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Zum Erscheinen meines Buches „Kriegsgeschrei und die Tücken der deutschen Außenpolitik“ machte Deutschlandradio Kultur am 18. September 2913 ein Interview mit mir, das sich auch der Syrien-Frage widmete. Hier der entsprechende Ausschnitt:

Degenhardt (Deutschlandradio Kultur): Die Frage, soll man sich einmischen mit Waffengewalt, um Kriegsverbrechen zu verhindern, steht damals (Kosovo, LV) wie heute. Wir müssen nur nach Syrien schauen, auf die Toten dort, auf das zurückhaltende Agieren der Weltgemeinschaft. Lässt sich die Situation heute in Syrien mit der damals auf dem Balkan vergleichen? Der Giftgaseinsatz mit den Morden zum Beispiel in Srebrenica?

Volmer (Staatsminister a.D.): Die Bilder sind gleichermaßen schrecklich, und jeder möchte heute irgendwie dazwischenhauen, am liebsten sofort, und dem ganzen Blutvergießen und dem Massenmorden ein Ende setzen. Nur, damals im Kosovo gab es relativ klare Fronten. Es gab zwei klar unterscheidbare Parteien, deren Ziele definiert waren, und man konnte eine klare Entscheidung fällen, wenn sie auch innerlich sehr schwierig war. Heute sehen wir in Syrien, dass viele Gruppierungen gegeneinander kämpfen. Es ist für den Westen sehr schwer, die Gruppierungen überhaupt zu identifizieren, die er statt des jetzigen Regimes gerne an der Macht sehen würde. Unterstützung der Opposition kann auch heißen, dass sich hinterher nicht die Modernisierer und Demokraten durchsetzen…

Degenhardt: Sondern die Islamisten.

Volmer: …sondern die Islamisten, wie wir das in Ägypten zum Beispiel gesehen haben. Es ist also eine Dreierkonstellation, und die westliche Option, die Modernisierer sind immer in der Minderheit oder kommen höchstens im Bündnis mit einer anderen, fragwürdigen Kraft in die Mehrheit.
Ein weiterer Punkt darf nicht vergessen werden: Das sind geopolitische Umstände. Syrien ist wichtig für die Großmachtpolitik Russlands, und was sich da abspielt, das sind noch Relikte des Kalten Krieges.

Degenhardt: Heute Damaskus, damals Belgrad. Beide Verbündete von Russland, sie haben Russland gerade erwähnt. In Ihrem Buch wird deutlich, dass Moskau damals schon eine wichtige Rolle spielte und mit ins Boot geholt werden musste, um einen Konflikt zu lösen, der ansonsten möglicherweise weiter eskaliert wäre. Unterschätzt der Westen die Bedeutung und den Einfluss der einstigen Supermacht Russland?

„Deutschland sollte auf der Seite des Völkerrechts stehen“

Volmer: Der Westen unterschätzt nicht nur, sondern er hat zurzeit der Regierung von George W. Bush einen entscheidenden Fehler gemacht. Damals stand Amerika vor der Frage, ob das geschwächte Russland integrativ hineingeholt werden soll in Austauschprozesse oder ob man Russland jetzt endgültig fertigmacht. Bush hat sich für das Zweite entschieden und hat einen Raketenschirm dort stationieren wollen. Russland hat als Antwort darauf seinen Marinestützpunkt in Syrien ausgebaut. Von daher ist dies ein Großmachtspiel um Großmachtpositionen, und man kann den Syrien-Konflikt nicht lösen, ohne diese geopolitischen Einflüsse mit zu berücksichtigen.

Degenhardt: Also mehr Vertrauen zu Putin, der ja nun nicht gerade als lupenreiner Demokrat gilt?

Volmer: Nein. Putin hat sich auch von seinen ursprünglichen Modernisiererpositionen wegbewegt, möglicherweise aus eigenem Antrieb, aber nicht zuletzt auch provoziert durch einen Westen, der ihm anfangs die Hand reichen wollte, aber dann die Hand zurückgezogen hat. Also, der Westen ist an der Zuspitzung der Lage mindestens genauso schuld wie Moskau.

Degenhardt: Sollte es doch zu einem Militärschlag kommen gegen Damaskus – diese Option ist ja nicht vom Tisch -, wenn zum Beispiel Assad trickst, wenn die internationalen Auflagen zur Offenlegung und Vernichtung der Chemiewaffen nicht eingehalten werden, möchten Sie dann, Herr Volmer, dass Deutschland an der Seite der Amerikaner steht?

„Sie sehen das nationale Interesse im Vordergrund“

Volmer: Deutschland sollte auf der Seite des Völkerrechts stehen, und das heißt, der Einsatz von Massenvernichtungswaffen ist geächtet und jeder, der sie einsetzt, ist ein Verbrecher gegen die Menschlichkeit und muss zur Rechenschaft gezogen werden. Aber diese Zielsetzung bedeutet ja noch nicht, dass man realistischerweise auch die Kraft und die Macht hat, sie ohne Weiteres umzusetzen.
Ich glaube nicht, dass dies mit militärischen Mitteln möglich sein wird, wenn Russland dagegensteht. Man muss die internationale Diplomatie bemühen, und zwar mit der Zielsetzung, Assad, wenn er denn wirklich schuld sein sollte, vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Und gleichzeitig muss man mit Russland darüber verhandeln, wie die geopolitischen Implikationen des Problems gelöst werden können.

Degenhardt: Das kann natürlich dauern, währenddessen in Syrien weiter Menschen sterben und die Weltorganisation – die Vereinten Nationen zeigen sich doch in diesen Tagen auch als relativ schwach. Denn normalerweise müssten sie doch das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Aber in der Praxis, wir haben es gesehen in Genf, verhandeln die USA und Russland.

Volmer: Das Problem der Vereinten Nationen besteht seit geraumer Zeit darin, dass insbesondere die Vetomächte, die eigentlich im Sinne der globalen Verantwortung handeln sollten, in Wirklichkeit nur nach nationalen Interessen verhandeln. Sie sehen das nationale Interesse im Vordergrund und überlegen nicht so sehr, wie sie einen Beitrag leisten können zur Lösung der Weltprobleme. Die Schwäche der UNO ist also nur die Resultante dessen, dass die USA und Russland sich wieder ein Gefecht, ein politisches Gefecht von Großmächten liefern, das eigentlich historisch überholt sein müsste.