Site Loader

(Ab 1986 organisierte ich maßgeblich die kritische „IWF-Weltbank-Kampagne“ mit. Sie kulminierte 1988 in West-Berlin in einem großen internationalen Gegenkongress zur Jahrestagung der beiden Organisationen („Weltfinanzgipfel“), eine Groß-Demo, ein „Tribunal der Völker“ und zahlreiche Einzelaktionen. In der Folge bildete sich in der grünen Bundestagsfraktion eine Arbeitsgruppe, die unter meiner Federführung ein Programm „auf dem Weg zur ökologisch-solidarischen Weltwirtschaft“ erarbeitete. Hier liegen die Anfänge einer anschwellenden Globalisierungskritik. Dazu organisierte die Gruppe am 8. März 1990 in Bonn einen wissenschaftlichen Kongress. Ich eröffnete ihn mit der untenstehenden Rede, die im Kongress-Reader abgedruckt wurde.

Nach zweijähriger Arbeit legte die Gruppe ihre Arbeitsergebnisse vor. Diese sind im August 1990 als Broschüre erschienen, gingen aber in den Wirren der deutschen Einheit unter. Der Text erschien 1991 auf Englisch als Buch „ecological economics“, kollektiv erarbeitet von einer „group of green economists“. Die Namen aller Beteiligten finden sich auf der Seite „Bücher“. Die untenstehende Rede war zugleich das Gerüst für das „Resümee“ , das dem Programmtext vorangestellt ist. )

 

„Der kalte Krieg ist praktisch vorüber. Der Westen ist aus dem kalten Krieg als Sieger hervorgegangen. Wir können auf diesen Sieg stolz sein.“ So wörtlich Vernon Walters, der US-Botschafter in Bonn, zu Anfang des Jahres 1990. Und wirtschaftspolitisch gewen­det, holte er aus: „Was funktioniert, liegt auf der Hand: das Prinzip der freien Marktwirtschaft.“ Die Überlegenheit marktwirt­schaftlicher Steuerung gegenüber staatlich-bürokratischen Pla­nungssystemen wollen die GRÜNEN nicht grundsätzlich in Abrede stellen. Aber was bei Vernon Walters und der politischen und öko­nomischen Klasse, für die er spricht, stört, ist die Verabsolutie­rung des Marktes und seine Stilisierung zum Freiheitsbegriff.

Gemeint ist in erster Linie die Freiheit des Kapitalverkehrs und der Investoren: zurückgelassene Krisenregionen mit hoher Erwerbs­losigkeit und Armut kennzeichnen ihren Weg zu profitableren Anla­geprojekten. Gemeint ist die Freiheit der Banken, Großkredite für Schuldenfallen zu vergeben und sich an der Schuldentilgung der „Dritten Welt“ die goldene Nase zu verdienen: Millionen von Men­schen, die deswegen ein Hungerdasein fristen, sterben oder aus Notwehr ihre natürliche Lebensgrundlage zerstören, sind mit die­ser Freiheit nicht gemeint. Wenn Diktatoren in Dritte-Welt-Staaten die Menschenrechte ihrer BürgerInnen mit Füßen treten, um den Schuldendienst abzusichern, ist die freie Marktwirtschaft offen­sichtlich nicht tangiert.

Angesichts der zunehmend asymmetrischen Entwicklung zwischen Nord und Süd erscheint das Dogma der herrschenden Freihandelslehre, ein freier Welthandel führe zu erheblichen Wohlstandsgewinnen für alle Beteiligten, als blanker Hohn. Die Deregulierungen auf dem Welt­markt für Agrarprodukte, im Tex­til- und Dienstleistungsbereich, wie sie im Rahmen der Uruguay-Runde des GATT durchgesetzt werden sollen, laufen auf den Abbau von Schutzrechten ökonomisch Schwa­cher zugunsten der jetzt schon Starken hinaus.

