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(frei gehaltene Rede am 28. Oktober 2004 zu China, anlässlich der Diskussion über die Fortsetzung des Waffenembargos. Bundestag Plenarprotokoll 15/135)

Der Anlass für das EU-Waffenembargo war das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Das ist lange Zeit her, aber damit nicht vorbei. Man kann keinen Schlussstrich ziehen. Wir sind auch nicht der Meinung, dass Argumente, wie man sie manchmal aus China hört, nämlich dass die Angelegenheit verjährt sei, akzeptabel sind. Dennoch muss es erlaubt sein, hin und wieder zu überprüfen, ob dieses  Embargo noch Sinn macht. Die heutige Führung in China zumindest trägt keine unmittelbare Verantwortung mehr für das Massaker vor 15 Jahren. Aber sie trägt Verantwortung dafür, dass China ab sofort und in aller Zukunft eine demokratische Entwicklung nimmt, die die Menschenrechte  berücksichtigt.

Wenn man die chinesische Führung mit dieser Frage der Menschenrechte konfrontiert, hält sie sofort umfangreiche Referate darüber, dass sie es geschafft hat, die sozialen Menschenrechte zu erfüllen, und zwar vielleicht besser als so manches andere Land. Dieses Argument kann man nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Man muss anerkennen, dass China es geschafft hat, ein Sechstel der Weltbevölkerung aus dem absoluten Elend, aus der absoluten Armut herauszuführen und dem größten Teil dieses Riesenvolkes zumindest das Existenzminimum zu sichern. Das ist eine Erfüllung von sozialen Menschenrechtsstandards. Das muss man einmal anerkennend aussprechen.

Allerdings kann man sich mit der Erfüllung der sozialen Menschenrechte nicht dafür entschuldigen, dass es immer noch massive Defizite bei den politischen Menschenrechten gibt. Auch in unserem Sicherheitsinteresse sagen wir: Wir haben großes Interesse daran, dass China, das wirtschaftlich immer stärker wachsen und in der globalen Politik eine immer größere Rolle spielen wird, auch immer demokratischer wird. Nur dann kann es für uns langfristig ein Partner sein, mit dem gemeinsam wir nicht nur Handel treiben, sondern auch versuchen, globale und regionale Probleme zu lösen. In diesem Sinne ist es nicht besserwisserisch, sondern einfach der Ausdruck unseres eigenen Interesses, dass wir einen intensiven Dialog über die Menschenrechtsfragen mit China begonnen haben. Wir begrüßen und möchten daran erinnern, dass es die rot-grüne Bundesregierung war, die den Rechtsstaatsdialog mit China aufgenommen hat, einen Dialog, der viele positive Ergebnisse gebracht hat….

…Nehmen wir die Taiwan-Frage vorweg: Bevor es zu einer Aufhebung aller Restriktionen und zu einer völligen Normalisierung der Beziehungen kommen kann, müssen mehrere Kriterien erfüllt sein, und zwar auch auf europäischer Ebene, nicht nur auf der Ebene der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Ein wesentliches Kriterium ist die Taiwan-Frage. Erinnern wir uns zurück an die Zeit vor dem 11. September 2001: Im ersten Jahr der Amtszeit von Präsident Bush … hatten wir hier öfters Debatten über sich steigernde transpazifische Dispute. Wir alle hatten Angst, dass diese Dispute zu einem massiven Konflikt eskalieren könnten. Im Zentrum der Dispute stand die Taiwan-Frage. Von daher ist es auch in unserem Sicherheitsinteresse, dass keine Waffen an China geliefert werden, erstens damit der transpazifische Konflikt nicht eskaliert und zweitens damit wir uns nicht durch europäische Waffenlieferungen in eine Gegend, die möglicherweise wieder spannungsgeladen sein könnte, in einen Interessengegensatz zu unserem Partner und NATO-Freund USA begeben. ….

Ich hoffe, wir sind uns auch in den anderen Punkten einig. …, dass wir jetzt natürlich nicht einen riesigen Katalog von Einzelforderungen, die wir an die chinesische Politik stellen, zur Voraussetzung für eine Normalisierung machen können. Es gibt viele Punkte, die uns nach wie vor Sorgen machen: die extensive Anwendung der Todesstrafe, die Lagerhaft, die Administrativhaft, das Fehlen von Parteiendemokratie. Was wir aber von der chinesischen Seite fordern können, ist, dass endlich der VN-Pakt für die politischen und bürgerlichen Rechte gezeichnet und ratifiziert wird. Vor allen Dingen dies steht aus. Darüber werden wir mit der chinesischen Seite noch reden wollen.

Genauso werden wir mit der chinesischen Seite noch darüber reden wollen, dass die weit reichenden Verfassungsänderungen, die vorgenommen worden sind und die wir sehr begrüßen, auch in Verwaltungshandeln umgesetzt werden. Das betrifft etwa die Einführung demokratischer Strukturen und des Privateigentums. Der dritte wesentliche Prüfungspunkt ist der Umgang mit den ethnischen und regionalen Minderheiten in China selber. Die Stichworte kennen Sie: Tibet, Xinjiang. Es muss darauf hingewirkt werden, dass diese Ethnien, dass diese Völker ein Großmaß an substanzieller Autonomie bekommen. Modernisierungsstrategien, die von Peking aus dort vorangetrieben werden, mögen, was die Infrastruktur usw. angeht, ihren Sinn machen; wenn diese Strategien aber dazu führen, dass diese traditionellen Kulturen, die mit zum Beeindruckendsten gehören, was die Menschheit auf diesem Globus im Moment zu bieten hat, beeinträchtigt werden oder verschwinden sollten, dann wäre das ein enormer Schaden. Davor wollen wir China – das eine China, das wir als Einheitsstaat akzeptieren – bewahren.

Deshalb lautet unser Plädoyer, dass die Überprüfung, ob das Waffenembargo noch Bestand haben kann, auf europäischer Ebene vorgenommen werden muss. Wir hoffen, dass dieser Überprüfungsprozess in einen für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Kodex einmündet, was Waffenexporte im Allgemeinen und Waffenexporte nach China im Speziellen angeht. Die zu prüfenden Punkte… wollen wir auf der Ebene der Europäischen Union als Essentials unserer Politik deutlich machen.

Für uns Grüne und, wie ich denke, auch für viele andere ist völlig klar: Wenn man die vier Kriterien, über die wir gerade diskutiert haben, zugrunde legt, dann  kommen Waffenexporte an China im Moment nicht infrage.

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