einen nicht ersetzbaren Legitimitätsvorsprung. Ein globales Ordnungssystem, aus dem die UNO wegbricht, gerät früher oder später in ein Legitimitätsproblem. Das können wir nicht wollen. Stattdessen muß es darum gehen, die komparativen Vorteile der Vereinten Nationen wieder stärker ins Bewußtsein zu heben und die Zusammenarbeit mit anderen internationalen und regionalen Organisationen zu stärken. Was bleibt ist das tatsächliche Problem, daß die UNO in ihrer jetzigen Struktur den Herausforderungen von heute nicht voll gerecht wird. Die Lösung kann daher nur heißen, sie dazu besser in die Lage zu versetzen. Die Alternative zu einer unzureichenden UNO kann nur eine bessere UNO sein. Sie muß die handlungsfähige Alternative zur erkennbaren Tendenz zu immer mehr Unilateralismus werden.

 

Komplexe Konfliktursachen erfordern integrative Antworten

Aber nicht nur die Art der Konflikte – innerstaatlich statt zwischenstaatlich – hat sich drastisch verändert. Verändert haben sich auch die Konfliktursachen. Zwar bleibt die unmittelbare Drohung mit militärischer Gewalt auch weiterhin zentraler Konfliktauslöser. Doch daneben treten im Zeitalter der Globalisierung zunehmend andere Bedrohungspotentiale.

Umweltzerstörung und Unterentwicklung, Überbevölkerung und Ressourcenknappheit, Menschenrechtsverletzungen, Terrorismus, Drogen, organisierte Kriminalität und die Proliferation von Waffen, besonders Kleinwaffen – sind heute vergleichbare Sicherheitsrisiken für die Menschheit wie es zuvor ein mögliches Aufflammen des Ost-West-Konflikts war. Fortschritte bei der Lösung dieser Probleme setzen ein erweitertes Verständnis der Bedrohungspotentiale voraus. Moderne Friedenserhaltung kann sich nicht auf das Entsenden von Blauhelmen zur Konfliktprävention, zum Peacekeeping oder zur Nachbetreuung mühsam ausgehandelter Friedensschlüsse am Ende heißer Konflikte beschränken. Im Zentrum eines erweiterten Sicherheitsbegriffs der internationalen Gemeinschaft steht mehr und mehr der einzelne Mensch, das unschuldige Opfer aus der Zivilbevölkerung, und nicht mehr nur das legitime Interesse von Staaten.

Um Frieden und Sicherheit in der Welt muß daher an vielen Fronten gekämpft werden. Es geht heute immer gleichzeitig um Freiheit von Furcht und Freiheit von Not, wie es der UNO-Generalsekretär im letzten Tätigkeitsbericht der Organisation von 1998 in Erinnerung rief. Auch das ist keine neue Erkenntnis. Heute rückt jedoch stärker als noch vor wenigen Jahren ins Bewußtsein, daß die verschiedenen Herausforderungen auf das engste miteinander verflochten sind. Im Zeitalter der Globalisierung ist ein trennscharfes Isolieren einzelner Problembereiche zwar vielleicht theoretisch möglich, kaum jedoch praktisch erfolgversprechend. Ein Beispiel: Armut erzeugt Bevölkerungswachstum, daraus folgen Umweltschäden, Flüchtlingselend und Bedrohungen von Frieden und Sicherheit zunächst regional, dann mit immer weiterem Radius. Ähnliche Ketten lassen sich von jedem globalen Problem ableiten. Nachhaltigkeit in den Lösungsansätzen ist daher nur denkbar, wenn diese sachlichen Zusammenhänge stärker bewußt gemacht und Bemühungen aller an diesen Lösungen arbeitenden Akteuren weitestmöglich aufeinander abgestimmt werden. Die Nachhaltigkeit von Fortschritten in jedem Teilbereich hängt wesentlich davon ab, wie kohärent sich diese zu Zielen in anderen Bereichen verhalten. Gefordert ist ein themenübergreifendendes, ganzheitliches und vernetztes Herangehen. Um dieses Ziel praktisch zu fördern, wurde im Auswärtigen Amt im Sommer 1998 der Arbeitsstab Globale Fragen neu geschaffen. Wir müssen wegkommen von einem zu engen Denken in Zuständigkeiten und überlieferten Schablonen und stattdessen die Gemeinsamkeiten und Kohärenz der Ansätze stärker herausarbeiten. Dies muß auch Auswirkungen auf unsere UNO-Politik haben.

 

Die Zivilgesellschaft als Partner in der Außenpolitik

Neben der zwischen- und überstaatlichen Ebene gewinnt die „unter-“ bzw. nicht-staatliche Ebene zunehmend an Bedeutung. Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, Stiftungen, Verbände und Unternehmen, kurz: das gesamte Spektrum der sogenannten Zivilgesellschaft spielt eine immer wichtigere Rolle bei der Behandlung dieser Fragen. Besonders gilt dies im Rahmen der Vereinten Nationen. Viele Mitglieder der Zivilgesellschaft sind bereit und in der Lage, zur Erreichung zentraler außenpolitischer Anliegen aktiv beizutragen. Das internationale Abkommen zum Bann der Antipersonenminen, das vor kurzem in Kraft getreten ist und von Deutschland als einem der ersten Staaten ratifiziert wurde, ist dafür ein besonders schlagkräftiges Beispiel. Auch die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs im letzten Jahr wurde durch die tatkräftige Unterstützung aus dem Kreis der Nichtregierungsorganisationen wesentlich befördert.

