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(interner Bericht für die grüne Bundestagsfraktion, 12. Oktober 1999, bisher unveröffentlicht)

Oktober 1998 bis September 1999

Das Bekenntnis des Außenministers zu außenpolitischer Kontinuität, die Dominanz der großen europäischen Gestaltungsaufgaben, der Kosovo-Krieg, die Spardiskussion – diese Dimensionen der Außenpolitik haben es für viele grüne Mitglieder und Sympathisanten schwierig gemacht herauszufinden, wo denn ein spezifischer grüner Erfolg zu verzeichnen sei. Es wird weithin der Eindruck gepflegt, der Außenminister mache seine Sache zwar ausgezeichnet, diese hätte aber wenig mit grüner Politik zu tun. In der Tat macht ein von Bündnis 90/Die Grünen gestellter Außenminister keine grüne Außenpolitik in dem Sinne, daß er das politische Forderungsprofil einer 6,5%-Partei bruchlos umsetzen könnte. Zudem muß er mit 200 souveränen Staaten und internationalen Großorganisationen den Interessenausgleich suchen. Diese kennen keine grüne, sondern nur eine deutsche Außenpolitik. Hinzu kommt die Selbst-Einbindung Deutschlands in Bündnisse – übrigens ein wesentlicher Eckpunkt grüner Programmatik. Sie erlaubt zwar, innerhalb des Bündnisses eigene Positionen zu vertreten, verpflichtet jedoch auch zur Loyalität. Trotz dieser Begrenzungen außenpolitischer Gestaltungsmöglichkeit kann nach einem Jahr festgestellt werden, daß die deutsche Außenpolitik starke grüne Akzente trägt. In vielen größeren und kleineren Fragen gelang es, die Dinge im grünen Sinne weiter zu bewegen, wie eine – unvollständige – Aufstellung verdeutlichen soll.

 

Der Kosovo-Konflikt

Der Kosovo-Konflikt belastete von Anfang an die rot-grüne Außenpolitik und schwebte wie ein Demoklesschwert bereits über den Koalitionsverhandlungen. Mit großem Engagement bei der Kosovo-Verifikationsmission (KVM) der OSZE ab November 1998 versuchten wir, den zwischen Holbrooke und Milosevic ausgehandelten Waffenstillstand zu sichern. Nach dessen Bruch durch Provokationen der UCK und auf Völkermord hinauslaufende Grausamkeiten der serbischen Seite stand die westliche Staatengemeinschaft vor der Situation, die bereits vor Beginn der rot-grünen Koalition ausgesprochene Drohung eines militärischen Eingreifens sofort zu realisieren. Nur aufgrund einer energischen deutschen – und damit grünen – Initiative kam es nicht zu einer sofortigen Militärintervention, sondern zum Versuch einer großen Friedenskonferenz in Rambouillet. Als nach derem Scheitern der Westen – durch deutsche/grüne Politik nicht zu verhindern – militärisch intervenierte und die Bombardierungen nicht den schnellen Erfolg brachten, war es wieder eine deutsche und damit grüne Initiative, die den Ausweg aus einer sich verselbständigenden militärischen Logik wies: der deutsche Friedensplan – von EU, G7/G8 und UNO als „5-Punkte-Plan“ akzeptiert – schuf eine reale Grundlage für die Beendigung des Krieges. Dieser Weg entsprach zwar nicht dem grünen Ideal einseitiger Vorleistungen, war faktisch aber der einzig effektive (und bestätigte so die grüne Mehrheitsentscheidung von Bielefeld). Es war ausschließlich der deutschen Diplomatie und dem Engagement des grünen Außenministers zu verdanken, daß durch eine Reintegration Rußlands in die Strategiebildung der G7/G8 und die Zurückverlagerung der Lösungskompetenz in den UNO-Sicherheitsrat in einem zusammenhängenden Akt der Waffenstillstand, der Rückzug der serbischen Truppen, die Beendigung der Bombardierungen und die Dislozierung der KFOR-Einheiten gelang. Wir Grünen hatten als Regierungspartei – jenseits unserer programmatischen Vorstellungen – vor der Entscheidung gestanden: entweder die Koalition verlassen, um nicht „mitschuldig“ an der Kriegsführung zu werden. Die Konsequenz wäre nicht das Ende des Krieges gewesen, sondern eine Große Koalition, die Abwesenheit einer politischen Lösungsperspektive und die Entsendung von Bodentruppen. Oder aber in der Regierung verbleiben und Verantwortung mittragen. Nur dies gab uns die Möglichkeit, mit dem Friedensplan einzugreifen, den Einsatz von Bodentruppen zu verhindern und die beschriebene Lösung durchzubringen. Das Kosovo-Engagement war kein Verrat grüner Grundsätze durch Regierungspolitik, es war die Umsetzung grüner Friedenspolitik in Kriegszeiten.

