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(erschienen in der Zeitschrift „Natur“, 1/1994, unter dem etwas verfälschenden Titel „Ökologische und soziale Marktwirtschaft“, verfasst 18. Oktober 1993; der Artikel basiert auf einer Reihe ähnlicher Policy-Paper für die Grünen und dürfte zu den ersten gehören, die den grünen New Deal fordern)

 

Zwei ge­samte Systeme, das Natursystem und das gesellschaftliche, müssen miteinan­der vereinbar gemacht werden, so dass Na­tur und Mensch langfristig existieren können. Da die Naturge­setze aber nicht zu ändern sind, muss sich einseitig das ge­sellschaftliche System anpassen, ohne das natürliche biologistisch zu ko­pieren. Ökologiepolitik ist deshalb immer mehr als Umweltschutz. Sie ist „ganzheitliche“ Gesellschafts­politik: Politi­sche Ökologie.

Dieser Ansatz ist in der gesellschaftlichen Diskussion mit der Zeit verflacht. Heute wird Umwelt-Politik gemacht. Schlimmer noch: Umwelt-Schutz-Po­litik, gar Nachsorgende-Umwelt-Technik-Politik. Binde­strich-Po­litik wie Wirtschafts-Politik, Verkehrs-Po­litik, Anti-Gülle-Politik, eine poli­tische Sparte, die von anderen Sparten deutlich ge­trennt ist, zwar indirekten, manchmal auch direkten Einfluss auf diese hat, aber eben keine ganzheitliche Politik mehr umschreibt.

Ge­sellschaftlich nichts Grundlegen­des ändern wollen, aber ein bi­sschen was für die Natur tun – das ist Um­weltschutzpolitik. Insofern ist sie das konservative Gegen­projekt zur politi­schen Ökologie. Sie gibt den technokratischen und konservativen Kräften eine billige, weil gesellschaftspolitisch weitge­hend neutrale, Möglichkeit zur „ökologischen“ Mimikry.

Stattdessen müsste Ökologie alle Bereiche der Politik quasi als Grundwert durchzie­hen. Statt Wirtschaftspolitik plus Umweltschutz brauchen wir eine ökologische Wirtschaftspolitik. Statt Marktwirtschaft vorauszusetzen und Umwelttechnik ein­zugliedern, brauchen wir eine ganzheitliche Konzeption, wie die stoffliche Reproduktion des Menschen in die Naturkreisläufe einzubetten ist. Ohne Markt kann eine Wirtschaft nicht funktionieren; es wäre aber schier verwun­derlich, wenn die problemorientierte Forschung nach möglichst na­turgerechten Re­produktionsweisen ergäbe, dass ausge­rechnet die real existie­rende Marktwirtschaft die beste ist.

Nicht nur der westliche, auch den Süden durchdringende Kapitalismus, sondern auch – und vielleicht noch schlimmer – die zentralstaatlichen Kommandowirtschaften des ehemaligen Ostblocks haben zu horrenden Umweltschäden geführt. Dass auch der sogenannte real existierende Sozialismus Schuld hat, befreit die westlichen Marktwirtschaften aber nicht von der ihren. Beide Systeme fußen auf einer gemeinsamen Grundlage: dem expansiven und aggressiven industriellen Wachstum. Im Westen gründet es sich auf Gewinnmaximierung und Konsumwahn, im Osten war die Tonnenideologie der Planungsbürokraten schuld.

Eine ökologische Wende im Wirtschaften muss in erster Linie den Wachstumswahn bekämpfen. Der Stoffwechsel der Gattung Mensch mit den anderen Bereichen der Natur muss verringert werden. Das kann der Markt allein nicht leisten. Und dieses Ziel steht im direkten Gegensatz zum Interesse der Industrie an Umsatzsteigerung. Die Verringerung von Ressourcenausbeutung und Energieverbrauch entzieht ihr den Stoff, aus dem Gewinne werden. Deshalb ist sie, aller scheinbaren umweltpolitischen Aufgeschlossenheit zum Trotz, letztlich Gegnerin einer strukturellen Ökologisierung.

