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 (Als wenige Monate nach dem Fall der Mauer deutlich wurde, dass die deutsch-deutsche Politik Richtung Wiedervereinigung trieb, nahmen dies Hardliner der verfeindeten Flügel der Grünen zum Anlass, die Partei zu spalten und konkurrierende Neugründungen zu planen. Gegen die SpalterInnen verfasste ich am 21. März 1990 – eine Woche vor dem Parteitag in Hagen, bei dem die „Entscheidungsschlacht“ stattfinden sollte – einen offenen Brief, den zahlreiche Grüne mit Ämtern und Mandaten mittrugen. Dies war der Beginn des Versuchs, die völlig zerstrittene Partei wieder zu integrieren, der mich ein Jahr später ins Amt des Parteivorsitzenden führte.)

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

als es vor drei Jahren ernsthafte Versuche gab, die Bundestags­fraktion spalten zu wollen, erschien ein Brief, in dem 23 Abgeord­nete erklärten, dass sie für solche Manöver nicht zur Verfügung ständen. Die spaltungsbetreibende Kraft von damals hat sich mitt­lerweile ei­ner anderen Partei zugewendet. (gemeint war Otto Schily)

Heute geht wieder das Gerede von der Spaltung um, diesmal sogar der ganzen Partei. Dazu möchten wir einiges unmissverständlich klarstellen. Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass es für den größten Teil der Partei eine solide Grundlage für die Zusam­menarbeit gibt. Es sind nur wenige, die das grundsätzlich in­frage stellen, aus dem einheitlichen grünen Projekt zwei verschie­dene machen wollen und entweder mit ihrem Ausstieg drohen oder andere zum Austritt auffordern.

Vieles von dem, was Ihr in den letzten Wochen den Medien entnehmen konntet, ist nichts als heiße Luft. Kräftig aufgeblasen von einer eingespielten Combo aus ParteifreundInnen mit bevorzugtem Medien­zugang und JournalistInnen, die ihre Eigeninteressen haben. Aber auch heiße Luft kann versengen. Nicht dass jemand, selbst wenn er/sie wollte, in der Partei die reale Macht hätte sie zu spal­ten, ist das Problem. Sondern dass ein Teil der Mitglieder meint, es gäbe Leute, die die Macht dazu hät­ten und ihr Vorhaben aussichts­reich betreiben könnten. Und in der trügerischen Erwartung einer dramatischen Zuspitzung zum alles entschei­denden Kampf verhalten sich viele dann so, dass die Lage tatsäch­lich kritisch werden könnte. Eine sich selbst erfüllende Prophe­zeiung könnte so zu ei­ner Entwicklung führen, die dann letztlich wiederum niemand ge­wollt haben will.

Wir wollen hier nicht analysieren, warum die Chancen so schlecht genutzt wurden – oder wer sie sabotiert hat -, nach der Ablösung des alten Bundesvorstandes auf mehr Konsensbildung hinzuarbeiten. Eines meinen wir allerdings mit Sicherheit sagen zu können: Die aktuellen Auseinandersetzungen um die Deutschlandpolitik taugen nicht im Mindesten für ideologische Grundsatzstreitereien über den Kurs unserer Partei.

Liegen die Dinge im Grunde nicht recht einfach? Jahrelang haben wir uns – abgesehen von einer recht unbedeutenden Minderheit von Befürwortern einer Wiedervereinigung – für die vollständige völ­kerrechtliche Anerkennung der DDR ausgesprochen; das hinderte uns keineswegs, die innere Opposition gegen den SED-Staat zu unterstützen. Nach dem Fall der Mauer hielten wir – wieder mit Ausnahme derselben Minderheit – die Forderung nach Zweistaatlich­keit zunächst aufrecht, weil wir meinten, so könne dem Willen der demo­kratischen Opposition nach eigenständiger Gestaltung einer neuen DDR Rechnung getragen werden. Als wir dann vernahmen, dass die Men­schen in der DDR – aus welchen Gründen auch immer – eine sehr in­tensive Beziehung zum hiesigen Deutschland herstellen woll­ten, ha­ben wir diesen Wunsch in unsere Konzeption aufgenommen und für eine Konföderation zweier eigenständiger Staaten plädiert. Gleich­zeitig haben wir erklärt, dass wir uns für das gesamte Europa eine Kooperationsdichte wünschen würden wie für die konföderierten deutschen Staaten.

Heute müssen wir nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass dieser Gedanke nur von einer Minderheit geteilt wird. Wie gehen wir damit um? Zwei Arten des Umgangs scheinen uns das Problem zu verfehlen: die erste ist die Haltung der Wendehälse; sie sagt, eigentlich hätten auch wir, wo das Volk nun offensichtlich die Einheit will, von Be­ginn an dafür sein müssen. Die zweite ist die Haltung der Starrhälse; sie halten allen Ernstes krampfhaft an einer Vorstel­lung von Zweistaatlichkeit fest, obwohl man heute schon sagen kann, dass sie morgen eine nicht rückholbare Fiktion sein wird.