Im Zuge solcher Erfolge wandelt sich das Verhältnis zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Nichtregierungsorganisationen werden und müssen weiterhin großen Wert darauf legen, ihre Unabhängigkeit gegenüber den jeweiligen Regierungen zu behaupten, um eigene Ziele zu verfolgen und auch Kritik offen und ungehindert zum Ausdruck bringen zu können. Diese Rollenverteilung hat sich bewährt; jede Regierung ist gut beraten, sie nicht in Frage zu stellen. Aber darüber hinaus ist die Zivilgesellschaft in vielen globalen Fragen zunehmend auch Verbündeter vorwärtsdenkender Regierungen, da beide Seiten stärker als je zuvor aufeinander angewiesen sind. Daraus folgt ein neues Verständnis sowohl von der eigenen Rolle wie auch von der Rolle des jeweils anderen. Auch das ist ein Element des „global governance“ an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert. Um diesen Dialog mit der Zivilgesellschaft weiter zu vertiefen, hat das Auswärtige Amt im April ein „Forum Globale Fragen“ ins Leben gerufen, das als Plattform für einen noch intensiveren politischen Gedankenaustausch dienen soll. Dies entspricht im Übrigen den Vorstellungen von Generalsekretär Annan, der die Intensivierung dieses Dialogs in allen Mitgliedstaaten der UNO nachdrücklich gefordert hat.

Alle diese neuen Entwicklungen und Handlungsmuster ergeben zusammengenommen den Rahmen und die Kriterien für eine moderne, kohärente VN-Politik. Dieses Verständnis muß sich in allen thematischen Einzelbereichen widerspiegeln. Wir sind dazu bereit, wie an einigen Schwerpunktbereichen im Einzelnen belegen werden kann

 

VN-Friedenssicherung – Kapazitäten erhalten und ausbauen

 Friedenserhaltende Maßnahmen der Vereinten Nationen, an denen sich Deutschland seit vielen Jahren mit Personal, Gerät und Transportleistungen beteiligt, verdienen auch künftig unsere besondere Unterstützung. Die UNO hat aus den Erfahrungen der letzten Jahre – gerade auch den negativen – viele nützliche Lektionen ziehen können. Deutschland hat diesen „Lessons-learned“-Prozess durch konkrete Unterstützung der zuständigen Einheit im VN-Sekretariat und durch eigene Maßnahmen tatkräftig befördert.

In dieser Situation kommt es vor allem darauf an, nicht das Tafelsilber zu verscherbeln. Wir dürfen das Fernziel nicht aus den Augen verlieren, die UNO wieder in die Lage zu versetzen, bei Bedarf auch komplexe friedenserhaltende Maßnahmen unter eigener Regie kurzfristig und flexibel vorzubereiten und erfolgreich abzuwickeln. Dazu aber muß heute der Grundbestand an Kompetenz und Operationalität im VN-Sekretariat erhalten bleiben, möglichst sogar weiter gestärkt werden. Wir haben uns dafür in den zuständigen Gremien der UNO, insbesondere dem Sonderausschuß für friedenserhaltende Maßnahmen, immer wieder eingesetzt.

Ein wichtiger Bestandteil ist das System der „Standby“-Beiträge. Dabei geht es um Kontingente und Komponenten von Friedensoperationen, die ein Mitgliedstaat im eigenen Lande für mögliche UNO-Einsätze grundsätzlich bereithält und über die er mit der UNO eine Vereinbarung trifft. Zentrales Ziel dieses Systems ist, die Planungsdauer eines Einsatzes zu verkürzen und die schnelle Reaktionsfähigkeit der Vereinten Nationen zu erhöhen. Deutschland hat dem VN-Sekretariat bereits in der Vergangenheit ein Angebot im Bereich ziviler Komponenten unterbreitet. Hier steht Deutschland bisher einzigartig da, und das Auswärtige Amt hat dabei Pionierarbeit geleistet. Nunmehr wird dieses Angebot auch um militärische Komponenten erweitert, und zwar in Bereichen, auf die das VN-Sekretariat für die Durchführung von Friedensoperationen besonders angewiesen ist und bei denen Deutschland als hochindustrialisiertes Land besondere Expertise aufzuweisen hat, wie etwa Logistik, Sanitäts- und Pionierwesen.

Damit ist jedoch keine automatische Festlegung auf die Teilnahme an einer konkreten Operation verbunden. Vielmehr gilt für das „Standby“-System das Prinzip des „zweiten Schlüssels“: Die erste Unterschrift bestätigt, daß die erwähnten Leistungen grundsätzlich für Friedensoperationen zur Verfügung stehen. Sobald eine konkrete Planung anläuft, bittet das VN-Sekretariat dann den betreffenden Mitgliedstaat um Auskunft, ob er an ihr teilnehmen möchte. Diese Entscheidung unterliegt in den meisten Mitgliedstaaten, so auch Deutschland, innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die die Beteiligung des Parlaments vorsehen. Erst dann erfolgt die zweite Unterschrift. Aber es besteht die Erwartung, daß die Teilnahme eines großen und wichtigen Mitgliedsstaats am „Standby“-System dessen grundsätzliche Bereitschaft unterstreicht, mit zivilen und militärischen Kapazitäten zu helfen, wenn die Vereinten Nationen irgendwo in der Welt eine Friedensmission durchführen.

