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(Soweit ich sehe, ist dieser Text, den ich am 27. September 1993 in der taz platziert habe, der erste ausführlichere zum Thema Green New Deal. Er expliziert das Konzept, das ich in einem Bewerbungstext zum Parteivorsitzenden im April 1991 kurz angerissen hatte. Es basiert auf Vorarbeiten des „Linken Forums“ in den Grünen in den späten 1980er Jahren. Besonders beteiligt waren Peter Bartelheimer, Willi Brüggen, Klaus Dräger, LV, Frieder Otto Wolf, Harald Wolf. Statt „green“ nannten wir den Deal „sozial-ökologisch“. Den „Deal“ deutschten wir manchmal ein in „Gesellschaftsvertrag“. Die taz-Version ist hier leicht gekürzt wiedergegeben.)

Die Bundesregierung muss abgelöst werden. Der Wille ist stark, der Druck groß. Doch die Rahmenbedingungen sind schlecht wie nie zuvor. Der Rechtspopulismus scheint stärker zu sein als die linke Öffentlichkeit. Politikverdrossenheit ist noch nicht umgeschlagen in Veränderungswillen. Einer geldintensiven Reformpolitik sind durch die zerrütteten Staatsfinanzen enge Grenzen gesetzt. …Wer die ökologisch-solidarische Wende will, muss versuchen, die realen Kräfte zu identifizieren und zu bündeln, die dieses Feld offensiv tragen können. …Vor der Frage nach politischen Koalitionen steht deshalb die nach dem gesellschaftlichen Bündnis. Dazu eine kurze Skizze.

Ökologische Einstellungen haben sich in Teilen der Mittelschichten längst zu einer harten postmateriellen Interessenorientierung verdichtet. Ihnen genügt weitgehend der erreichte materielle Wohlstand. Sie wollen gar nicht unbedingt mehr: sondern weniger Stress, mehr Freizeit, weniger Konkurrenz, mehr Lebensgenuss. Wachstum als wichtigste ökonomische Zielgröße macht vor diesem Wertehintergrund keinen Sinn mehr. Das Bewusstsein, dass jede mehrverdiente Mark mit dem Verlust von Lebenswelt, mit der Zerstörung dessen, was mensch genießen möchte, erkauft werden muss, macht materielle Wohlstandsteigerung immer fragwürdiger.

Doch die alten Konfliktmuster sind deshalb nicht suspendiert. Für ein Drittel der Bevölkerung steht nach wie vor die soziale Frage im Vordergrund. Es gibt objektiven Nachholbedarf. Die Forderungen nach Verteilungsgerechtigkeit, nach Verbesserung der Lebenschancen, nach Abbau struktureller Armut, nach eigenständiger ökonomischer Existenzfähigkeit der Frauen stellen sich wieder dringlicher. Zum eigenständigen Stellenwert der sozialen Frage kommt noch eine gesellschaftsstrategische Überlegung: Zwar sind auch breite Teile der ärmeren Schichten sensibilisiert für ökologische Probleme. Solange sie aber den täglichen Kampf um Arbeit und Brot zu führen haben, fallen sie als BündnispartnerInnen für eine Ökologisierung der Gesellschaft aus.

Wenn diese beiden sozialen Schichten – das untere Drittel und die ökologisch und sozial sensibilisierten Mittelschichten – und in ihnen in besonderer Weise die Frauen das markanteste Interesse an grundlegenden Änderungen von Gesellschaftsstruktur und Lebensweise verspüren, dann muss es Aufgabe unserer Politik sein, einen solchen Interessenausgleich zu organisieren, damit sie gemeinsam ein Bündnis für eine Strategie der Transformation zu bilden bereit sind. Ins Parteipoltische übersetzt: Die grüne und sozialdemokratische Klientel müssen sich auf ein gemeinsames Projekt verständigen, das dem liberalkonservativen der Zweidrittelgesellschaft entgegengestellt werden kann.

Deshalb schlagen wir einen New Deal vor: ein ökologisches Umverteilungsprojekt. Der Verzicht der neuen Mittelschichten auf weiteren materiellen Zuwachs kann ökologische und soziale Umbauprozesse finanzieren, die gleichermaßen die soziale Lebenslage der armen Schichten verbessern und allen ein Mehr an ökologischer Lebensqualität bieten.

Alleiniges Ziel ist aber nicht die Umverteilung aus der Mitte nach unten, sondern ein Deal als Medium zur Bildung einer politischen Kraft, die dem oberen Drittel der Einkommens- und Vermögenspyramide durch die Abschöpfung überschüssigen Reichtums einen Solidarbeitrag abtrotzen könnte. … Die SPD könnte den nach rechts abwandernden Arbeitern vermitteln, dass die wohlhabenderen Schichten zur Umverteilung bereit sind, wenn sie selbst eine ökologische Wende mittrügen. Wir wiederum könnten den Mittelschichten deutlich machen, dass eine soziale Orientierung, das heißt die Solidarisierung nach unten statt nach oben, neue Verbündete bringt.

Dieser Gesellschaftsvertrag zwischen alten Unter- und neuen Mittelschichten gründet nicht mehr auf dem Postulat pauschalen Wachstums. Es ist ökologisch nicht wünschbar und ökonomisch vorläufig nicht zu erwarten. Wenn aber keine Wachstumsgewinne mehr zu verteilen sind, dann muss Umverteilung aus vorhandener Reichtumssubstanz stattfinden. Insofern stellt sich die klassische linke Frage nach Umverteilung erheblich radikaler als in traditionellen sozialdemokratischen oder linkssozialistischen Theorien, die allesamt wachstumsgebunden sind. … Mehr denn je gilt, dass „Ökologie“ verflochten werden muss mit wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Fragen. Ökologie ist mehr als „Umweltschutz“, sie ist politische Ökologie, gesellschaftsverändernde Politik.

Der nötige Interessenausgleich zwischen Nord und Süd, West und Ost im Rahmen einer ökologisch-solidarischen Weltwirtschaft verstärkt diesen Aspekt noch. Eine Anpassung aller Lebensverhältnisse an die Konsumstandards des kapitalistisch-industriellen Westens wird es nicht geben können. Deshalb müssen die Maßstäbe im Wohlstand neu definiert werden. Der Vorschlag des New Deal beinhaltet dies. Lebensqualität kann oberhalb einer Grundsicherung nicht primär materiell bestimmt werden. Das gilt auch als Maßstab für die Herstellung einer Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland.