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(In der Stuttgarter Zeitung erschien am 29. März 2008 anlässlich der Diskussionen um einen Boykott der olympischen Sommerspiele in China ein Interview mit mir zur China-Politik: „Der Grünen-Ex-Chef Ludger Volmer hat die rot-grüne Außenpolitik als Staatsminister im Auswärtigen Amt geprägt. Volmer spricht sich gegen einen Olympiaboykott aus. Mit ihm sprach Thomas Maron.“)

 

TM: Herr Volmer, war es richtig, dass sich die Bundesregierung und das Deutsche Olympische Komitee schon jetzt eindeutig gegen einen Boykott der Olympischen Spiele in Peking ausgesprochen haben?

LV: Das war richtig, denn wer ultimativen Druck aufbaut, muss den Willen haben, letztlich auch seine Konsequenzen zu ziehen. Das aber führt, wenn man es zu Ende denkt, in eine Sackgasse. Der Boykott der Spiele in Moskau wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan hat das eigentliche Problem nicht gelöst. Man muss andere Wege suchen, um die Lage in Tibet auf der Tagesordnung der internationalen Diskussionen zu halten.

TM: Was soll die Bundesregierung tun?

LV: Zumindest müsste die berechtigte Forderung nach Autonomie in den ethnischen Minderheitsgebieten Chinas in den recht erfolgreichen Rechtsstaatsdialog, den schon die rot-grüne Regierung mit der chinesischen Regierung begonnen hat, aufgenommen werden. Zudem sollte sie den gesamten Komplex der Sicherheits- und Entwicklungsprobleme Chinas zum Thema machen. Man wird dann darauf kommen, dass auf der einen Seite die Annexion Tibets völkerrechtswidrig war, auf der anderen Seite China aber auch berechtigte Ängste vor einem Staatszerfall hat. China befürchtet, dass eine Modernisierung ohne starke Steuerung wie in der Sowjetunion zum Zerbersten des Reiches führt und Pufferstaaten wie Tibet oder Sinkiang (Xinjiang) unter den Einfluss Indiens oder Russlands geraten. Autonomieforderungen, wie berechtigt auch immer, schüren Sezessionsängste. Der Westen sollte sich deshalb von der tibetischen Nationalbewegung nicht instrumentalisieren lassen. Es ist ja kein Zufall, dass die Unruhen im Vorfeld der Spiele auftreten. Wenn wir über unsere nationalen Interessen und über außenpolitischen Realismus reden, zum Beispiel die Ein-China-Politik, dann müssen wir eine solche Denkweise auch den Chinesen zubilligen. Dann gehen die Chinesen vielleicht auch bereitwilliger auf die Autonomieinteressen der Tibeter ein.

TM: Würden Wirtschaftssanktionen China treffen, oder würde da, angesichts der wirtschaftlichen Stärke Chinas, der Schwanz mit dem Hund wackeln wollen?

LV: Schon bei der Debatte über den Empfang des Dalai Lama im Kanzleramt fiel mir auf, dass in Deutschland von einem Kräfteverhältnis ausgegangen wird, das in zehn Jahren nicht mehr existiert. Wir begründen ja die Geltung unserer Werte und Normen unter anderem damit, dass wir das erfolgreichere Wirtschaftsmodell haben. In zehn Jahren aber wird China uns wirtschaftlich überholt haben. Und in diesem Moment wird China, wenn wir weiter so auftreten, behaupten, dass der Konfuzianismus unserem Wertemodell überlegen ist. Deshalb kommt es im Moment eher darauf an, eine tragfähige Dialogstruktur zu finden, die die nächsten Dekaden überdauert. Wenn wir uns auf Machtspiele mit China einlassen, werden wir auf Dauer den Kürzeren ziehen.

TM: Welche Auswirkungen hätte ein Wirtschaftsboykott auf die deutsche Wirtschaft?

LV: Sicherlich hätte er negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Aber wenn es helfen würde, dürfte das keine Rolle spielen. Ein Wirtschaftsboykott bringt jedoch in der Sache nicht weiter. China würde weiter verhärten. Man muss wissen, dass der Gesichtsverlust, den China international durch sein repressives Auftreten riskiert, für die Chinesen geringer wiegt als der interne Gesichtsverlust, wenn sie internationalem Druck nachgeben.

TM: Erkennen Sie in China die Bereitschaft zu mehr Transparenz, oder müssen wir uns damit abfinden, dass eine Weltmacht sich wenig um Menschenrechte schert?

LV: Die deutsche Industrialisierung lief auch über Despotien. Man sollte differenzieren. Die politischen Menschenrechte werden nach unseren Maßstäben nicht gewahrt, das ist wahr. Aber man sollte den Chinesen zugutehalten, dass sie bei den sozialen Menschenrechten besser gearbeitet haben als fast alle anderen Entwicklungsländer. Immerhin hat es China geschafft, fast einer Milliarde Menschen, einem Sechstel der Menschheit, die vorher vom Hunger bedroht waren, zumindest das Existenzminimum zu sichern. Wenn man auch die chinesischen Leistungen würdigen würde, wäre Peking sicher eher bereit, auch auf die zweifellos gravierenden Defizite einzugehen. Meine Erfahrung mit den Chinesen ist, dass man über vieles reden kann, wenn es im Dialog geschieht und wenn der Westen nicht den Zeigefinger erhebt.

TM: Geht die westliche Staatengemeinschaft zu arrogant mit China um?

LV: Eindeutig ja. Zudem können sich in der Tibet-Frage fanatische Konservative als Multikultis inszenieren. Allerdings gehen auf der anderen Seite die Chinesen hinter den Kulissen auch arrogant mit uns um. Neben den Weltmächten Vereinigte Staaten, China, Indien kommt Europa gar nicht mehr vor. Es gibt einen auf beiden Seiten hochnäsig geführten Diskurs darüber, ob denn nun die christlich-abendländische oder die konfuzianische Werteorientierung die bessere für die Menschheit sei. Eben deshalb brauchen wir einen Kulturdialog, der auf Dekaden angelegt ist und die Koexistenz und Ergänzung dieser Wertesysteme zum Ziel hat.

 

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