 

Reform des Sicherheitsrats

Doch wie immer wir den VN-Apparat auch verbessern: Das politische Kernstück des VN-Sicherheitssystems bleibt der Sicherheitsrat. Mit der Wirksamkeit seiner Beschlüsse steht und fällt die Friedenspolitik und das Krisenmanagement der Vereinten Nationen. Die Umsetzung der Mandate ist, wie Erfahrungen gezeigt haben, immer nur so gut, wie es die Mandate zulassen. Unklarheiten in den Mandaten rächen sich – vielfach verstärkt – vor Ort in den Konfliktherden. Hier steht der Sicherheitsrat vor zwei zentralen Herausforderungen. Zum einen spiegelt seine Zusammensetzung die politischen und geographischen Realitäten nicht mehr angemessen wider. Das ist ein Legitimitätsproblem. Zum anderen muß er Antworten auf die oben genannten neuartigen Bedrohungen des Friedens finden, die mit dem traditionellen Instrumentarium des Peacekeeping nicht zu bewältigen sind. Das ist ein konzeptionelles Problem. Beide Probleme bedrohen die Wirksamkeit von künftigen Ratsentscheidungen erheblich.

Zum ersten Punkt: Es ist hinlänglich bekannt, dass Deutschland bereitsteht, durch eine ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat mehr Verantwortung für den Weltfrieden zu übernehmen. In der Öffentlichkeit ist das deutsche Werben bisweilen verkürzt als neues Machtstreben dargestellt worden. Doch bei der Reform des Sicherheitsrats geht es nicht und kann es gar nicht vornehmlich um Deutschland und deutsche Interessen gehen. Auch nicht primär um die Interessen Japans oder anderer Staaten, deren Position vielleicht eine Stärkung erfährt. Bei der Reform geht es in erster Linie um die Vereinten Nationen selbst. Es kann nicht im Interesse ihrer Mitgliedsländer liegen, wenn das neben der Generalversammlung wichtigste Hauptorgan der UNO kontinuierlich an Wirksamkeit verliert oder gar zum Spielball einzelner einflußreicher Gruppen wird. Wie wir im Kosovo sehen, werden die Probleme der Friedenserhaltung nicht weniger, wenn der Sicherheitsrat sich nicht einigen kann. Sie verlagern sich nur von der Ebene der im Prinzip einzig völkerrechtlich bevollmächtigten Organisation auf die regionale Ebene einzelner Bündnisse und Koalitionen. Leichter lösbar werden sie dadurch nicht.

Daher spricht trotz vieler Rückschläge alles dafür, den Reformdruck in Sachen Sicherheitsratsreform aufrechtzuerhalten. Wir brauchen eine bessere Berücksichtigung der Interessen des Südens. Wir brauchen aber auch eine ausgewogenere Gewichtung der Interessen des Nordens. Theoretisch spricht viel für einen europäischen Sitz, den ich grundsätzlich auch vorziehen würde. Wenn er möglich wäre, würde sich Deutschland für ihn einsetzen. Doch ist die UNO-Mitgliedschaft bislang auf Einzelstaaten beschränkt. Außerdem hat die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) bisher in einer Reihe wichtiger vom Sicherheitsrat behandelter Probleme und auch in der Frage der Sicherheitsratsreform selbst keine tragfähigen gemeinsamen Positionen hervorgebracht. Im Übrigen würde ein gemeinsamer europäischer Sitz im Sicherheitsrat auch die Frage eines entsprechenden Sitzes in der Generalversammlung aufwerfen. Es ist fraglich, ob es im Interesse der EU-Staaten liegen kann, statt 15 Stimmen nur noch eine zu haben. Hinzu kommt, daß faktisch die Diskussion über eine Reform des Sicherheitsrates nur solange lebendig bleibt, als ein deutscher Anspruch im Raum steht. Deshalb werden wir im Rahmen des Reformprozesses ruhig, unaufgeregt und mit guten Argumenten unser Angebot an die internationale Staatengemeinschaft aufrechterhalten, mehr Verantwortung zu übernehmen. Doch noch ist keine Einigung über die Reform des Sicherheitsrats in Sicht. Zu unterschiedlich sind noch die Interessen und Erwartungen der Mitgliedschaft.

In diesen Komplex gehört auch die Frage des Vetorechts. Auch wenn gefragt werden kann, ob dieses Prinzip denn einem demokratischen Gremium entspricht, so muß doch gesagt werden, daß eine Änderung unrealistisch wäre. Aber der Hinweis ist nötig, daß nach der UNO-Charta der Sicherheitsrat als Hauptorgan der UNO einer Verpflichtung zu schnellem und effektivem Handeln unterliegt. Ein Vetorecht darf also nicht dazu mißbraucht werden, jedwede Handlung in einem Konfliktfall zu verhindern.

