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(Am 28. März 1990 formulierte ich einen Resolutionsentwurf zur Deutschlandpolitik für die anstehende Bundesdelegiertenkonferenz in Hagen. Er kam nicht mehr zur Geltung, da die in sich stark gespaltene Parteilinke sich auf keinen gemeinsamen Text mehr verständigen konnte. Es setzte sich deshalb ein Antrag durch, der nun die bis dahin auch von den Grünen vertretene deutsche Zweistaatlichkeit ohne Zwischentöne klar ablehnte und auf den Kurs der amtierenden Bundesregierung einschwenkte. Zur zentralen Frage der Zusammenarbeit mit ostdeutschen Gruppen und Parteien konnte ich jedoch einen Antrag durchsetzen, der die von manchen Strategen geplante Spaltung der Partei verhinderte. Siehe Text: Die Grünen vor der Spaltung…)

1.

Jahrelang haben die Grünen die vollständige völkerrechtli­che Aner­kennung der DDR als eigenständigen Staat gefordert und gleichzei­tig die innere Opposition gegen die gesell­schaftsbeherrschende SED unterstützt. Anders als die SPD-Entspannungspolitik, die den SED-Staat zementieren half, haben wir somit die im außenpolitischen Verhältnis entspan­nungsfördernde Anerkennung der Realitäten mit einer Desta­bilisierung der inneren Lage in der DDR zu verknüpfen ge­sucht. Und anders als die Rechtsparteien, die in der Zer­setzung der DDR den Auftakt für eine Einverleibung sahen, haben wir an die Unterstützung der DDR-Opposition die Hoff­nung auf eine neue Ent­wicklung jenseits von stalinistischer Kommandowirtschaft und kapi­talistischem Laissez-faire geknüpft. Es besteht aus heutiger Sicht kein Anlass, diese Po­litik im Nachhinein für falsch zu hal­ten.

2.

Nach dem Fall der Mauer hielten wir die Forderung nach Zweistaat­lichkeit aufrecht, um so dem Willen der Anstifte­rInnen der DDR-Re­volution nach eigenständiger Gestaltung eines neuen Gemeinwesens Rechnung zu tragen. Als die DDR-Menschen ihren Wunsch nach beson­ders engen Kontakten zur BRD deutlich machten, sind wir dem entge­gengekommen, indem wir eine Konföderation zweier deutscher Staaten vorschlu­gen. Gleichzeitig haben wir erklärt, dass wir uns für das gesamte Europa eine so intensive Kooperation wünschen würden wie für die konföderierten deutschen Staaten.

3.

Monatelang haben wir gehofft, dass die DDR-BürgerInnen, unterstützt durch unsere deutliche Opposition, der entwürdigenden Annektionspo­litik durch die Regierung Kohl standhal­ten würden. Das Wahlergeb­nis vom 18.3.90 (DDR-Volkskammerwahl) hat gezeigt, dass die Versprechungen auf eine schnelle Verbesserung der all­täglichen Lebenssituation durch einen raschen Anschluss an die BRD den Menschen attraktiver erschienen als die Per­spektive einer mühsamen, aus dem Westen angefeindeten ei­genständigen Entwicklung.

4.

Die Vereinigungsdynamik, die längst in Gang gekommen ist, und ihre Bestätigung durch die DDR-Bevölkerung bedeuten, dass unsere strate­gischen Vorstellungen eine Niederlage er­litten haben. Die Konse­quenz daraus lautet für uns Grüne weder, im Nachhinein die Verei­nigung richtig finden zu müssen, noch aber, uns durch ausschließ­liches Festklammern an einem Konzept von Zweistaatlichkeit, das nach dem absehba­ren Vollzug der Vereinigung unwiederbringlich ver­loren sein wird, selbst zu fesseln. Auch wenn wir nicht glauben, dass die Vereinigung Deutschlands auch nur ein einziges Problem der Menschheit lösen wird, haben wir nüchtern festzustel­len, dass un­sere Politik des ökologischen Umbaus, der radi­kalen Entmilitari­sierung, der durchgreifenden gesellschaft­lichen Demokratisierung, der Emanzipation der Frauen sich in Zukunft faktisch in einem veränderten gesellschaftli­chen und politischen Rahmen, in einem neuen geographischen und staatlichen Raum abspielen wird.

5.

Damit unsere Chancen für eine fundamentale ökologische Er­neuerung des gesellschaftlichen Lebens nicht durch eine Bundesregierung, deren Annektionspolitik durch keinen Wahl­akt legitimiert ist, ver­spielt wird, werden wir nichts un­versucht lassen, um – in breiter Übereinstimmung mit den Menschen in beiden deutschen Staaten – den Prozess der Ver­einigung zu bremsen. Wir suchen ihn auch im Inter­esse all der DDR-BürgerInnen zu verzögern, die – vielleicht im Ge­gensatz zu ihren eigenen Erwartungen – die Leidtragenden der Ver­einigung sein werden: der Frauen, die Arbeitsplatz und gesell­schaftliche Stellung, der Kinder, die ihre Be­treuungseinrichtungen verlieren, der RentnerInnen, die hö­here Preise mit niedrigeren Einkünften bezahlen, der Hand­werkerInnen, die den Großkonzernen weichen müssen.