Die angeblichen Wohlstandsgewinne infolge des Freihandels werden in barer Münze gemessen: nicht in Betracht gezogen wird dabei, dass die Produktion dieses Wohlstandes einhergeht mit zunehmender Zer­störung unserer aller Lebensbedingungen: die Orkane der letzten Zeit sind erst Vorboten der drohenden Klimakatastrophe, und die Weltmeere, einst Ursprung des Lebens, werden biologisch gefährdet, indem sie in den Produktions- und Ausbeutungsprozess des Weltmark­tes integriert werden.

Zurück zum US-Botschafter: die zukünftige Integration der Noch-RGW-Staaten in den kapitalistischen Weltmarkt ist aus unserer Sicht Anlass zu einer doppelten Sorge: dass unter dem Eindruck zu­künftiger Wachstumsraten die Belange der Natur weiterhin auf der Strecke bleiben und dass im Zeichen der anstehenden Ost-West-Koope­ration und -Integration die Entwicklung der „Dritten Welt“ auch in Zukunft geopfert wird.

Wir brauchen eine Alternative – jetzt mehr denn je – zum kapitali­stischen Weltmarkt: wir brechen mit der Freihandelsdoktrin, damit die Rechte der Landlosen in Brasilien, der Frauen in der „Dritten Welt“, die unter Armut und dadurch bedingtem Bevölkerungswachstum am meisten zu leiden haben, damit die Interessen der Millionen Be­schäftigungslosen in den OECD-Staaten, damit naturverträgliches Wirtschaften zum Ausgangspunkt einer Regulierung der Weltmarktbe­ziehungen werden können. Verantwortung für die Natur und Solidari­tät mit den Schwächeren müssen zu Ordnungsprinzipien einer ökolo­gisch solidarischen Weltwirtschaftsordnung werden.

Unsere Ablehnung der Freihandelsdoktrin ist kein Plädoyer für Pro­tektionismus. Im Gegenteil: Protektionismus ist oft das Kuppelpro­dukt eines ungehemmten Freihandels, bei dem der Unterlegene ge­zwungen wird, zu diesem letzten Strohhalm zu greifen. Maßnahmen der außenwirtschaftlichen Absicherung verfolgen vielmehr das Ziel, einen chancenreichen Markteintritt erst einmal zu ermöglichen.

Wir GRÜNEN haben uns in der Arbeitsgruppe Weltwirtschaft und Ent­wicklung der Bundestagsfraktion der Weltwirtschaftsproblematik aus zwei verschiedenen Sichtweisen angenähert: der Sicht auf den ökologischen und sozialen Umbau der Industriegesellschaft und seiner außenwirtschaftlichen Absicherung sowie der entwicklungspolitischen Sicht auf die „Dritte Welt“.

Beide Sichtweisen führten zu grundsätzlicher Kritik an einer zwanghaft gewordenen Weltmarktintegration und Exportfixierung. Im Laufe der Arbeit wurden beide Ansätze zu einem GRÜNEN Weltwirt­schaftskonzept integriert. Wir können es mit vier Leitlinien cha­rakterisieren:

  1. Eigenständige Entwicklung durch Binnenorientierung
  2. ökologisches Gleichgewicht
  3. Solidarität und Ausgleich der Entwicklungschancen
  4. Demokratisierung und soziale Rechte.

 

  1. Eigenständige Entwicklung durch Binnenorientierung

Unser Begriff von Entwicklung meint für die „Dritte Welt“ in er­ster Linie die Sicherung der Grundbedürfnisse der eigenen Bevölke­rung, für die Industriestaaten die Sicherung der Lebensqualität mittels des ökologischen und sozialen Umbaus der Industriegesell­schaften. Ein solcher Begriff von Entwicklung ist nicht messbar in quantitativen Wachstumsgrößen des Bruttosozialprodukts oder des Welthandelsvolumens. Das Wachstum ist für uns keine Zielgröße, al­lenfalls, wenn überhaupt, Resultante eines Entwicklungsprozesses; häufig genug ist die herrschende Wachstumsfixierung der Grund für Fehl-Entwicklungen sowohl in den Industriestaaten als auch in der „Dritten Welt“. Eine eigenständige Entwicklung erfordert, beson­ders in den Industriestaaten, eine planvolle Politik des selekti­ven Wachsens und Schrumpfens.