Der zweite Fragenkomplex betrifft Art und Umfang modernen „Peacekeepings“. Auch hier hat der Sicherheitsrat Nachholbedarf. Wer die Resolutionen des Sicherheitsrats der letzten Jahre analysiert, wird feststellen, daß diese zunehmend über den Rahmen eines traditionellen Verständnisses von friedenserhaltenden Maßnahmen hinausweisen und den innerstaatlichen Einsatz von zivilen Komponenten der Friedenssicherung zum Inhalt haben. Von Minenräumen über Flüchtlingshilfen bis hin zu Maßnahmen zum Wiederaufbau zerstörter Infrastrukturen hat der Sicherheitsrat Elemente in seine Mandate integriert, die traditionell dem Bereich der Friedenskonsolidierung („peacebuilding“) zugerechnet werden. Im Dezember 1998 – in der öffentlichen Wahrnehmung überdeckt durch das erneute Aufflackern der Irak-Krise – verabschiedete er erstmals eine grundsätzliche Erklärung zum Thema der Friedenskonsolidierung und erkannte damit in prinzipieller Weise die Verlagerung auf das innerstaatliche „Peacekeeping“ an. Deutschland hat sich seit langem für ein stärkeres Tätigwerden in diesem Sinne eingesetzt. Bereits 1996 war es unter deutscher Präsidentschaft im Sicherheitsrat gelungen, eine Erklärung zum Problem der Entminung in Friedensmissionen zu verabschieden, etwas später folgte eine ebensolche Erklärung zum Schutze humanitärer Helfer in Friedensoperationen.

 

Konfliktprävention und zivile Konfliktbearbeitung

Die Bundesregierung hat entschieden, den zivilen Aspekten von Konfliktprävention und -bewältigung zukünftig stärkeres Gewicht einzuräumen. Besonderes Augenmerk werden wir der Verbesserung der Ausbildungs- und Vorbereitungskapazitäten für Personal zur zivilen Krisenintervention widmen. Erste Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie, die vom Auswärtigen Amt in Auftrag gegeben wurde, werden in Kürze vorliegen. Einfließen werden auch die Erfahrungen der Kosovo-Verifikationsmission der OSZE. Ziel ist die weitestmögliche Einbeziehung aller auf diese Gebiete tätigen Institutionen. Es soll zügig eine geeignete Personalreserve von Friedensfachleuten geschaffen werden, die im Bedarfsfall auch kurzfristig für die unterschiedlichen Friedensmissionen von UNO, OSZE und anderen Regionalorganisationen mobilisiert werden können. Auch dies ist ein Bereich, in dem die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisiationen besonders im humanitären und kirchlichen Bereich verstärkt werden muß. Es geht um eine national und international koordinierte zivile Interventionsfähigkeit, die den Querschnittscharakter wirksamer Krisen- und Konfliktprävention widerspiegelt.

Insgesamt erfordern wirksame Konfliktprävention und -bearbeitung eine politische Gesamtstrategie, die das außen- und sicherheitspolitische Instrumentarium in einen koordinierten Handlungsrahmen stellt und eng mit den entwicklungs-, wirtschafts-, umwelt- und rechtspolitischen Instrumentarien verzahnt. Dem Ineinandergreifen von außen- und entwicklungspolitischen Maßnahmen kommt dabei besondere Bedeutung zu. Das Auswärtige Amt verfolgt auch hier einen integrativen Ansatz, um mögliche Synergieeffekte voll auszuschöpfen und weitestgehende Kohärenz der Bemühungen sicherzustellen. Manche sprechen von dem notwendigen Kontinuum zwischen kurz- und längerfristigen Maßnahmen der Konfliktbearbeitung, doch dürfen auch die Unterschiede der jeweiligen Phasen und die Notwendigkeit eines für jeden Zeitpunkt richtig austarierten „policy mix“ nicht aus dem Blick geraten.

Entwicklungszusammenarbeit in Friedenszeiten ist der dauerhaften Verbesserung struktureller Rahmenbedingungen gewidmet, während in einer „heißen Konfliktphase“ die Außenpolitik regieren muß. Das ist relativ unumstritten. Weniger klar liegen die Dinge dagegen in der „Grauzone“ unmittelbar vor oder nach einem gewaltsamen Konflikt. In der Regel ist die Situation in dieser Phase hochgradig politisiert. Traditionelle Entscheidungsmuster der Entwicklungszusammenarbeit greifen dann noch nicht oder nicht mehr. Schlimmstenfalls laufen sie Gefahr, in die ganz andere „Logik des Konflikts“ hineingezogen zu werden und sogar konfliktverschärfend zu wirken. Es ist klar: Die Abschnitte eines Konfliktes zwischen „heißer Phase“ und Rückkehr zur Normalität lassen sich nie messerscharf voneinander trennen. Wir müssen uns aber bewußt bleiben, daß dann, wenn die Waffen schon schweigen, die eigentliche Aufgabe der zivilen Konfliktbewältigung erst beginnt und die außenpolitisch kohärente Präsenz der internationalen Staatengemeinschaft noch eine ganze Weile fortbestehen muß, wenn wir Fehlentwicklungen und erneute Eskalation des Konflikts vermeiden wollen.

