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(In dieser Rede im Bundestag am 30. Oktober 1990 zu entwicklungspolitischen Grundsatzfragen skizziere ich das kurz zuvor fertiggestellte grüne Außenwirtschaftsprogramm „Auf dem Weg zu einer ökologisch-solidarischen Weltordnung“. Es handelt sich zudem um meine letzte Rede vor dem Absturz der Grünen aus dem Bundestag bei der Wahl im Dezember 1990 und der parteiintern beschlossenen Begrenzung der Mandatszeit auf zwei Wahlperioden, also quasi um mein „politisches Vermächtnis“.  Plenarprotokoll 11/223)

 

Die entwicklungspolitische Diskussion der letzten Jahre ist gekennzeichnet durch einen dualen Entwicklungsbegriff. Auf der einen Seite definieren wir Entwicklung in den Industriestaaten als ungehemmtes Wachstum und auf der anderen Seite Entwicklung in den sogenannten Entwicklungsländern als nachholende Industrialisierung, neuerdings ein wenig ökologisch abgefedert und durch internationale Sozialhilfe begleitet. Diesen dualen Entwicklungsbegriff lehnen die GRÜNEN und das Bündnis 90 ab.

Wir treten für einen globalen, einheitlichen Entwicklungsbegriff ein. Wir streiten und wir setzen uns ein für eine ökologisch-solidarische Weltwirtschaft, deren Hauptziel es ist, unter Berücksichtigung der ökologischen Belastbarkeit unseres Globus die Lebenschancen in allen Regionen der Erde auf möglichst hohem Niveau aneinander anzugleichen.

Dies bedeutet logisch: Wenn wir die Lebenschancen der Völker der Dritten Welt sichern wollen und wenn wir die Umwelt global schützen wollen, dann müssen wir notwendigerweise mit unserem Lebensstandard herunter. Zunehmend wird die Weltwirtschaft zum Nullsummenspiel; Wohlstandsgewinne in der Dritten Welt können nicht mehr aus Wachstum finanziert werden, sondern auch wir müssen zu Verzicht bereit sein.

In diesem Sinne haben wie GRÜNEN/Bündnis 90 ein Außenwirtschaftsprogramm entwickelt, an dem meines Erachtens die entwicklungspolitische Diskussion in den nächsten Jahren nicht wird vorbeigehen können. Dieses Programm ist gekennzeichnet durch einige Maximen, die ich Ihnen kurz darstellen möchte.

Wir meinen, Grundlage einer gerechten und solidarischen Weltwirtschaft müssten sein: die eigenständige Entwicklung durch Regional- und Binnenorientierung, der Erhalt des ökologischen Gleichgewichts, Solidarität und Ausgleich der Entwicklungschancen, dies auch als entscheidender Beitrag zur Friedenssicherung, Demokratisierung der Weltwirtschaft, Sicherung der Menschenrechte und die Verbesserung der Lebenssituation der Frauen. Meines Erachtens muss jede Entwicklungspolitik diesen Maximen untergeordnet werden.

Die klassische Projektpolitik als strategischer Ansatz für Entwicklung ist gescheitert. Die Rahmenbedingungen für Entwicklung müssen in den Vordergrund der Diskussion der 90er Jahre gerückt werden. Entwicklungspolitik im klassischen Sinne muss dem untergeordnet werden. In diesem Sinne einige Ausführungen zu einzelnen Punkten:

Die Ökologieproblematik ist nicht nur durch Appelle an die Betroffenen in den Drittweltländern zu lösen, sondern wir müssen nach wir vor Transfers leisten, und zwar in erheblich stärkerem Maße als bisher. So fordern wir GRÜNEN/Bündnis 90 beispielsweise, dass wir jährlich 1 % des Bruttosozialprodukts in einen internationalen Umweltfonds einzahlen, der von den Vereinten Nationen kontrolliert wird und der dazu dienen soll, Konversionsprozesse in Drittweltländern zu finanzieren, um etwa von einer CO2-emittierenden Produktion und Konsumtion — begleitend zu dem Verzicht auf CO2-Emissionen bei uns, den wir genauso anstreben. Wir sind gezwungen, kräftig zu finanzieren und ganz entscheidende Transfers zu leisten, wenn wir vermeiden wollen, dass unser friesischer Freund Jan Jans Müntinga (mein Mitarbeiter, LV) demnächst im Wasser steht oder dass Länder wie Bangladesch von der Bildfläche verschwinden.