Warum eigentlich soll die Partei sich eine Zuspitzung der Diskus­sion zwischen diesen beiden Auffassungen aufschwatzen lassen? Der angemessene Umgang mit dem Problem drängt sich doch geradezu auf. Wir sollten alles versuchen, den Prozess, den wir für fatal halten, wenn wir ihn schon nicht mehr verhindern können, dann wenigstens so zu verlangsamen, dass die absehbar schlimmsten Folgen zumindest abgemildert werden. Und wenn denn einst die Einheit vollzogen sein wird, bleibt uns – egal ob einige triumphieren oder andere Klage­gesänge anstimmen – schlicht nichts anderes übrig, als den neuen Zustand als neue Rahmenbedingung unserer Politik zu betrach­ten. Und dann heißt es, unsere alten Ziele unter veränderten Be­dingungen weiterzuverfolgen: Ökologisierung und Demokratisierung, Emanzipation von Frauen und Dritter Welt, Abrüstung und Neutrali­tät, soziale Gerechtigkeit und Zurückdrängen des Rassismus.

Dafür werden wir neue PartnerInnen finden: Wir werden den intensi­ven Dialog mit den Oppositionskräften der heutigen DDR aufnehmen müssen, um die Möglichkeiten und Formen einer Zusammenarbeit aus­zuloten. Mit manchen Gruppen wird vielleicht eine Fusion möglich sein, mit anderen ein Kooperationsvertrag wie zwischen den Grünen und der AL (Alternative Liste Berlin); denkbar ist auch eine Arbeitsteilung wie heute in der BRD zwischen CDU und CSU (zugegeben ein makabres Beispiel); mit anderen Gruppierungen wiederum wird es bei deutlicher organisato­rischer Trennung vielleicht nur Informationsgespräche oder ad-hoc-Bündnisse geben können.

Die PDS würde unserer Meinung nach in die letzte Kategorie gehö­ren. Selbstverständlich bedeutet die Tatsache, gemeinsam in der Opposition zu sein, dass Diskussionen über punktuell gemeinsames Vorgehen stattfinden können. Eine systematische Zusammenarbeit darüber hinaus sehen wir aber zunächst einmal nicht. Zweifellos sind Leute wie Modrow und Gysi und viele andere, die sich zur PDS bekennen, integre Persönlichkeiten, deren Worte angehört werden sollten. Aber selbst, wenn sie es schaffen sollten, die Altstali­nisten, die sich noch in der PDS verschanzen, zurückzudrängen oder zum Umlernen zu bewegen, wäre dadurch die PDS immer noch keine grüne Partei. In einem Vielparteiensystem müssen auch mehrere Op­positionsgruppen nebeneinander existieren. Zudem wird die PDS erst noch beweisen müssen, wie weit ihre Neuorientierung geht.

Dennoch ist es mitnichten verdammenswert, eine Diskussion über un­ser Verhältnis zur PDS angestoßen zu haben. Eine differenzierende Klärung ist ja notwendig. Da mag es – wie immer zu Beginn einer Diskussion – auch unterschiedliche Sichtweisen geben. Wichtig ist nur eine weitgehend einheitliche Haltung am Ende. Einen Vorstoß zur Diskussion – selbst, wenn er ungeschickt vorgetragen wurde – nun zum Anlass zu nehmen, den entsprechenden Parteifreund zum Aus­tritt aufzufordern, zeugt nicht etwa von Führungskraft, sondern von enormer Problemverdrängung. Gerade RepräsentantInnen der Par­tei steht es nicht an, ihre einfachen Vorstellungen von der Welt in die Gegend zu trompeten.

Wir vermuten, dass diese Überlegungen zur Deutschlandpolitik und der strategischen Perspektive der Grünen von dem überwiegenden Teil der Partei geteilt werden. Und deshalb macht es keinen Sinn, die ver­schiedenen konkurrierenden Ideen, wie denn in dem weiten und unübersichtlichen Raum zwischen der Wende- und Starrhalsposi­tion Po­litik zu machen sei, zu denunzieren. Ob jemand den Prozess verlang­samen will, indem er/sie in vollem Wissen, dass sie nicht mehr haltbar ist, dennoch die Zweistaatlichkeit verteidigt, oder ob jemand meint die Rückfalllinie sei die Zweistaatlichkeit im Ge­wande der Konföderation, oder ob eine Gruppe nun eine Volksabstim­mung durchsetzen möchte, oder ob zu einem späteren Zeitpunkt Leute auf­treten, die eine Vereinigung nach Art.146 verlangen, um den Anschluss nach Art. 23 zu verhindern – dies alles ist doch vom selben Grundmotiv geprägt. Mensch kann trefflich darüber streiten, welche Taktik denn nun die sinnvollste ist, aber sich an solchen Alterna­tiven spalten zu wollen, wäre komisch.