 

Zielgerichtete Sanktionen

Ein weiterer Bereich, dem sich die neue Bundesregierung stärker widmen will, sind die VN-Sanktionen. Sie fallen in eine grundsätzlich andere Kategorie des Handelns des Sicherheitsrats, nämlich unter Zwangsmaßnahmen des Kapitel VII der VN-Charta, sind aber der „ultima ratio“ einer militärischen Erzwingungsmaßnahme grundsätzlich vorzuziehen. Leider hat die bisherige Erfahrung ergeben, daß das eigentliche Ziel von Sanktionen oft nicht erreicht wurde, stattdessen aber der unschuldigen Bevölkerung viel Leid zugefügt wurde. Die Vereinten Nationen haben dies erkannt und eine Initiative zur Verfeinerung des Instrumentariums und Verbesserung der Zielgenauigkeit von Sanktionen unter dem Oberbegriff „smart sanctions“ oder „targeted sanctions“ ins Leben gerufen. Wir haben uns an dieser Initiative aktiv beteiligt. In einem ersten Schritt wurden Finanzsanktionen näher analysiert. Sinnvoll wäre auch eine genauere Untersuchung der Wirksamkeit von Waffenembargos. Hier könnte sich Deutschland profilieren und mit einer internationalen Expertenveranstaltung einen wichtigen Beitrag leisten.

 

Frieden fördern durch weniger Waffen

 Angesichts der wachsenden Gefahr der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen kommt den internationalen Bemühungen um Nichtverbreitung und Abrüstung von Massenvernichtungswaffen zunehmende Bedeutung für die internationale Sicherheit zu. Die zentralen Vertragsregime, der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, das Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) und das Übereinkommen über biologische Waffen (BWÜ) müssen vollständig implementiert werden und universelle Geltung erlangen. Das BWÜ muß durch rasche Einigung auf ein Verifikationsregime gestärkt, die noch vorhandenen Chemiewaffenarsenale zeitgerecht vernichtet werden. Die Atomtests in Südasien im vergangenen Jahr haben uns deutlich vor Augen geführt, daß ein rasches Inkrafttreten des Vertrags über das umfassende Verbot von Atomtests dringend erforderlich ist, damit Atomtests endgültig der Vergangenheit angehören. Der Prozeß der nuklearen Abrüstung darf nach den bemerkenswerten Fortschritten der ersten Hälfte der neunziger Jahre nicht weiter stagnieren. Weitere drastische Reduzierungen der Kernwaffenarsenale sind unbedingt nötig. Die möglichst rasche Ratifikation des START II-Vertrages durch die russische Duma ist daher unerläßlich, um den Weg für Verhandlungen über eine weitere deutliche Verringerung der Atomwaffenbestände im Rahmen eines START III-Abkommens freizumachen. Wir setzen uns zudem dafür ein, daß der Ersteinsatz von Atomwaffen aus den Abschreckungsszenarien gestrichen wird. Im Interesse der nuklearen Nichtverbreitung und Abrüstung liegt es auch, daß die Genfer Abrüstungskonferenz endlich Verhandlungen über ein Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Kernwaffen aufnimmt.

Das kürzliche Inkrafttreten der Konvention zum Bann der Anti-Personenminen markiert einen der großen internationalen Erfolge im Kampf gegen die Proliferation besonders unmenschlicher Waffen. Deutschland gehörte – nicht zuletzt wegen des intensiven Engagements von Nichtregierungsorganisationen – bei der Antiminenkampagne zu den Initiatoren der ersten Stunde und spielt auch bei der Umsetzung des Abkommens eine zentrale Rolle. Daran anknüpfend kommt nun weiteren Fortschritten im Bereich von Kleinwaffen und leichten Kriegswaffen prioritäre Bedeutung zu. Diese unterliegen trotz ihrer destabilisierenden Wirkung in zahlreichen Konflikten bislang keiner wirksamen Rüstungskontrolle. In den zahlreichen internen und externen Konflikten der letzten Jahrzehnte wurden weit mehr Menschen – in der großen Mehrzahl Zivilpersonen – durch Kleinwaffen als durch Massenvernichtungswaffen getötet. Kleinwaffen sind leicht zu erwerben und zu handhaben, kostengünstig, haltbar, leicht zu tragen und zu verbergen und dennoch hochwirksam.

Die Bundesregierung strebt die Entwicklung operativer praktischer Schritte an, die zur Lösung des weltweiten Kleinwaffenproblems beitragen. Sie hat zu diesem Zweck die Initiative zu einer Gemeinsamen Aktion der EU ergriffen, die am 17. Dezember 1998 vom Rat der EU beschlossen wurde. Ziel der Gemeinsamen Aktion ist es, die exzessive und unkontrollierte Ansammlung und Proliferation von Kleinwaffen zu bekämpfen und dazu beizutragen, die Probleme im Zusammenhang mit bereits bestehenden Akkumulationen dieser Waffen zu lösen. Die EU will einerseits zur Konsensbildung in den relevanten internationalen Foren (z.B. VN, OSZE) beitragen, um über regionale Ansätze schließlich ein weltweites Regime zu „small arms and light weapons“ zu erreichen. Zum anderen soll die EU durch konkrete Maßnahmen dazu beitragen, destabilisierende Ansammlungen von Kleinwaffen zu verhindern und deren Bestand auf eine Größenordnung zu reduzieren, die den legitimen Sicherheitsinteressen der einzelnen Staaten, der Aufrechterhaltung der äußeren und inneren Sicherheit, entspricht.