Eigenständige Entwicklung setzt auf Binnenorientierung statt Welt­marktorientierung: die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ressourcen werden zunächst für die Grundbedarfssicherung bzw. den ökologischen und sozialen Umbau eingesetzt. Angebliche Sachzwänge der Weltmarktkonkurrenz bzw. weltwirtschaftlicher Abhängigkeiten erweisen sich in der Regel als interessegeleitet und durch eine Politik grundsätzlich auflösbar, die die Abhängigkeit vom Welt­markt schrittweise und gezielt abbaut.

Gegenüber einer Binnenorientierung der Entwicklung wird oft zu Un­recht der Verdacht geäußert, es ginge dabei um Autarkiestreben und Abkopplung vom Weltmarkt. Darum geht es uns gerade nicht. Es wäre naiv und verhängnisvoll, die Vorteile nationaler und internationa­ler Arbeitsteilung und Handelsbeziehungen völlig leugnen und nicht nutzen zu wollen, nicht nur bei den sogenannten „unabdingbaren“ Importen (Energie, Rohstoffe), sondern auch im intraindu­striellen Handel. Aber eine eigenständige Entwicklung privilegiert nicht die arbeitsteilige Spezialisierung um jeden Preis. Sie strebt die Integration von Wirtschaftsabläufen in regiona­len/lokalen Wirtschaftszusammenhängen an; ihre Überschaubarkeit ist die Voraussetzung für ihre demokratische Kontrolle. Die Abgrenzung der Regionen kann naturräumlich naheliegen oder sich historisch ergeben, sie muss keinesfalls mit nationalen Grenzen übereinstimmen.

Eine eigenständige Entwicklung der ökonomisch schwächeren „Dritten Welt“ oder RGW-Staaten ist nur möglich bei einer von Solidarität und Selbstbeschränkung getragenen Außenwirtschaftspolitik der rei­chen kapitalistischen Industriestaaten. Auch wenn die Kräftever­hältnisse zurzeit noch dagegenstehen, formulieren wir dies als Ziel unserer Politik. Die drohende Deregulierung des Agrar-, Tex­til- und Dienstleistungssektors im Rahmen der derzeitigen Uruguay-Runde des GATT steht genauso dagegen wie beispielsweise der Ver­such der wirtschaftlichen Vereinnahmung der DDR durch die Bundes­republik oder die Pressionen, die der IWF auf die wirtschaftliche Entwicklung Polens ausübt.

  1. ökologisches Gleichgewicht

Die Entwicklung der einzelnen Nationalökonomien als auch der Welt­wirtschaft kann heute nur noch bewältigt werden, wenn regionale und globale Probleme des ökologischen Gleichgewichts eine konsti­tutive Bedeutung für die Gestaltung der Weltwirtschaftsbeziehungen erhalten. Es gilt: ökologische Politik ist eine Voraussetzung für eine verantwortliche wie effiziente Wirtschaftspolitik. Ökologiepoli­tik ist mehr als Umwelt-Politik, sie ist eine integrierte „ganzheitliche“ Politik. Zwei ge­samte Systeme, das Natursystem und das gesellschaftliche Sy­stem, sol­len miteinan­der vereinbar gemacht werden, so dass Na­tur und Mensch langfristig existieren können. Da die Naturge­setze aber nicht zu ändern sind, muss sich einseitig das ge­sellschaftliche System anpassen, ohne das natürliche biologistisch zu ko­pieren.