6.

Das bedeutet: Sollten die Menschen in der DDR, weil sie sich vom West-Kohl und seinen Ost-Köhlchen über den Schei­tel balbiert fühlen, doch wieder von Eigenständigkeit re­den, wären wir die ersten, die diese Stimmen hier verstär­ken würden. Davon abgesehen gilt: der Akt der Wirtschaft­spiraterie, den die Bundesregierung be­treibt, darf nicht durch eine Entscheidung nach Art. 23 GG abgesi­chert werden. Ein demokratischer Umgang mit der deutschen Frage erfor­dert, was das Ja oder Nein zur Einheit angeht, eine Volksab­stimmung in beiden deutschen Staaten; was die Ge­staltung eines einheitlichen Staates betrifft, können nur der Art. 146 GG und ein entsprechender Beschluss in der DDR Grundlage sein.

7.

Wir Grünen würden uns in eine Verfassungsdebatte offensiv einmi­schen. Wichtiger für die Durchsetzung unserer politi­schen Ziele ist allerdings die sofortige Organisierung breiter gesellschaftli­cher Gegenmacht gegen die Folgen des von der Bundesregierung und der großen Koalition von CDU/CSU/FDP/SPD betriebenen Anschlusses. Wir solidarisieren uns mit denen, die die bisherige untertänige Abhängigkeit nicht gegen eine neue eintauschen, sondern durch ein alle gesellschaftlichen Bereiche durchziehendes Emanzipationspro­jekt ersetzen wollen. Wir werden uns aber auch um die bemühen, die Hoffnungen in die Vereinigungspar­teien gesetzt haben und bitter enttäuscht werden. Insbeson­dere unterstützen wir die Frauen in der heutigen DDR, die die liberale Abtreibungsregelung verteidigen wollen. Unsere Solidarität gehört auch denen in der heutigen BRD, die die Lasten der Vereinigung in Form von Arbeitslosigkeit, Sozi­alabbau, Reallohnkürzung, Begrenzung gewerkschaftlicher Spielräume zu tragen haben.

8.

Unsere politischen AnsprechpartnerInnen in der DDR sind die Grup­pen und Personen, deren jahrelang illegaler, risikorei­cher und be­wundernswerter Einsatz die Revolution erst mög­lich machte. Wir hoffen, dass die Organisationen und Initia­tive wie Grüne Partei, Unabhängiger Frauenverband, Neues Forum, Demokratie jetzt, Initia­tive für Frieden und Men­schenrechte, Vereinigte Linke u.a. zu in­tensiver Koopera­tion zusammenfinden. Die gemeinsame Volkskammer­fraktion von Grüner Partei und Bündnis `90, die wir begrüßen, könnte der Kristallisationskern für weitere Vereinigungsschritte wer­den. Wir bieten, so dies von den FreundInnen und Freunden in der DDR gewünscht wird, Unterstützung ihrer Arbeit an. Wir schla­gen vor, dass in Bälde ein gemeinsamer Kongress ab­gehalten wird, den die östliche und westliche Seite dieses Spektrums auf der Basis von Eigenständigkeit und Gleichbe­rechtigung organisieren, um zu sondieren, welche Kooperati­onsformen es für den sich abzeichnenden Fall der Einheit geben kann.

Auch wenn niemandem die Fähigkeit zu ernsthaftem Umdenken abge­sprochen werden soll und die neue Programmatik der PDS manche An­leihe bei links-ökologischem und demokratisch-emanzipatorischem Gedankengut macht, wie es auch bei den Grünen zu finden ist, wis­sen wir doch, dass die Aussagen von Repräsentanten und die Program­matik einer Partei allein noch nicht ihren Charakter bestimmt. Auch wenn Altstalini­stInnen und Stasi-AgentInnen sich nicht nur in der PDS und aufrechte, ökologisch und sozial orientierte Demokra­tInnen sich nicht nur in den anderen Parteien befinden, kommt eine systematische Zusammenarbeit mit der Partei nicht infrage, die für 45 Jahre SED-Herrschaft verantwortlich ist und eine Mentalität der Beherrschten förderte, die nicht einmal im Akt der Befreiung zu Selbstbewusstsein gelangt.

9.

Angesichts der Herausforderungen, die die deutsche Einheit an die Ökologiepolitik, an eine nicht-nationalistische, anti-chauvinisti­sche Außenpolitik, an die Entwicklung wei­tergehender Demokratisie­rung stellt, ist eine einheitliche Partei der Grünen mit ihren An­sprechmöglichkeiten für öko­logisch orientierte Menschen mit unter­schiedlichem ideolo­gischen Hintergrund notwendiger denn je. Es wird, wenn der deutsch-deutsche Taumel der Ernüchterung und die Ernüchterung der Selbstbesinnung weicht, auch wieder der Zeitpunkt kommen, in dem nach ökologischer Transformation und Reformbündnis­sen gerufen wird. Dass dieser Punkt schnell erreicht wird, daran werden wir arbeiten. Unserer designier­ten Bündnispartnerin SPD werden wir beizeiten das Kater­frühstück servieren.