 

Stabilitätspakt für Südosteuropa

Der Stabilitätspakt für Südosteuropa als Mittelfristperspektive für diese Region ist wie die Friedenspläne im Kosovokonflikt ausschließlich auf deutsche Initiative zurückzuführen. Der Plan greift frühe Anträge der grünen Bundestagsfraktion („Einladung nach Europa“) auf. Er bedeutet den grundlegenden Paradigmenwechsel der europäischen Balkanpolitik von einer Containment-Strategie, die die Konflikte nur eindämmen und abkapseln will, hin zu einem Integrationsansatz, der die Probleme der Region zum inneren Problem europäischer Entwicklung macht und damit die Verantwortung der Europäer, zu ihrer Lösung beizutragen, festschraubt. Wenn man grüne Außenpolitik nicht nur an Detailforderungen mißt, dann ist dieses Konzept die Verwirklichung grüner Friedenspolitik par excellence.

 

Europäische Union – Vertiefung, Erweiterung und Kooperationsbeziehungen

Mit dem Rücktritt der Kommission, dem Kosovo-Krieg und den ungelösten Fragen der Agenda 2000 stand die EU an einem äußerst kritischen Punkt. Wir haben die EU-Präsidentschaft genutzt, um mit der Verabschiedung der Agenda 2000 auf dem Sondergipfel am 24.-25.03.1999 in Berlin das größte Reformprojekt in der Geschichte der Europäischen Union durchzusetzen. Lange als kaum lösbar geltende Kernfragen wurden unter unserer Moderation bewältigt. Indem deutsche Diplomatie alle drei Krisen gleichzeitig lösen half, konnte die EU in ihrer kritischsten Stunde nicht nur stabilisiert, sondern für ihre Erweiterung präpariert werden. Damit wurde ein zentraler grüner Programmpunkt erfüllt. Sämtliche Beschlüsse des Berliner Gipfels konnten dank engagierter deutscher Verhandlungsführung mit dem Europäischen Parlament noch im ersten Halbjahr 1999 in Kraft treten.
Durch die von uns mitbetriebene Schaffung des Amtes des Hohen Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik wurde das außenpolitische Profil der EU geschärft. Zudem haben wir das GASP-Instrument der ‚gemeinsamen Strategie‘ genutzt, um das strategische Interesse der EU und ihrer Mitgliedstaaten an der Konsolidierung von politischen und wirtschaftlichen Reformen in Rußland zu unterstreichen. Auf unseren Druck hin wurde ein seit langem blockiertes Handelsabkommen zwischen der EU und Südafrika endlich in Kraft gesetzt. Auf unser Betreiben hin konnte auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel der Beginn von Verhandlungen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur beschlossen werden.

Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle, Abrüstung

Bei den Verhandlungen über das neue strategische Konzept der NATO konnten wir die zwischen den USA und den Europäern umstrittenen Fragen deutlich in die europäische Richtung bewegen helfen. Das betraf sowohl die Aufgabe als auch den Aktionsradius und die Mandatierung des Bündnisses: Konfliktprävention, kooperative Sicherheit Dialog und Abrüstung statt der bisherigen „Wahrung des strategischen Gleichgewichts in Europa“; Konzentration auf den atlantischen Raum statt weltweiter Orientierung; klare Bindung an das Völkerrecht und die primäre Verantwortung des UNO-Sicherheitsrates statt Selbstmandatierung. Geht man davon aus, daß Deutschland Mitglied des Bündnisses bleiben muß und wird, sind diese Akzentsetzungen durchaus als Erfolge der deutschen und damit grünen Außenpolitik anzusehen.
Nachdem Ex-Außenminister Kinkel die Abteilung Abrüstung im AA aufzulösen beschlossen hatte, gelang uns in letzter Minute ihre institutionelle Rettung. Durch deutsche Beiträge konnten Schlüsselfragen der Anpassung des Vertrags über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) an die neuen sicherheitspolitischen Realitäten unseres Kontinents gelöst werden. Den KSE-Vertrag als Eckstein der europäischen Sicherheit funktionsfähig zu erhalten, ist damit in greifbare Nähe gerückt. Die bereits bestehende Initiative zur Eindämmung von kleinen und leichten Kriegswaffen, die in Regionalkonflikten eine böse Rolle spielen, wurde durch europäische und außereuropäische Bündnisse gestärkt. In den Abstimmungen der Bundesregierung über Rüstungsexporte (federführend ist das Wirtschaftsministerium) hat das AA immer wieder ablehnend votiert und eine restriktivere Praxis eingefordert.