Der Ökologiebegriff richtet den Blick auf den gesamten Bereich der stofflichen und formellen Reproduktion der Men­schen. Formell heißt: der Art und Weise, wie eine Gesellschaft ihren stofflichen Austausch mit der Natur vornimmt, anders aus­gedrückt: der Gesell­schaftsformation oder des politisch-wirt­schaftlichen Systems. Der Ökologiebegriff stellt also die Gat­tungsfrage, verknüpft sie aber gleichzeitig unmittelbar mit der Systemfrage. Ökologiepolitik ist deshalb immer Gesellschafts­politik: Politi­sche Ökologie.

Wir treten dafür ein, auf UN-Ebene eine Charta der Rechte der Na­tur völkerrechtlich verbindlich zu vereinbaren. Vor dem nachsor­genden Umweltschutz müssen ganze Bereiche der Natur gegen eine wirtschaftliche Ausbeutung geschützt werden: wir fordern z. Bsp. einen Weltpark Antarktis. Wir fordern eine UN-Klimakonvention zum Schutz der Erdatmosphäre. Ein Klimafonds soll insbesondere für die „Dritte-Welt“-Staaten die Mittel bereitstellen, die ihnen eine Entwicklung bei gleichzeitigem Schutz des Klimas erlaubt. Wir for­dern internationale Vereinbarungen über eine Energiesteuer, aus deren Aufkommen der Klimafonds gespeist werden könnte. Die Indu­striestaaten als die Nutznießer der bisherigen Fehlentwicklungen sollten dafür den Hauptanteil zur Verfügung stellen. Zum Schutz unserer natürlichen Lebensbedingungen sind internationale Verein­barungen über Handelsverbote notwendig: z. Bsp. ein Handelsverbot für Atomkraftwerke oder für Giftmüll. Dem internationalen Touris­mus müssen weitreichende Beschränkungen auferlegt werden, um Um­weltschäden und die Zerstörung kultureller Identität im Gastland zu verhindern; frauenfeindliche Formen des Tourismus wie den Pro­stitutionstourismus wollen wir unterbinden.

  1. Solidarität und Ausgleich der Entwicklungschancen

Voraussetzung für eine eigenständige Entwicklung der verschulde­ten „Dritte-Welt“-Staaten – und dies wird in Zukunft auch für die verschuldeten RGW-Länder gelten – ist es, der Zwangsintegration in den Weltmarkt vermittelt über Exportsteigerung zwecks Devisenein­nahmen für den Schuldendienst zu entgehen. Wir fordern von den Gläubigerbanken und -staaten eine umfassende und globale Entschul­dung. Über ihre Ausgestaltung sollte auf einer internationalen Schuldenkonferenz verhandelt und entschieden werden.

Unser Entwicklungsbegriff knüpft an den Diskussionen in der „Drit­ten Welt“ über „selfreliance“, d.h. eigenständige, binnenorien­tierte, grundbedürfnissichernde, qualitative Entwicklung an. Die­ser Entwicklungsbegriff ist in erster Linie nicht eine Frage des Geldes. Wenn die „Dritte-Welt“-Länder auf den Weltmärkten nicht länger übervorteilt und betrogen werden, bekommen sie automatisch größere finanzielle Spielräume. Dennoch aber sind angesichts des bisherigen Nettotransfers von Süd nach Nord und der zunehmend asymmetrischen Entwicklung Transferleistungen von den Industrie- in die „Dritte-Welt“-Staaten erforderlich. Im Prinzip soll gelten: weniger nehmen ist besser als mehr geben.

Um eine Angleichung der unterschiedlichen Entwicklungsniveaus im Nord-Süd-Gefälle, aber auch unter den Industriestaaten selbst zu fördern, muss ein Wirtschafts- und Währungsmechanismus verbindlich vereinbart werden, der die strukturellen Leistungsbilanzüber­schüsse und Gläubigerpositionen reicher Länder sukzessive abbaut. Hierfür könnten z. Bsp. progressive Strafzinsen auf Überschüsse dienen, ein Vorschlag, den Keynes schon in der Gründungsdiskussion für den IWF entwickelt hat.