Das Maul zu voll zu nehmen, rentiert sich nicht. Das Wort veral­tet, ehe es über die Lippen kommt. Was heute noch als Wahrheit gilt, ist morgen belächelter Irrtum. So ist das jedenfalls mit der konkreten deutsch-deutschen Politik. Nicht mal der Sieg der Rech­ten wird Bestand haben. Wer sich zur aktuellen politischen Lage äußert, sollte deshalb zuerst einmal die Luft aus den Backen las­sen.

Bespiel 1: GAL-Erklärung (Grün-Alternative Liste Hamburg). Fast alles, was dort steht, ist inhalt­lich richtig. Aber wie es dort steht, ist falsch. Der Ton macht mal wieder die Musik. Wer die scharfsinnig analysierte kri­tikwürdige Wirklichkeit mit der Gewalt seiner Adjektive so gnaden­los denunziert, denunziert auch alle die, die schlicht nicht so scharfsinnig sind, vielleicht aber auch einige Aspekte anders se­hen oder anders gewichten. Und: Zur Wahrheit gehört auch, was dort nicht steht; nämlich wie geht es konkret weiter, wenn die Fiktion der Zweistaatlichkeit nicht einmal mehr als Messlatte für den real ablaufenden Prozess taugt, weil die Vereinigung vollzogen ist? Dann haben vielleicht die wieder recht, die sich heute konkrete Gedan­ken für den Tag danach machen, sich gemessen an der Barschheit der (Hamburger) Erklärung aber als Verräter empfinden müssen.

Bespiel 2: Postwendende Abspaltungen (in Hamburg). Wenn es das bei jeder schlechten, nicht einmal total falschen, Resolution gegeben hätte, hätte sich die Partei schon kurz nach der Gründung wieder in ihre Vielfalt zerlegt. So wurden mittlerweile denn auch andere Gründe für das Verlassen der GAL als ausschlaggebend benannt. Nun gut, es mag ja sein, dass das politische Klima in der GAL fies ist. Erfahrungsgemäß hat so etwas aber selten einseitige Ursachen. Sol­che schwelenden Konflikte nun aber gerade an der heiklen Deutsch­landfrage aufflammen zu lassen, ist auch nicht gerade ein Beweis für einen verantwortlichen Umgang mit diesem Thema. So scheint uns die Glaubwürdigkeit derer, die sich abspalten, nicht größer als die der VerfasserInnen der fragwürdigen Resolution. Daraus nun den Anspruch abzuleiten, eine neue grüne Politik zu entwickeln und auf den Rückhalt der Bundesgrünen für eine Gegengründung zur GAL zu spekulieren, mag für die AbspalterInnen eine Lösung sein, wir hal­ten es aber nicht fürdas Interesse der Bundespartei.

Die DDR-Wahl (gemeint ist die erste freie Volkskammerwahl) hat auch gezeigt, dass eine Zerlegung des grünen Pro­jektes in einen ökologischen, einen feministischen, einen radikal­demokratischen und einen „linken“ Strang nicht weiterführen würde. Selbst zusammengenommen reicht es in der DDR nicht ganz für 5 %. Wir mei­nen aber darüber hinaus, dass ein Zusammengehen solcher Gruppierun­gen nicht nur aus arithmetischen, sondern aus inhaltlichen Gründen angebracht ist. Dass sich in unserer Partei die jeweiligen Ränder dadurch arg strapaziert fühlen, ist ihr Problem. Wir werden nicht zulassen, dass das zu einem Problem der Partei, die angeblich in der Mitte gespalten sei, umdefiniert wird.

Wir meinen, dass eine möglichst geschlossene grüne Partei heute nö­tiger ist, denn je. Die Probleme, deren wir uns angenommen haben, sind mit der deutschen Einheit nicht verschwunden, sondern gewach­sen. Mit ihnen leider auch die Macht der Gegenseite, alles mit einem klebrigen Kleister von Nationalgefühl zu überziehen und zu vertuschen. Wir sollten die neuen Herausforderungen annehmen und all die in unseren Reihen, die die öffentliche Beschimpfung des parteiinternen Gegners zur Priorität erhoben haben, zum Sprechtest beim Ohnsorg-Theater anmelden.

Wir, die UnterzeichnerInnen jedenfalls erklären klipp und klar:

Auch wenn wir uns unterschiedlichen Parteiströmungen zurechnen oder Strömungen blöd finden, auch wenn wir oft verschiedener Mei­nung sind und uns heftig zanken können – wir haben die Fähigkeiten und Einstellungen der jeweils anderen so weit schätzen gelernt, dass wir den Gedanken einiger selbsternannter StrategInnen für absonderlich halten, uns säuberlich in zwei unterschiedliche Parteien sortieren zu wollen. Wir haben nicht das geringste Verlangen da­nach. Wer so etwas versucht, soll wissen, dass er/sie nur Zeit ver­geudet. Die Partei fordern wir auf, diesen Wichtigtuern den Reso­nanzboden zu entziehen.

Wir werden gemeinsam noch ein langes, spannendes, einflussreiches politisches Leben haben.

Eure…