Auch in den Vereinten Nationen selbst hat sich Deutschland in diesem Bereich ein deutliches abrüstungspolitisches Profil erarbeiten können. Im Abrüstungsausschuß der Generalversammlung konnte 1998 bereits im dritten Jahr in Folge unter deutscher Initiative eine Resolution zum Thema Friedenskonsolidierung durch praktische Abrüstungsschritte verabschiedet werden. Zahlreiche Miteinbringer aus allen Regionen der Welt haben diese Initiative unterstützt. Als Folge bildete sich in New York unter deutscher Leitung eine Gruppe gleichgesinnter Staaten, die sich mit der Förderung konkreter Abrüstungsprogramme gerade in Konflikt- oder Nachkonfliktszenarien befaßt. Nach Projekten in Zentralafrika und Guatemala hat die Gruppe zuletzt ein Entwaffnungsprogramm in Albanien maßgeblich unterstützen können.

 

Menschenrechte

50 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist der Zustand der Menschenrechte auf der Welt weiter völlig unzureichend. Zwar gibt es ermutigende Fortschritte: Mehr Menschen als je zuvor leben in demokratischen Systemen, und das allgemeine Bewußtsein für die Bedeutung der Menschenrechte ist gestiegen. Dazu hat die Menschenrechtskommission wesentlich beigetragen. Aber auch der Anteil der zahlreichen in diesem Bereich tätigen Nichtregierungsorganisationen ist erheblich. Gemeinsam dürfen wir in unseren Bemühungen nicht nachlassen.

Die neue Bundesregierung wird sich mit Nachdruck für eine Stärkung internationaler Strategien zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen einsetzen. Menschenrechte sind in unserer vernetzten Welt keine innere Angelegenheit mehr. Die Verabschiedung des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs war auf diesem Wege eine entscheidende Etappe. Wer Menschenrechte verletzt, darf sich nicht mehr darauf verlassen können, nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das schulden wir den Opfern.

Wirksamer Menschenrechtsschutz ist ein Kernstück der deutschen Friedenspolitik. Wir erkennen immer mehr, daß Menschenrechte ein wesensnotwendiges Element bei der Gestaltung von Frieden und Sicherheit, bei der Konfliktprävention, bei der Förderung dauerhaft tragfähiger wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung sind. Bosnien und Kosovo, die Situation um die Großen Seen, aber auch der Nahe Osten belegen dies eindrücklich.

Es gibt einen ebenso einfachen wie verheerenden Teufelskreis: Wo die Menschenrechte nicht geachtet werden, drohen Unfrieden, wirtschaftlicher und sozialer Abstieg. Umgekehrt gilt: Wo der Frieden unstabil ist und sich die Entwicklungsspirale nach unten dreht, geht es auch mit den Menschenrechten bergab. Es ist nicht zuletzt der Blick auf diese Wechselwirkung, der uns dazu zwingt, uns weltweit für die Beachtung der Menschenrechte einzusetzen. Sie liegen im nationalen Interesse eines jeden Staates, und sie liegen in unserem gemeinsamen globalen Interesse.

Aber Menschenrechtspolitik, die als Teil globaler Friedenspolitik verstanden wird, hat auch ihren Preis. Der Einsatz von Menschenrechtsbeobachtern, ein Menschenrechtsinstitut, Projekte zum Schutz von Menschenrechten und zur Hilfe für Opfer, zur Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Verbesserung des internationalen Normensystems und der Durchsetzungsmechanismen: Das alles kostet Geld. Wir müssen uns daran gewöhnen, daß dieser Preis entrichtet werden muß – nicht als freundliche Gabe in den Klingelbeutel, sondern als eine lohnende Investition in den Frieden. Hier besteht erheblicher Nachholbedarf.

 

Humanitäre Hilfe und Krisenbewältigung

Die Naturkatastrophen der letzten Zeit – das Erdbeben in Kolumbien, die Hurricanekatastrophe in Mittelamerika, die verheerenden Überschwemmungen in China und Bangladesch – haben uns einmal mehr vor Augen geführt, daß kaum ein Tag vergeht, an dem nicht dringend humanitäre Hilfe geleistet werden muß. Die humanitäre Notlage im Kosovo, die Hungerkatastrophe im Süden Sudans, die Bürgerkriege in Sierra Leone und der Demokratischen Republik Kongo, die wieder aufgeflammte kriegerische Auseinandersetzung zwischen Äthiopien und Eritrea – alle diese Konfliktherde lösen neues Elend aus und machen deutlich, daß schnelle und effiziente Hilfe geboten ist, die ohne Ansehen ethnischer, religiöser und politischer Zugehörigkeit geleistet werden muß.

Die meisten Katastrophen lassen sich in ihrer Entwicklung nicht voraussagen. In absehbarer Zeit dürfte es jedoch kaum zu einer Verringerung des weltweiten Hilfsbedarfs kommen. Besonders die durch bewaffnete Konflikte ausgelöste Not von Flüchtlingen und Vertriebenen wird eher noch zunehmen und die Hilfe, die allein durch die humanitäre Notsituation im ehemaligen Jugoslawien benötigt wird, steigt noch dramatisch an.

Die Bundesregierung setzt die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ein, um die Hilfskapazitäten der nationalen und der internationalen Zivilgesellschaft zu stärken und zusammen mit ihr die notwendigen Hilfsaktionen zu ermöglichen. Die Ernennung eines Beauftragten für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt macht deutlich, daß die Bundesregierung hier einen Schwerpunkt ihrer Außenpolitik sieht. Mit dem Koordinierungsausschuß Humanitäre Hilfe hat das Auswärtige Amt hierfür auch ein effizientes, auf Kooperation angelegtes Instrument geschaffen. Dies ist ein Stück schlanker Staat, das sich bewährt hat.