Ein zweiter Punkt, warum eine gerechte und solidarische Weltwirtschaft, eine ökologische Weltwirtschaft, unausweichlich ist, ist, dass sie die einzige Möglichkeit zur langfristigen Friedenssicherung ist. Wir sehen zurzeit, dass sich die Kriegsgefahr von der Ost-West-Achse auf die Nord-Süd-Achse verschiebt. Die Irak-Krise, ist nur ein erster bizarrer Ausdruck dafür. Weitere Konflikte werden folgen, wenn wir dem nicht durch eine Änderung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen vorbeugen. In diesem Sinne lehnen wir es ab, wenn bundesdeutsche Entwicklungsprojekte in den Zusammenhang militärischer Strategien gesetzt werden, wie es z.B. bei dem Bondoc-Projekt auf den Philippinen der Fall ist.

Ein ganz wichtiger Punkt jeder Entwicklungspolitik und jeder Weltwirtschaftspolitik ist der aktive Kampf für die Durchsetzung der Menschenrechte. Wir meinen, dass die Zusammenarbeit mit Vietnam aufgenommen werden sollte, dass gleichzeitig aber die Zusammenarbeit mit El Salvador gestoppt werden muss. Wir bestehen darauf, dass die Sanktionen China gegenüber aufrechterhalten bleiben. …, bis sich in China Entscheidendes in Richtung auf die Beachtung der Menschenrechte tut.

Insgesamt gesehen hat die Bundesregierung herumgeeiert und eine äußerst inkonsistente und inkonsequente Politik betrieben, was Sanktionen angeht. Bei der Südafrika-Debatte wurde betont, dass Sanktionen unter keinen Umständen irgendeinen Sinn haben können. Bei der Irak-Politik wird nun zu Sanktionen gegriffen, was wir begrüßen. Aber dies heißt im Rückblick auf die Südafrika-Diskussion, dass man auch da andere Entscheidungen hätte treffen müssen. Manchmal sind ja auch weniger einschneidende Methoden geeignet, um Schlimmstes zu verhindern. Wenn die Bundesregierung nicht drei Augen bei der Exportpolitik zugedrückt hätte, dann hätten bestimmte Giftgasanlagen gar nicht in den Irak exportiert werden können, und die Eskalation des Konflikts wäre wahrscheinlich ausgeblieben.

Ich komme zum letzten wichtigen Punkt, zur Bevölkerungspolitik und zur Situation der Frauen im Entwicklungsprozess. Ich glaube nicht, dass Armut eine Konsequenz des Bevölkerungswachstums ist, sondern ich denke, dass das Bevölkerungswachstum eine Folge von Armut ist. Dem ist nicht durch technokratische Mittel der Familienplanung, die meistens auch frauenfeindlich sind, beizukommen, etwa dann, wenn Frauen mit allen möglichen technischen Mitteln, Kontrazeptiva usw., traktiert werden. Das mag es auch geben, wenn die Frauen es wünschen. Im Wesentlichen kommt es darauf an, die Lebenssituation der Frauen weltweit zu verbessern. Es gilt, nicht nur ihre Grundbildung zu verbessern, sondern ihnen auch Zugang zu Ressourcen, zu Technologien, zu Know-how und zu gehobenen gesellschaftlichen Positionen zu verschaffen. Eine nachhaltige Entwicklung wird nicht möglich sein gegen die Hälfte der Menschheit oder ohne die aktive Beteiligung der Hälfte der Menschheit.

Ein letztes Wort zur Weltmachtrolle der Bundesrepublik, die hier in der letzten Zeit intensiv diskutiert worden ist. Deutschland ist eine bestimmte Position im wirtschaftlichen Bereich zugewachsen. Wir meinen nicht, dass Deutschland diese wirtschaftliche Macht in politische Macht ummünzen sollte. Wir sind der Ansicht, es sollte freiwilliger Machtverzicht geübt werden. Hoheitsrechte müssen nach unten, in die Regionen, und nach oben, an die Vereinten Nationen, abgetreten werden. Wir wollen die Maximen der Außenpolitik umkehren: Wir wollen nicht mehr eine internationale Politik im nationalen Interesse, sondern wir möchten eine nationale Politik im internationalen Interesse.