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(am 08. Juni 2000 frei gehaltene Rede als Staatsminister im Auswärtigen Amt zu Menschrechtsverletzungen in China, Plenarprotokoll 14/108)

 

Ich vermag in der grundsätzlichen Einschätzung der nach wie vor unbefriedigenden und sich weiterhin verschlechternden Menschenrechtslage in China durch dieses Haus keine großen Unterschiede zu erkennen. Andererseits – auch darauf ist hingewiesen worden – wird niemand den großen Entwicklungsschub verkennen wollen, den die Volksrepublik China seit ihrer Gründung und insbesondere seit Aufnahme der Reform- und Öffnungspolitik erlebt hat.

Die Verschlechterung der Menschenrechtslage ist ein Indiz dafür, dass die gesamte westliche Menschenrechtspolitik bisher wohl nicht gegriffen hat. Sonst müssten wir unsere Strategien nicht überprüfen und diese intensive Diskussion nicht führen. Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, dass Sie persönlich – ich betone: persönlich – in dieser Frage glaubwürdig sind, ist völlig unstrittig. Aber wenn sich Ihre Partei und Ihre Außenminister so deutlich geäußert hätten wie Sie, dann hätte sich die Situation ja wohl verbessern müssen, wenn Ihre These stimmt, dass der deutsche Einfluss eine direkte, lineare Einwirkung auf die innerchinesischen Verhältnisse hat.

30 Jahre lang hat die F.D.P. den Außenminister gestellt. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, entweder haben die Außenminister nichts gesagt oder es war völlig uneffektiv. Sonst könnten Sie heute nicht festhalten, dass sich die Verhältnisse in China verschlechtert haben. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich erinnere daran – das spricht für Sie persönlich –, dass Sie seinerzeit doch die Brocken als F.D.P.-Ministerin hingeworfen haben, weil Sie sich in der Partei nicht durchsetzen konnten.

Aus all dem ergibt sich die Frage, wie wir es der chinesischen Seite ermöglichen, auf die europäischen Sorgen um die Lage der Menschenrechte in China wirklich einzugehen. Dazu ist es nötig, an dieses Problem ohne Überheblichkeit heranzugehen, auch eingedenk der eigenen, hier mehrmals beschriebenen Geschichte sowie in Kenntnis und Anerkennung der Ungleichzeitigkeit von Entwicklungen.

China legt ebenso wie wir großen Wert auf den Ausbau der bilateralen Beziehungen zu Deutschland und Europa. Es ist grundsätzlich bereit, auch in sensiblen Fragen mit uns zusammenzuarbeiten. Hiervon konnte ich mich gestern in Gesprächen mit dem Assistierenden Außenminister Chinas und heute in Gesprächen mit dem Auswärtigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses selbst überzeugen.

Die Bundesregierung setzt in der Menschenrechtsfrage auf Dialog und Kooperation mit der chinesischen Regierung. Dies schließt deutliche – auch öffentliche – Worte überhaupt nicht aus. Es schließt auch symbolische Aktivitäten nicht aus. Es war der grüne Außenminister Fischer, der den Dalai-Lama als erster offiziell auf Regierungsebene empfangen hat.

Dies ist auch der Ansatz der dem Hause vorliegenden Beschlussempfehlung. Nur über die Fortsetzung des Menschenrechtsdialogs auf allen politischen Ebenen wird es gelingen, China von der Notwendigkeit substanzieller Verbesserungen bei den Menschenrechten zu überzeugen. Wir haben der chinesischen Seite konkrete Vorschläge für eine intensive Zusammenarbeit im Rahmen der Rechtsstaatsinitiative unterbreitet, der die chinesische Regierung im November 1999 zugestimmt hat. Wir gehen davon aus, bis zum Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Ende Juni dieses Jahres Einigung über unsere prioritären Projekte zu erzielen.

Die Bundesjustizministerin und die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Dr. Vollmer, werden morgen nach China reisen, um an einem hochrangig besetzten Seminar zur Rechtsbindung der Verwaltung und zum Individualrechtsschutz teilzunehmen, das unsere Botschaft in Peking gemeinsam mit der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften vorbereitet hat. Im Rahmen unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit der VR China bildet die Kooperation im Rechtsbereich einen Schwerpunkt, für den wir insgesamt bereits über 60 Millionen DM bereitgestellt haben. Mit all diesen Maßnahmen ist eine Infrastruktur geschaffen, in deren Rahmen sich jenseits der großen öffentlichen Anklagen ein Dialog entwickeln wird, von dem wir wissen, dass er auch im Interesse Chinas ist; denn China weiß, dass es als globale Macht nur dann von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt werden wird, wenn es sich demokratisiert. Wir wissen aus vielen Studien, dass Staaten ihre internationalen Beziehungen so wie ihre innerstaatlichen Probleme zu regeln pflegen. Deshalb ist es im fundamentalen Interesse der internationalen Gemeinschaft, dass ein in die globale Gemeinschaft hineinwachsendes, stärker werdendes China sich substanziell demokratisiert.

Dazu haben wir eine Dialoginitiative ergriffen. Ich lade Sie, die Sie sich so vehement dafür eingesetzt haben, ein, an dieser Initiative teilzunehmen. Je breiter die Berührungsflächen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und China auf allen Ebenen sind, desto größer ist die Chance, dass wir unsere Wertvorstellungen im Dialog vermitteln können.

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