Im Mittelpunkt aller Hilfeleistungen steht der in Not geratene Mensch. Ihm zu helfen, zumindest jedoch seine Notlage zu lindern, ist oberstes Gebot der humanitären Bemühungen der Bundesregierung. Zu diesen muß jedoch dringend auch das Bemühen, um wirksame Vorbeugung hinzukommen. Notwendig sind Vorbeugungsmaßnahmen zur Verhinderung und zur Begrenzung der Auswirkung von Naturkatastrophen, aber auch die Reduzierung der Katastrophenanfälligkeit von menschlichen Siedlungen und immer dichteren Wirtschaftsräumen. Notwendig ist die Entwicklung von Frühwarnsystemen und der Aufbau effizienter Katastrophenschutzdienste.

Mit Ablauf des Jahres 1999 wird auch die 1989 von der Generalversammlung der VN ausgerufene „Internationale Dekade zur Reduzierung von Naturkatastrophen“ (IDNDR) zu Ende gehen. Sie ist von der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen 10 Jahren nachdrücklich unterstützt worden. Auf Initiative des Auswärtigen Amtes konnte ein deutsches IDNDR-Komitee für Katastrophenvorbeugung geschaffen werden, das in den letzten Jahren eine wichtige Rolle bei der deutschen Unterstützung der IDNDR-Dekade spielte. So haben das GeoForschungsZentrum in Potsdam und das Deutsche IDNDR-Komitee im September 1998 mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes auch eine internationale IDNDR-Konferenz über Frühwarnsysteme veranstaltet, an der 370 Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Praxis aus 86 Ländern teilgenommen haben. Im Schlußdokument der Konferenz wird auf die dramatische Zunahme der Naturkatastrophen hingewiesen und die Frühwarnung zur Kernaufgabe der jetzt dringend notwendigen Anstrengungen der Katastrophenvorbeugung erklärt. Die Potsdamer Konferenz hat deutlich gemacht, daß die Aufgaben der Katastrophenvorbeugung mit dem Ende der Dekade nicht erledigt sind, sondern daß sie im Gegenteil – mit dem durch die Dekade erzeugten Nachdruck – fortgeführt werden müssen.

Aber auch im Zusammenhang mit den vom Menschen selbst ausgelösten Katastrophen sind Schadensverhinderung und Schadensbegrenzung durch Vorbeugung und politisches Krisenmanagement notwendig. Die Entwicklungen im Kosovo zeigen sogar unmittelbar vor unserer eigenen Haustür, daß die bloße Bereitschaft zur humanitären Hilfe nicht ausreicht, um die Konfliktopfer zu schützen und die dringend benötigte Hilfe zu ihnen gelangen zu lassen.

 

Entwicklung

Am Beginn der Vierten Entwicklungsdekade, im Zeitalter der fortschreitenden Liberalisierung und Globalisierung, sind die Voraussetzungen für weitere Fortschritte beim Entwicklungsprozeß nicht schlecht. Kommunismus und Planwirtschaft gehören im Wesentlichen der Vergangenheit an, die Marktwirtschaft hat sich weitestgehend durchgesetzt. Ihre neoliberalen Übertreibungen bedürfen jedoch einer Eingrenzung durch soziale und ökologische Standards. Mehr und mehr Länder aus allen Erdteilen integrieren sich weiter in die Weltwirtschaft. Wenn allerdings rechtzeitige strukturelle Anpassungen an veränderte Wettbewerbsverhältnisse versäumt werden, kann es leicht zu Krisen und Rückschlägen kommen. Eine einseitige export- und weltmarktorientierte Modernisierung wiederum kann tiefgehende soziale Verwerfungen nach sich ziehen, die Stabilität und Frieden gefährden.

Es ist deshalb richtig, den Dialog über eine Stärkung der weltwirtschaftlichen Wachstumskräfte und Koordinierungsnotwendigkeiten auch als Aufgabe der Entwicklungspolitik zu erneuern und fortzusetzen. Die Vereinten Nationen sind dafür das geeignete Forum. Das Fundament wurde in den Debatten vergangener Jahre im Wirtschafts- und Sozialrat, in der Generalversammlung und vor allem in den Weltkonferenzen der letzten acht Jahre gelegt.

ie Vorstellungen über die Ausgestaltung dieser Partnerschaft entsprechen dem Konsens, der sich in der Folge der Weltkonferenzen herausgebildet hat: Einigkeit über die grundlegende Rolle der Entwicklungsländer für ihre eigene Entwicklung, insbesondere durch Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige, menschenbezogene Enwicklung; Anerkennung der Tatsache, daß eine Unterstützung dieser Eigenanstrengungen durch die internationale Gemeinschaft im Geiste der Solidarität erforderlich ist; Betonung der wichtigen Rolle, die die koordinierte und mit bilateralen Gebern und untereinander abgestimmte Tätigkeit der multilateralen Organisationen dabei spielen muß.

