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(Zum Ereignis der Fusion von Bündnis 90 und den Grünen am 14. bis 16. Mai 1993 in Leipzig waren die Zeitungen voll. Obwohl die Fusion fast 3 Jahre lang ein hartes Stück Arbeit war und das einzige Zusammengehen von ost- und westdeutschen Parteien auf der Basis gleichberechtigter Verhandlungen, meinten einige Presseorgane, sich lustig machen zu müssen. Vielleicht gönnten sie uns auch nicht dieses singuläre Stück deutsch-deutscher Vereinigung auf Augenhöhe. Mich motivierte die „Berichterstattung“ am 27. Mai 1993 zu einer kleinen internen Replik, bisher unveröffentlicht).

 

Recht hat sie, die Presse. Die Halle 7 (der Leipziger Messe) hatte den Charme eines Hangars, schuf Abstände, statt Nähe, Dröhnung statt Kommunikation. Echt cool. So die Sottisen. In der Tat: Reichlich viel Dreidimensionalität, in der die grüne und die Bündnis-Basis aneinander vorbeiblicken konnten. Aber Symbolik musste sein; es musste Ostdeutschland sein, am besten Leipzig, notfalls Weimar, vielleicht auch Erfurt, keinesfalls Berlin-O, erst recht nicht wieder Hohenschönhausen. Halle 7 war weit und breit die einzige, die zu haben war und zudem nur mit kaputten Lautsprechern. Es war teuer und nicht einmal ein Spaß. Mehr Behaglichkeit, mehr Kulisse hätte bedeutet, die Vereinskasse endgültig zu plündern. Dennoch, die Fusion fand statt, endlich, zum Glück. In den Gewölben der Moritzbastei für 4 Mark das große Bier. Wo gibt es das noch im Westen? Die Fete war riesig, und „zak“ veräppelte uns mit Beatles-Schnulzen. Wer karikiert wird, ist wer.

Wer sich nicht im Gründungsakt, in nuce, über die Barbareien in Bosnien streiten will, ist langweilig. Das hatte die „taz“ schon Tage zuvor befunden. Sie setzt nun einmal auf Unterhaltung, das muss man verstehen. Lieber dreimal ungerecht, als einmal langweilig. Und außerdem haben die Falschen die Fusion geschafft.

Auch den Ton hätten wir nicht getroffen. Was aber ist der Ton? Der Wessi-Ton ist laut, der Ossi-Ton leise. Jedenfalls im Durchschnitt. Die Wessis haben gelernt, der Markt gilt auch in der Politik, die konkurrierenden Angebote müssen sich lauthals, marktschreierisch Gehör verschaffen oder sie finden nicht statt. Die Ossis haben gelernt, wenn mensch nichts sagen darf, weil mensch nichts zu sagen hat, dann bringt der leiseste Ton die gesamte politische Statik ins Schwingen. Der Westdeutsche fragt sich, wo war denn bei der Ostdeutschen die Aussage, die hat ja Garnichts gesagt; diese wiederum hört nur amorphes Gedröhne und fragt sich, ob der Wessi eigentlich nicht artikuliert reden kann. Gibt es eine neue Sprache? Eine gemeinsame? Ganz schön gefährlich; denn andere Zeichensysteme begründen anderes Denken…Erst denken, bevor mensch redet, reicht nicht mehr als Nachweis für das Beherrschen des Großen Politischen Einmalseins. über das Reden selbst muss nachgedacht werden und manche blitzgescheite Stilkritik, die heute noch Beifall findet, wird plötzlich dumm dastehen.

Die Harmoniekrise werden wir schnell überwinden. Da haben wir schon andere abgewettert. Der Tag danach brachte schon die Inhalte, die für fehlend erklärt worden waren. Ein Fünf-Punkte-Programm für den Wahlkampf. Dann der Anti-Atom-Kongress, dann die Demos für den Erhalt des Artikel 16 GG. Aber Protestpartei dürfen wir nicht mehr sein, wurde befunden. Wer bestritte schon noch unsere Regierungsfähig-, -willig- und -notwendigkeit? Aber: Regierungsprogramme, umsetzbare inhaltliche Konzepte mittlerer Reichweite, die notwendige Ausstattung jeder handlungsfähigen Partei, woraus sollen sie sich speisen?  Wo ist die Quelle unseres Engagements, wenn nicht in „Emotion und Sentiment“ (Marcuse)? Wer wird in Zukunft zuständig sein für die Wut der Kids?

Nicht Protest pur muss es heißen, und so war es wohl auch gemeint. Dieser Diskurs ist nötig, denn wenn wir 1994 die Rolle erfüllen wollen, auf die alles hintreibt, dann ist die Überprüfung der je höchsteigenen Mentalität dringend angesagt. Ohne eingespielte „programmsichere“ (so der Politologe Joachim Raschke) starke Bundestagsfraktion in die Regierung zu sollen, das ist schon ein Abenteuer. Wildwasserslalom im Pappkarton. Könnte klappen, aber nur, wenn nicht jemand im Heck sitzt, der mit dem alten Fundi-Messer Löcher schlitzt, um die wilde Fahrt zu stoppen und sei es um den Preis des Absaufens.

Die Debatte über die Koalitionsaussage war schon etwas gespenstisch. Für jeden Fallkommadass heute schon die exakte Option festlegen zu wollen, suggeriert eine Souveränität, die wir faktisch nicht haben werden. Wenn die Zahlen stimmen, dann wird ein Sog und ein Schub entstehen, wie wir ihn noch nie erlebt haben, und wir werden froh sein müssen, wenn wir überhaupt noch ein Paddel in den Strom bekommen. Wo ist dann unser Steuerungszentrum? Es könnte eine Situation geben, da lautet die Frage nicht mehr ja oder nein, sondern nur, wie gut wir sind. Wenn gesteuert werden kann, dann heute. Harte Thesen in den Raum, und die Sozis sollen sich mal erklären.

Wir, die wir angeblich nun alle Realos geworden sind, erinnern uns heute der guten alten Fundi-Worte, dass eine Koalition die Welt nicht aus den Angeln hebt. Sie hatten recht mit der Analyse, nur die Konsequenz war falsch. Was zu holen ist, muss geholt werden, ohne Illusion über die Reichweite dieser Strategie. Interessant auch, dass die heftigsten Realos von gestern sich den größten Frust gefangen haben; sie hatten zu viel erwartet. Was also werden wir maximal mit den Sozis zusammen in dieser Gesellschaft durchsetzen können? Eine nüchterne Analyse könnte Enttäuschungen vermeiden helfen. Regierungsprogramme sind dann nur Teilmengen der Parteiprogramme. Politik findet nicht nur im Kabinett statt, sondern weiterhin auch auf der Straße…

Koalition heißt aber auch, mittragen zu müssen, was die anderen gegen uns durchgesetzt haben. Dies könnte zur politischen Standardsituation werden. Wie reagiert die grüne Seele? Wie unser extrapoliertes Gewissen in den Initiativen und Verbänden? Muss die Angst, den Verrat erläutern zu müssen, uns dazu treiben, lieber auf den Griff nach der Macht zu verzichten? Nie waren wir potenziell so stark wie heute. Der nächste Schritt kann nur heißen, Mut zur Teilhabe oder Rückzug auf der ganzen Linie. Oder Hoffen auf die Große Koalition? Was sagt der Kopf? Was sagt der Bauch?

So endet diese Ballade mit dem ingrimmigen Eingeständnis: Wer auszieht, um den anderen ein Stück Macht wegzunehmen, muss damit rechnen, dass es klappt.

 

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