 

Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung

Wir haben federführend für die Bundesregierung ein Rahmenkonzept für Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung entwickelt. Zudem haben wir die Aufgabe, die das Auswärtige Amt in diesem Rahmen zu erfüllen hat, operationalisiert. So haben wir damit begonnen, ziviles Personal für von OSZE oder UNO mandatierten Friedensmissionen auszubilden. Diese „Friedensfachkräfte“ – eine originär grüne Initiative – sind neu in der internationalen Politik; es gibt ermutigende Anzeichen, daß andere Staaten diesem Beispiel folgen bzw. bestehende ähnliche Ansätze mit unserem koordinieren. Ziel ist es, eine international vernetzte Personalreserve für zivile Krisenintervention aufzubauen. Auf unsere Initiative hin wird sich in Kürze eine Sonderkonferenz der G7/G8-Außenminister mit diesem Thema befassen. Der OSZE-Gipfel im Dezember 1999 wird es zu seinem Schwerpunkt machen. Unsere finanzielle und politische Unterstützung trägt zudem zu einer bald erfolgenden Gründung eines OSZE-Forschungsinstituts bei.

 

Menschenrechtspolitik

Die Bestellung eines Menschenrechtsbeauftragen der Bundesregierung hat diesen Politikbereich im Sinne grüner Programme aufgewertet und geholfen, den Dialog mit Menschenrechtsorganisationen zu vertiefen und zu systematisieren. In einer gemeinsamen Initiative mit Großbritannien haben wir die EU-Partner zur Erarbeitung eines jährlichen gemeinsamen Menschenrechtsberichts der EU gewinnen können. Unter unserer EU-Präsidentschaft ist es gelungen, in den VN eine EU-Resolution zur Abschaffung der Todesstrafe einzubringen. Unter maßgeblicher deutscher Beteiligung kam die Einigung auf das Statut des internationalen Strafgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zustande, die wichtige Schritte auf dem Weg zur weiteren Stärkung des Völkerrechts bedeuten.

An der Schnittstelle von Außen- und Innenpolitik haben wir im Sinne der grünen Ausländer- und Asylpolitik die Stärkung der Bürger- und Menschenrechte gegenüber konservativen Interessen und ausländerfeindlichen Stimmungen durchgesetzt: wir haben ein neues Konzept zur Abfassung der asylrechtlich relevanten Lageberichte entwickelt, das Menschenrechtsgruppen wie anderen Informanten die Möglichkeit gibt, ihre Erkenntnisse systematisch in die Meinungsbildung des AA einfließen zu lassen. Wir werden die Berichte in eigener Verantwortung, d.h. ohne Mitsprache anderer Behörden, abfassen. In zahlreichen Einzelfällen konnten wir ablehnende Entscheidungen über Visa-Anträge im humanitären Sinne korrigieren. Eine gründliche Überprüfung der Praxis bei der Visa-Erteilung ist eingeleitet. Dabei wird auch die Gleichbehandlung von gleichgeschlechtlichen mit heterosexuellen Partnern umgesetzt werden. Letzteres wurde auch – in Erfüllung grüner Programmforderungen – für den Auswärtigen Dienst selbst bereits angeordnet.

 

Regionalfragen

Um die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß die Türkei einen tiefgreifenden und umfassenden inneren Reformprozess in Gang setzen kann, haben wir darauf gedrungen, dem Land den Kandidatenstatus zur Mitgliedschaft in der europäischen Union anzubieten. Maßstab zur Aufnahme in die EU wird die Erfüllung der Kopenhagener Beitrittskriterien sein, die neben ökonomischen auch politische und menschenrechtliche Aspekte enthalten. Parallel dazu wurden auf Staatsministerebene die ersten offiziellen Gespräche mit kurdischen Organisationen im AA aufgenommen. Unter grüner Führung kam es so zu einer Neudefinition der Türkeipolitik.

 

Dialogprogramm mit Nichtregierungsorganisationen

Im Frühjahr gründeten wir das Forum Globale Fragen, das den systematischen Dialog zwischen der staatlichen und der nicht-staatlichen Ebene der Außenpolitik organisieren soll und der – gerade von grüner Seite betonten – gewachsenen Bedeutung der ‚Gesellschaftswelt‘ gegenüber der ‚Staatenwelt‘ Rechnung trägt. Es fanden mehrere gemeinsame Tagungen und Workshops statt. Dieser Ansatz findet auch seinen Niederschlag bei Auslandsreisen. Regelmäßig stehen offizielle Gespräche mit Menschenrechts- und Ökologiegruppen auf dem Programm. Dies führte spürbar zu ihrer massiven innenpolitischen Aufwertung und in Einzelfällen zu konkreten Konsequenzen: so etwa war ein Besuch bei lokalen argentinischen Umweltgruppen der Auslöser dafür, daß diese sich zum ersten argentinischen Umweltverband zu formieren beschlossen.

 

Fazit

Vieles ist eine Frage der Optik: während in Deutschland mancher nach der grünen Handschrift fragt, ist sie im Ausland unübersehbar. Während in grünen Kreisen gern benörgelt wird, was alles noch nicht geschafft wurde, wird im Ausland – z.T. begeistert – gewürdigt, was bereits alles zum besseren verändert wurde. Weitere Erfolge werden in einem Jahr zu berichten sein.