Für die Finanzierung unserer Entwicklungszusammenarbeit über multilaterale Organisationen gibt es verschiedene Gründe:

Wir haben die Möglichkeit, Projekten zur Durchführung zu verhelfen, die über das einzelstaatliche Leistungsvermögen und Knowhow hinausgehen, und tragen damit besonders der Globalisierung vieler Entwicklungsprobleme Rechnung. Außerdem können lokale Infrastrukturen der jeweiligen Organisationen vor Ort besser genutzt werden. Ein besonders gewichtiges Argument ist ferner, daß durch multilaterale Entwicklungszusammenarbeit insbesondere in sensitiven Bereichen der Technischen Zusammenarbeit, wie z.B. der Bevölkerungspolitik und Familienplanung, der Eindruck von einzelstaatlicher Einflußnahme vermieden wird. Diese Tatsache trägt zu einer wesentlich höheren Akzeptanz bei den Empfängerländern bei.

Die nachhaltige Entwicklung ist für uns das grundlegende Leitbild. Gerade im Zeitalter weltweiter offener Märkte gilt, daß wirtschaftliche Entwicklung nur dann nachhaltig sein kann, wenn sie soziale und ökologische Belange angemessen berücksichtigt. Aufgabe der Politik ist es, zu steuern und den Rahmen für eine nachhaltige Zukunftssicherung zu setzen – ökonomisch, ökologisch und sozial. Globalen Risiken wie Bevölkerungswachstum, Begrenztheit der natürlichen Lebensgrundlagen und der Unterversorgung großer Teile der Weltbevölkerung kann nur wirksam begegnet werden, wenn alle drei interdependenten Elemente der nachhaltigen Entwicklung gleichermaßen berücksichtigt werden.

Die Lösung der Probleme im 21. Jahrhundert erfordert eine Stärkung der internationalen Kooperation. Ein wichtiges Aufgabenfeld unserer gemeinsamen Bemühungen muß es sein, die entsprechenden Kooperationsstrukturen und das Kooperationsmanagement effizienter zu gestalten. Dazu gehört, daß wir uns Gedanken über die künftige Gestaltung der Vereinten Nationen machen. Der Generalsekretär hat 1997 konkrete Reformvorschläge vorgelegt mit dem Ziel, die Entwicklungszusammenarbeit der VN effektiver zu gestalten und so eine Organisation zu schaffen, die den Mitgliedstaaten die notwendige Unterstützung bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen bieten kann. Nach ersten wichtigen Entscheidungen ist die Umsetzung dieser Vorschläge auf seiten der Mitgliedstaaten leider bereits wieder ins Stocken geraten. Wie die bereits begonnene Reform fortgesetzt werden kann und welcher zusätzlichen Schritte es bedarf, sollte ein wichtiger Gegenstand unseres Dialogs sein. Wir wissen und begrüßen, daß besonders der Generalsekretär selbst und seine Vertreterin ihre Bemühungen beharrlich fortsetzen.

 

Umwelt

Als zentraler Bestandteil des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung wird die Umweltpolitik mehr und mehr zu einer Querschnittsaufgabe mit unmittelbaren Bezügen zur Konfliktprävention und langfristigen Friedenssicherung. Das präventive Anliegen hat z.B. eine zentrale Rolle auf dem VN-Welternährungsgipfel gespielt, bei dem es um die effektive Einbindung aller einschlägig tätigen Organisationen wie FAO, WHO, UNDP u.a. ging. Als einer der zentralen Bestandteile im Konzept der nachhaltigen Entwicklung haben Umweltfragen im VN-System an Boden gewonnen.

Die mit der internationalen VN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro (“Erdgipfel”) und der von ihr verabschiedeten Agenda 21, der Rio-Deklaration und der Einsetzung der Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD) verbundenen großen Hoffnungen haben sich aber nur unzureichend erfüllt. Die Umsetzung der Agenda 21 ist in den meisten Ländern der Erde in Ansätzen stecken geblieben. Für weitere Fortschritte muß Deutschland mit seinen G8- und EU-Partnern die ihm zugefallene Mittlerfunktion im Umweltbereich der VN aktiv nutzen. Ein für Mitte 1999 geplanter deutsch-amerikanischer „Workshop“ zur Umweltpolitik kann unsere Mittlerrolle noch unterstreichen.

 

Schluß

Die hier behandelten Themen umreißen mitnichten den gesamten Bereich deutscher VN-Politik. Doch die angerissenen Schwerpunkte sollten demonstrieren, daß Fortschritte und Reformen hier besonders erforderlich sind und Deutschland dabei einen maßgeblichen Beitrag leisten kann und will. Das ist durchaus deutsche Interessenpolitik, aber in einem ganz bestimmten, modernen Sinne: nicht vornehmlich an nationalem Eigeninteresse, sondern am gemeinsamen Interesse der Staatengemeinschaft an der Lösung globaler Probleme ausgerichtet. Übergeordnetes Ziel bleibt es, die Vereinten Nationen „fit“ zu machen für die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts. Eine starke UNO hilft der gesamten Staatengemeinschaft und auch uns. Sie ist deutliche Demonstration internationaler Solidarität. Denn, so hat es John F. Kennedy einmal ausgedrückt, „Letztlich bildet die Tatsache, daß wir alle Bewohner dieses Planeten sind, doch das uns im Tiefsten gemeinsame Band. Wir alle atmen die gleiche Luft, uns allen liegt die Zukunft unserer Kinder am Herzen, und wir sind alle sterblich“.