  1. Demokratie und soziale Rechte

Die Ordnung und die Entwicklung des kapitalistischen Weltmarktes nimmt auf Demokratie und soziale Rechte der Menschen keine Rück­sicht. Transnationale Konzerne bestimmen in zunehmender Weise die Weltmarktbeziehungen und damit die Entwicklung in den einzelnen Staaten. Die Aktivitäten hebeln häufig genug die Politik demokra­tisch gewählter Regierungen aus. Transnationale Konzerne müssen daher in das Zentrum der politischen Kritik und Kontrolle gerückt werden. Doch gerade hier – das sei offen zugestanden – sind die bisher entwickelten Gegenmachtkonzepte harmlos.

Wir unterstützen die Aktivitäten von kritischen Verbraucherinitia­tiven und von kritischen GewerkschafterInnen und ihre Versuche, sich auch konzernweit zu vernetzen. Wir fordern verbindliche Ver­haltenskodizes für Multis, und ein wirksames Kartell- und Ent­flechtungsrecht auf UN-Ebene. Wir unterstützen Bestrebungen zum Ausbau einer effektiven Mitbestimmung innerhalb der Konzerne. Den­noch sehen wir, wie der Zugriff der Multis auf die Weltmärkte an Macht und Tiefe zunimmt und die Menschen unterschiedlicher Staaten in sozialen und ökologischen Fragen gegeneinander ausspielt.

Die sozialen Rechte der Menschen müssen demgegenüber durch inter­national verbindliche Vereinbarungen geschützt werden. Besondere Bedeutung kommt dabei der „Internationalen UN-Charta der politi­schen und sozialen Menschenrechte“ einschließlich des „Menschenrechts auf Entwicklung“ zu, aber auch den Konventionen zum Ar­beitsschutz der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).

Weltwirtschafts- und Weltwährungspolitik

Die Durchsetzung unserer weltwirtschaftspolitischen Ziele ist keine Frage technokratischer Steuerung, sondern abhängig von na­tionalen und internationalen Machtverhältnissen. Dementsprechend messen wir die Realisierbarkeit unserer Vorschläge nicht an den Standards des hier und heute Machbaren; wir wollen Lösungsansätze aufzeigen, die umsetzbar wären, wenn der entsprechende politi­sche Wille dahinterstände. Diesen Willen zu stimulieren und zu or­ganisieren ist der Auftrag, den sich grüne Politik setzen muss. Es ist ihre Aufgabe, die Bündnisse im nationalen und internationalen Bereich schmieden zu helfen, die die Chancen zur Durchsetzung ei­ner solidarischen Weltwirtschaft erhöhen.

Die skizzierten Leitlinien des GRÜNEN Weltwirtschaftskonzeptes sind nicht auf dem grünen Reißbrett entstanden: sie nehmen viel­mehr die Forderungen der unterschiedlichsten sozialen Bewegungen in der „Dritten Welt“ als auch bei uns auf: von kirchlichen Basi­sinitiativen, Gewerkschaften, Umweltorganisationen, feministischen Gruppen, Dritten Welt-Solidaritätsbewegung, Bauernopposition und VerbraucherInneninitiativen. Ohne die Aktivitäten dieser Gruppen haben unsere Forderungen keine Kraft. Die Gruppen engagieren sich nach dem Motto: global denken – lokal handeln. Eine Vernetzung und Bündelung ihrer Forderungen und Kräfte, wie dies beispielhaft in der IWF/Weltbank – Kampagne 1988 gelungen ist, kann den Aufbau von Gegenmacht gegen die herrschende Weltwirtschaftsordnung und ihrer Profiteure befördern.

