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(Kommentar für „Focus“, 26.05.2014)

Stagnation bei den Grünen? Generationenwechsel misslungen? Berauschend ist das Europawahlergebnis nicht, doch kein Anlass für Zerknirschung. Eher wirken die Grünen in der neuen Unübersichtlichkeit der Parteienlandschaft als stabiles Element. Vielleicht zu stabil. Etwas behäbig.

Die neue Führung sei zu blass, heißt es. Und die Leute – so Forsa – wollten die Alten wieder, solche wie Joschka Fischer und Jürgen Trittin. Was die Leute nicht wissen: sie haben die Alten. Nicht die Personen, aber die Spätfolgen ihrer Politik. Ja, Politik hat Spätfolgen. Wenn man Richtungsentscheidungen trifft, sollte man sie kalkulieren. Wenn diese dann eintreten, zehn, zwanzig Jahre später, aber heißt es, der Blick in die Vergangenheit sei weit hergeholt. Insbesondere bei den geschichtsvergessenen Grünen der Real-time-Generation.

Nach erbittertem Flügelstreit der Gründerjahre samt Absturz aus dem Bundestag, dem erfolgreichen Comeback mit inhaltlich und strategisch integrativer Politik prägte seit etwa der Millenniumswende das „System Fischer-Trittin“ die Partei. Die Alpha-Männchen polarisierten wieder, inszenierten sich als Leitfiguren der Flügel und teilten die Partei unter sich auf – Posten, Programme, Gefolgschaft.  Ein pragmatischer Deal. Ergebnis: die Partei funktionierte. Der Preis: inhaltliche Verflachung statt Ideenkonkurrenz. Praxelei erschlug Visionen. Politische Strömungen mutierten zu Karrierenetzwerken. Die überschießenden Emotionen früherer Jahre wichen nüchternem Kalkül. Cool oder abgefuckt?

Hinzu kam das Selbstbewusstsein einer erfolgreichen kommunalen Basis. Große Kreisverbände setzen ihre Lokalhelden auf den Bundeslisten durch; ob diese auch im komplexen Spannungsfeld von Programmatik, öffentlicher Kommunikation und institutionellen Zwängen der Bundespolitik eine kreative Rolle zu spielen vermochten, war gleichgültig. Es wimmelte fortan von guten braven Fachpolitikern, gesellschaftspolitische Generalisten und Strategen wurden abgedrängt. Politik aus der Froschperspektive.

Die technokratische Wende führte zur diskursiven Verengung, schöngeredet zur „intelligenten Opposition“. Man liebte es nun, der Linie der Kanzlerin zuzustimmen, selbst bei identitätsstiftenden Megathemen – Atomausstieg, Bankenrettung, Freiheit für Timoschenka. Nicht falsche Politik warf man Merkel vor, sondern mangelndes Temperament. Im Umkehrschluss: wenn sie CDU-Politik munterer machen würde, wäre alles okay. Opposition als Personal Coaching für die Kanzlerin. Bei eigenem Profilverlust.

Nicht zuletzt scheitern die realpolitischen Grünen an der Machtfrage, die sie selbst einst zum A und O stilisiert haben. Rot-Grün wird im Bund keine Mehrheit mehr haben. Nie mehr. Die Party der Toskana-Fraktion ist vorbei. Seit die platzende Dotcom-Blase Schröders Neue Mitte in den Abgrund riss, der Kosovokrieg und die Agenda 2010 Rigoristen zur Linkspartei trieb, ist das rot-grüne Reformprojekt erledigt. Nie hätten die Grünen eine Partei links von sich zulassen dürfen. Schon gar keine, in der ehemalige grüne und SPD-Fundis im Bunde mit Linksnationalisten Koalitionen sabotieren können. Grüne Ausflüge in den Neoliberalismus haben den Boden bereitet. Die Partei – ökoliberal statt sozialökologisch – fiel als Auffangbecken für den Sozialprotest aus. Die Existenz der „Links“-Partei – sie bedeutet die Garantie für Merkels ewige Kanzlerschaft.

Der neue grüne Menschenrechts-, Demokratie-, Multikulti-, Europaidealismus tat dem eitlen Selbstbild der Ökoliberalen wohl, verhinderte aber, dass Skeptiker bei ihnen andockten. Modernisierungskritische Modernisierer, EU-kritische Pro-Europäer, Westler, die Brücken nach Osten bauen, Ethiker, die Menschenrechte wichtig finden, Menschenleben aber wichtiger – das waren einst die Grünen. Avantgardisten eines ökologischen Humanismus. Heute gerieren sie sich gern als Propagandisten des westlichen Selbstmissverständnisses, die einzig gute aller Welten zu sein.

Ist es nun angesagt, weiter in die politische Mitte zu rücken? Weil dort mehr zu holen ist? Stimmen, Einfluss, Posten? Nicht zu holen ist dort jedenfalls eine strategische Reformmehrheit für einen ökologisch-sozialen Interessenausgleich. Politische Mitte, Mittelschicht, Mittelstand, Mittelmaß, Mittelmäßigkeit – wenn die Grünen den Mittelweg gehen, drohen sie im Mainstream abzusaufen.