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(In einer Rede als Fraktionsvorsitzender am 28. Februar 1986 wendete ich mich gegen die Einführung von „Überwachungsgesetzen“, die von den Grünen als Einstieg in den „Schnüffelstaat“ gesehen wurden. Diese Debatte bildete den Auftakt des Streits um die „Vorratsdatenspeicherung“, die im Jahre 2022 vom Europäischen Gerichtshof final als illegal beurteilt wurde. Plenarprotokoll 10/202)

 

Im Namen der Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag beantrage ich die Absetzung der Überwachungsgesetze von der heutigen Tagesordnung.

Wir wollen den Schweinsgalopp aufhalten, mit dem die Bundesregierung die Überwachungsgesetze über die parlamentarischen Hürden jagen will. Es geht bei diesen Gesetzen nicht um irgendwelche EG-Vorschriften zur Normierung von Fischkonserven. Es geht um ein Maßnahmenpaket, das die Freiheitsräume der Bürger einengt und ihre Privatsphäre ausspionieren hilft.

Wir wollen eine Verschiebung der Debatte, weil die Gesetze zum maschinenlesbaren Personalausweis, Reisepass und zur Schleppnetzfahndung mit den Polizei- und Geheimdienstgesetzen zusammen gesehen werden müssen, die die Regierung in einer zweiten Etappe durchpauken will. Mit den heute zur Debatte stehenden Gesetzen will sich der Staat die Möglichkeit verschaffen, jeden Bürger in Computern dingfest zu machen und dort lebenslänglich verhaftet zu halten. Die späteren Gesetze sollen Polizei und Geheimdienst verpflichten, routinemäßig die Daten auszutauschen. Erst wer beide Gesetzespakete gemeinsam diskutiert, wird herausfinden, dass am Ende der Entwicklung die Gefahr einer Wiedereinführung einer geheimen Staatspolizei steht, die den Bürger tags und nachts überwachen kann.

Die klammheimliche Art, mit der die Koalition die Gesetze an der Öffentlichkeit vorbeischieben will, spiegelt genau die Heimlichkeit wider, mit der in Zukunft alle Bürger erkennungsdienstlich behandelt und ausgeschnüffelt werden. An der parlamentarischen Opposition wollte die Regierung vorexerzieren, was allen Bürgern blühen wird, wenn die Gesetze verabschiedet sind. Von oben wird ein Ideal von Normalverhalten vorgeschrieben, an das sich jeder zu halten hat. Reibung, Opposition, Kritik soll es nicht mehr geben. Der Kanzler redet vom Abbau staatlicher Regulierung der Gesellschaft. Damit meint er den Sozialstaat, den er abgebaut hat. Als Ersatz dafür forciert er die völlige Durchstaatlichung der Gesellschaft, die sich in dem Versuch widerspiegelt, auch das Parlament zu durchstaatlichen.

Von oben wird ein Impuls gegeben, und die Abgeordneten sollen marionettenhaft ihre Beine in Bewegung setzen, um auf Kommando die Hände heben zu können. Auf diese Weise soll der Gesellschaft ein Menschenbild aufgezwungen werden, das sich reibungslos in die Logik der neuen Technologien einfügt. Hier heißt es funktionieren und nicht kritisieren. Hier heißt es, blind und roboterhaft abzuspulen, was von den Machern an den Schalthebeln verlangt wird. Meine Herrschaften von der Regierungskoalition, uns werden Sie nicht an Ihren Fäden zappeln lassen. Wir werden auch keine Geschäfte mit Ihnen machen wie die SPD, die deshalb zu einer Absprache mit Ihnen bereit sein konnte, weil sie ja im Prinzip nicht viel gegen die Gesetze einzuwenden hat.

Werte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wir sind keine Vasallen Ihrer unheiligen Drei Könige. Strauß, Kohl und Bangemann wird es nicht gelingen, sich nach Belieben ihr eigenes Parlament zu schaffen –

Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ich mahne Sie zum zweiten Mal, zur Sache zu kommen und zu dem Geschäftsordnungsantrag zu sprechen.

Volmer (GRÜNE): Ich spreche zur Geschäftsordnung. Ich begründe, warum die Debatte verschoben werden soll. — Sie benutzen Ihre Macht derart skrupellos, weil Sie wissen, wie schnell es um sie geschehen sein kann.

Ich möchte zum Schluss sagen: Auch wir erkennen an, dass es parlamentarische Mehrheiten gibt; aber es gelten zwei Einschränkungen. Erstens. Wenn Sie, meine Herrschaften, dem Parlament ein Herr-Knecht-Verhältnis aufzwingen wollen, bei dem der Knecht nach der Pfeife des Herrn zu tanzen hat, dann werden Sie erleben, dass auch die Knechte ihre Macht haben, an denen die Herren sich die Zähne ausbeißen. Zweitens. Eine parlamentarische Niederlage ist nicht das Ende der Geschichte. Auch außerhalb der Parlamente findet Politik statt. Gemeinsam mit der gesamten grünen Partei, gemeinsam mit den unterschiedlichen Bürgerrechtsgruppen in unserer Republik sagen wir Ihrem Extremismus der Mitte den Kampf an.