Doch diese Ebene allein reicht nicht aus: wir müssen angesichts der globalen Umwelt- und Weltwirtschaftsprobleme auch globale Ge­genkonzepte entwickeln und von der lokalen zur globalen Hand­lungsebene voranschreiten. Die skizzierten Leitlinien müssen zur verbindlichen Handlungsmaxime einer international koordinierten Weltwirtschafts- und Währungspolitik werden. Wir schlagen analog zum Weltsicherheitsrat einen UN-Weltwirtschaftsrat vor, der regel­mäßig tagt und anstelle der jährlichen Weltwirtschaftsgipfel der sieben mächtigsten kapitalistischen Staaten koordinierende Funk­tionen übernimmt. Seine Aufgabe ist es, über die Einhaltung der Leitlinien zu wachen und gegebenenfalls wirtschaftspolitische In­terventionen zu vereinbaren. Die Leitlinien müssten den Charakter einer UN -Konvention für eine ökologisch – solidarische Weltwirt­schaftsordnung erhalten, um zur verbindlichen Maßgabe des Welt­wirtschaftsrates zu werden. Die Zusammensetzung des Weltwirt­schaftsrates könnte analog zum Weltsicherheitsrat erfolgen: die wirtschaftlich mächtigsten Staaten können nicht draußen vorgehal­ten werden; allerdings führt eine reine Abbildung der gegebenen Kräfteverhältnisse nicht zu ihrer Überwindung; daher sollten mehr­heitlich VertreterInnen größerer, nicht-hegemonialer Wirtschafts­räume wie Lateinamerika oder Afrika in diesem Rat vertreten sein.

Eine wirksame Koordinierung der Weltwirtschaftspolitik wird nur möglich sein, wenn auch die internationalen Finanzbeziehungen in multilaterale Verträge eingebunden werden. Ein föderalistisches Weltwährungssystem sollte über die Weiterentwicklung regionaler Währungsverbände, wie z. Bsp. EWS oder Gesamteuropäischer Wäh­rungsfonds, angestrebt werden. Der IWF muss in seiner Funktions­weise demokratisiert und auf die Finanzierung „kurzfristiger“ Lei­stungsbilanzungleichgewichte reduziert werden; die Weltbank sollte in regionale Entwicklungsfonds für Afrika, Lateinamerika und Asien aufgelöst werden.

Eine solcherart koordinierte und auf Ausgleich der Lebens- und Entwicklungsbedingungen bedachte Weltwirtschaftspolitik hätte eine herausragende friedensichernde Bedeutung. Denn sowohl im Nord-Süd-Verhältnis als auch in den sich auftürmenden regionalen und globalen Umweltproblemen lauern neue Kriegsgefahren auch nach der Entspannung des Ost-West-Gegensatzes: an die Stelle der klassi­schen imperialistischen Kriege um Rohstoffquellen und Absatzmärkte können in Zukunft Verteilungskämpfe um die Auswirkungen von Um­weltkatastrophen treten. Eine vorsorgende Weltwirtschaftspolitik könnte solche Konflikte vermei­den helfen.

Die Chance einer gesamteuropäischen Wirtschaftsordnung

Der politische und ökonomische Umbruch in Mittel- und Osteuropa eröffnet für Gesamteuropa große Chancen: mit den KSZE-Wirtschafts­konferenzen könnte der Anfang zur Überwindung der Wirtschafts- und Militärblöcke gemacht werden. Es besteht allerdings die Gefahr, dass diese Chancen bewusst vertan werden durch Bestrebungen, den Einflussbereich der NATO und EG nach Osten auszudehnen.

Wir GRÜNEN halten dafür, dass die Auflösung der Militärblöcke und eine gesamteuropäische Friedensordnung ökonomisch fundiert wird durch den Aufbau einer Gesamteuropäischen Wirtschaftsordnung. Dieser Prozess muss an die bestehenden Wirtschaftsräume EG, EFTA und Noch-RGW-Staaten anknüpfen, ihre Kooperation verstärken und daraus eine neuartige Wirtschaftsgemeinschaft entstehen lassen.