Statt blinden Marktvertrauens brauchen wir deshalb eine gezielte ökologische und soziale Industriepolitik, basierend auf einer ökologisch-solidarischen Gesellschaft. Eine starke ökologisch ausgerichtete Bundesregierung muss, gestützt auf ein sich verstärkendes ökologisches Massenbewusstsein, auf kritische VerbraucherInnen und Umweltverbände, alle Register ziehen, von Anreizen und eigenen Initiativen zu einer ökologisch ausgerichteten Strukturpolitik über gezielte Ökosteuern bis zu Verboten und strafrechtlicher Verfolgung. Letztlich muss die Ökologisierung von Produktionsabläufen und Produkten im betrieblichen Direktionsrecht selbst, das die Verfügungsgewalt über das Eigentum regelt, verpflichtend verankert werden.

Über die Durchsetzungsmöglichkeiten kann spekuliert werden. Vor der Frage nach politischen Koalitionen steht die nach dem gesellschaftlichen Bündnis. Dazu eine kurze Skizze:

Ökologische Einstellungen haben sich in Teilen der Mittelschichten längst zu einer harten postmateriellen Interessenorientierung verdichtet. Das Bewusstsein, dass jede mehr verdiente Mark mit dem Verlust von Lebenswelt erkauft werden muss, macht materielle Wohlstandssteigerung immer fragwürdiger. Wachstum als wichtigste ökonomische Zielgröße gibt auf diesem Wertehintergrund keinen Sinn mehr.

Die ökologische Frage kann nicht ohne die soziale gelöst werden. Für ein Drittel – im Westen vielleicht weniger, im Osten deutlich mehr – steht diese im Vordergrund. Es gibt objektiven Nachholbedarf. Die Forderungen nach Verteilungsgerechtigkeit, nach Verbesserung der Lebenschancen, nach Abbau struktureller Armut, nach eigenständiger ökonomischer Existenzfähigkeit der Frauen stellen sich wieder dringlicher.

Hinzu kommt aus ökologischer Sicht eine gesellschaftsstrategische Überlegung: Zwar sind auch breite Teile der ärmeren Schichten sensibilisiert für ökologische Probleme. Solange sie aber den täglichen Kampf um Arbeit und Brot zu führen haben, fallen sie als Bündnispartnerinnen für eine Ökologisierung der Gesellschaft aus.

Wenn nun aber diese beiden sozialen Schichten – das untere Drittel und der ökologisch und sozial sensibilisierte Teil der Mittelschichten und in besonderer Weise die Frauen – das größte Interesse an grundlegenden Änderungen von Gesellschaftsstruktur und Lebensweise verspüren, dann muss ein solcher Interessenausgleich zwischen diesen Kräften organisiert werden, dass sie gemeinsam ein Bündnis für eine Strategie des ökologischen Umbaus zu bilden bereit sind.

Gefordert ist deshalb ein ökologischer New Deal: ein ökologisch-solidarisches Umverteilungsprojekt. Der Verzicht der Neuen Mittelschichten auf weiteren materiellen Zuwachs kann ökologische und soziale Umbauprozesse finanzieren, die gleichermaßen die soziale Lebenslage der armen Schichten verbessern und allen ein Mehr an ökologischer Lebensqualität bieten.

Alleiniges Ziel ist aber nicht die Umverteilung aus der Mitte nach unten, sondern ein deal als Klammer zur Bildung einer politischen Kraft, die dem oberen Drittel der Einkommens -und Vermögenspyramide durch die Abschöpfung überschüssigen Reichtums einen Solidarbeitrag abtrotzen könnte. Zirka 650 Mrd. DM nicht investierter liquider Mittel bei den Unternehmen und ein jährlicher Gewinn privater Haushalte von ca. 150 Mrd. nur aus Kapitalerträgen müssen für ökologische und soziale Zwecke recycelt werden. Notfalls über eine niedrigverzinsliche Zwangsanleihe.

Der nötige Interessenausgleich zwischen Nord und Süd, West und Ost ohne Verteilung von Wachstumsgewinnen verstärkt den Zwang zur Umverteilung des bestehenden Reichtums. Eine Anpassung aller Lebensverhältnisse an die Konsumstandards des kapitalistisch-industriellen Westens wird es nicht geben können. Deshalb müssen die Maßstäbe für Wohlstand neu definiert werden. Der Vorschlag des News deal beinhaltet dies. Lebensqualität kann oberhalb einer Grundsicherung nicht primär materiell bestimmt werden. Das gilt auch als Maßstab für die Herstellung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland.