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(interne Gesprächsnotiz des ersten offiziellen Kontakts von Bundesvorstand Die Grünen und Zentralrat der Juden in Deutschland. Auf Seiten des Zentralrates: Ignaz Bubis, Micha Guttmann; für die Grünen: Christine Weiske, Ludger Volmer, Bonn 17. Dezember 1992; bisher unveröffentlicht, hier leicht redigiert)

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat keine Vorbehalte gegen Grüne. Im Gegenteil, die Grünen werden als politische Kraft gesehen, die konsequent gegen Rassismus und Antisemitismus eintritt. „Wir haben keine Probleme miteinander“, war der wichtigste Satz, den Ignaz Bubis im Gespräch mit Christine Weiske und Ludger Volmer äußerte. Der Zentralrat der Juden in Deutschland sieht uns als wichtigen Bündnispartner im Kampf gegen den Rechtsextremismus.

Verstimmungen über unsere – intern umstrittene – Israelpolitik bis in die jüngste Zeit spielen überhaupt keine Rolle mehr. Das mag an der dramatisch veränderten innenpolitischen Lage bei uns liegen oder am Regierungswechsel in Israel. Befürchtungen uns gegenüber hatten die Juden in Deutschland insbesondere in der Gründungsphase, als zu viele rechtsökologische Kräfte mitmischten. Heute fällt ihnen an uns auf, dass wir „Auschwitz begriffen haben“. Dies ist für sie das wichtigste Kriterium zur Beurteilung einer Organisation. Umso wichtiger ist es nun, dass wir verhindern, dass die deutsche Rechte sich über pseudo-ökologische Argumente in die Öko-Bewegung hineinschleicht und Teile antisemitisch beeinflusst. Zudem sagten wir zu, angesichts des Generationenwechsels aktiv an einer Erinnerungskultur mitzuarbeiten.

In der Beurteilung des Rechtsextremismus waren wir uns einig. Insbesondere der – mittlerweile zurückgetretene – Generalsekretär des Zentralrates teilte unsere Auffassung, dass die CDU/CSU und die Bundesregierung den geistigen Nährboden mitgeschaffen haben. Auch in der Beurteilung der Asylrechtsänderung bestand Übereinstimmung.

Die Juden in Deutschland haben Angst. Mehr als Ignaz Bubis öffentlich durchscheinen lässt. Auch wenn die Selbstbewaffnungsforderung von Ralf Giordano nicht unterstützt wird – seine Analyse der gesellschaftlichen Situation wird geteilt.

Ignaz Bubis hätte unsere Einladung zu einem politischen Grußwort auf der Bundesversammlung in Hannover gern angenommen. Ihn hinderte aber ein Auslandstermin.

 

(Brief vom 19. März 1994 an den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland anlässlich eines Brandanschlags auf die Lübecker Synagoge)

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, lieber Herr Bubis,

im Namen des Bundesvorstandes von Bündnis 90/Die Grünen möchte ich Ihnen schreiben, wie sehr uns der Mordanschlag auf die Mitglieder der jüdischen Gemeinde und die Brandstiftung in der Synagoge von Lübeck empören und mit Abscheu erfüllen. Es ist schwierig, angesichts der unermesslichen Leidensgeschichte der Juden in Deutschland Worte für eine solche Tat zu finden. Wir versuchen nachzuvollziehen, welche Gefühle Menschen angesichts des neuerlichen Verbrechens haben müssen, deren Angehörige und Vorfahren ermordet und verbrannt worden sind.

Ich erinnere mich an unser erstes persönliches Gespräch. Es fand kurz nach den Morden von Mölln statt. Sie glaubten so wenig wie wir an verirrte Einzeltäter. Sehr exakt zeichneten Sie die Symbolreihe rechter Gewalttaten nach und interpretierten Sie die Signale, die die Nazis damit aussendeten. Sie haben darin immer die eskalierende Antwort der organisierten Rechten auf Haltungen der konservativen Politik gesehen, die mit Verharmlosungen und immer neuen Stichworten der rechten Unkultur Auftrieb gab. Mit großer Sicherheit prophezeiten Sie damals, dass demnächst eine jüdische Synagoge brennen würde. Ist es ein Zufall, dass der Anschlag wenige Tage nach dem skandalösen höchstrichterlichen Urteil zur die „Auschwitz-Lüge“ geschah?

Leider haben die meisten noch nicht begriffen, dass ein neuorganisiertes Nazitum versucht, mit der Doppelstrategie von Terror und scheinbar harmloser pseudowissenschaftlicher Diskussion die Gesellschaft zu durchdringen. Der Nährboden liegt in den Ressentiments der Normalgesellschaft. Hier müssen Einstellungen geändert werden. Wir wollen mithelfen, dass die Botschaft, die vom Film „Schindlers Liste“ ausgeht, stärker sein wird als die Versuche der Rechtsintellektuellen, über ihre Zeitung „Neue Freiheit“ oder Streifen wie „Beruf Neonazi“ den Ungeist des Neuen Nazitums in den allgemeinen Diskurs einzuspeisen.

Am Abend des Attentats auf die Lübecker Synagoge sah ich im Fernsehen einen schwedischen Film über die Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust. Er lief versteckt im Dritten Programm. Warum lief er nicht im Hauptprogramm von ARD oder ZDF?

Die liberale Öffentlichkeit nimmt ihre Verantwortung für die deutsche Geschichte immer noch nicht hinreichend wahr. Sie, Herr Bubis, erklärten uns bei unserem letzten Gespräch, dass Sie öffentlich mahnen und warnen wollten, dass Sie sich aber nicht zum guten Gewissen machen lassen könnten, an die eine ganze Nation ihre eigene Verantwortung delegiert.

Der Brand der Synagoge muss eine entschlossene Antwort der ganzen Gesellschaft finden. Mit den Nazis kann nicht therapeutisch-verharmlosend umgegangen werden. Die zivile Gesellschaft muss einsehen, dass sie Feinde hat, die wie Feinde behandelt werden wollen und müssen. Sie müssen geächtet und aus dem gesellschaftlichen Leben ausgestoßen werden. Und jeder, der mit ihnen sympathisiert, muss wissen, dass er riskiert, ebenfalls geächtet zu werden. Das Böse hat Namen und Adresse, hat Bert Brecht einmal gesagt. Sie müssen öffentlich bekannt gemacht werden.

Wir hoffen, dass unser eigener Beitrag nicht zu gering ausfällt,

mit dem Ausdruck tiefer Solidarität