Die EG kann nach unserer Auffassung nicht die Basis und der Ent­wicklungstypus einer Gesamteuropäischen Wirtschaftsordnung sein. Eine bloße Osterweiterung der EG um die ökonomisch stärkeren RGW-Staaten, während der Rest assoziiert draußen vor bleibt, lehnen wir ab. Denn der Charakter und die Entwicklungsdynamik der EG sind durch das Primat der Ökonomie, also der Kapitalinteressen be­stimmt: EG-Binnenmarkt ’93 und EG-Währungsunion stehen für Wachs­tumsimperativ und freien Kapitalverkehr; eine Sozialcharta, Um­weltcharta und die Demokratisierung der EG-Institutionen haben sy­stematisch das Nachsehen. Daher sagen wir: diese EG muss grundle­gend umgebaut werden; die Dynamik ihrer Integration zum Binnen­markt ’93 und zu einer Währungsunion, erst recht zu einer politi­schen Union sollte, soweit es geht, gebremst und in Richtung einer gesamteuropäischen Integration umgelenkt werden.

Wir streben dafür das Primat der Politik vor der Ökonomie an. Als institutioneller Anknüpfungspunkt und Kern dieses Integrationspro­zesses eignet sich u.E. der Europarat besonders gut. Als Organisa­tion zum Schutz der Menschenrechte ist er in erster Linie eine po­litische Institution und gewinnt in absehbarer Zeit durch den Bei­tritt etlicher RGW-Staaten ohnehin an Bedeutung. Unter dem Dach des Europarates könnte die politische, wirtschaftliche und ökolo­gische Zusammenarbeit in Europa entwickelt und vertieft werden. Die Sowjetunion gehört für uns zu Europa, sie darf auch aus der wirtschaftlichen Integration Gesamteuropas nicht ausgegrenzt wer­den. In welcher Form allerdings der eurasische Wirtschaftsraum der Sowjetunion in Gesamteuropa einbezogen werden kann ist eine offene Frage.

Wir schlagen eine baldige Einberufung einer europäischen Schulden­konferenz vor, auf der weitreichende Entschuldungen für die ver­schuldeten RGW-Staaten und die Einrichtung ökologischer Gegenwert­fonds vereinbart werden sollten. Gerade die osteuropäischen Länder brauchen die Einrichtung eines Gesamteuropäischen Entwicklungs­fonds mit demokratischer Vergabepraxis.

Entgegen den Negativerfahrungen in der EG sollte die Parlamentari­sche Versammlung des Europarates von vorneherein die Federführung für den gesamteuropäischen Integrationsprozess übernehmen. Sie muss dazu zu einem regelmäßig tagenden Parlament mit eigenem Haushalt und Direktwahl entwickelt werden.

Die Entwicklung Gesamteuropas wird gerade auch wegen ihrer frie­denssichernden und blocküberwindenden Bedeutung hohe Kraftanstren­gungen und hohen Mitteleinsatz erfordern. Gerade deshalb muss auf die Gefahr eines Eurozentrismus hingewiesen werden, dem gegenüber die noch viel dringlicheren Probleme der „Dritten Welt“ in Verges­senheit zu geraten drohen. Wir GRÜNEN wünschen uns ein integrier­tes Gesamteuropa, das sich als Teil der Einen Welt weiß und daher in besonderer Weise Verantwortung für Umwelt und Natur und das Elend im Süden unserer Erde übernimmt.

In diesem Sinne kehrt grüne Außenwirtschaftspolitik die bisherige Ma­xime der Außenpolitik um: sie lautet nicht mehr „internatio­nale Politik im na­tionalen „, sondern „nationale Politik im internatio­nalen Interesse“.