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(für die Festschrift zum 25. Jubiläum der Gründung, 15. Februar 2008. Auf dem Mannschaftsbild sind folgende MdBs der Tulpe zu identifizieren: obere Reihe von links: 1. Cem Özdemir, 3. Joschka Fischer, (rechts daneben 4. mein Mitarbeiter Jan Jans Müntinga) 5. Rainder Steenblock, 6. Keeper LV. Untere Reihe neben der Fahne: Matthias Berninger, Cheer Leader Angelika Beer; ganz rechts Seine Exzellenz der Botschafter von UK, Sir Lever))

Die „Grüne Tulpe“ war wohl das utopischste Projekt der Grünen. Sie wollte nachweisen, dass auch Müslis und Körnerfresser, die nicht beim Bund gedient, sondern sich bei Latschdemos die Füße platt getreten hatten, bereit und in der Lage waren, Gras zu fressen und durch Schlamm zu robben. Alle überkommenen Regeln, Strategien, Taktiken wurden radikal hinterfragt. Professioneller Kommerz, wie er in der Hochphase der zweiten Rekonstruktionsperiode des Spätkapitalismus im Fußball Einzug gehalten hatte, sollte der alternativen Selbstverwirklichung weichen. Die Mannschaft sollte nicht mehr als verschwitzter Männerbund auftreten, sondern als verschwitzter Männer- und Frauenbund, als geschlechtsunspezifischer Haufen, in dem jeder Bewegungsablauf/jede Bewegungsabläufin diskriminierungslos seinen/ihren selbstverständlichen Platz fand.

Wie viele grüne Utopien mussten auch diese Visionen im Laufe der Jahre den Beharrungskräften im soziokulturellen System Tribut zollen. Die Abseitsregel war anzuerkennen, auch wenn als Spätfolge grünen Ungehorsams das Passiv-Abseits eingeführt wurde. Umkleideräume für Männer und Frauen blieben getrennt, und keine/r durfte einfach heulend den Platz verlassen. Aber es kam noch schlimmer. Denn unsere Gegner, die sich aus Betriebsmannschaften der Autobahnmeisterei, des Sicherheitsdienstes des Bundestages, der Bundespressekonferenz und anderen fragwürdigen Milieus rekrutierten, dachten durchaus konventionell. Sie wollten nicht mit Mädchen spielen. Ihre Robustheit suchte einen gleichgewichtigen Widerpart. Das bedeutete das Ende der Mixt-Mannschaft im zeitgenössischen Fußball. Aber lag letztlich nicht auch hier ein historischer Fortschritt? War dies nicht der Ausgangspunkt dafür, dass sich reine Frauenmannschaften bildeten, ja, bilden mussten? War dies nicht der erste Schritt zum späteren Weltmeisterinnentitel? Wie so oft – die Grünen hatten die richtigen Fragen gestellt, den entscheidenden Anstoß gemacht; die Methode war fragwürdig, ein bisschen wie Rumpelfußball, doch die Idee brach sich Bahn in die Mitte der Gesellschaft.

Auch taktisch gehörte die Grüne Tulpe letztlich zu den Pionieren des modernen Fußballs. Als Welt- und Deutsche Meister noch mit Libero, Doppelstopper und Betonabwehr spielten, hatte die Grüne Tulpe längt die Dreierkette installiert. Wie so oft war auch diese Neuerung aus der Not geboren. Einmal zum Sturmlauf aufgerückt, wollte das grüne Mittelfeld den errungenen Raum nicht mehr preisgeben, und blieb nach eigenem Ballverlust entschlossen an der Mittellinie stehen. Der Gegenangriff rollte nun auf die drei verzweifelten Gestalten zu, die beim eigenen Angriff hintergehinkt waren und nun allein die eigene Hälfte zu decken hatten.

So kam es auch – und hier muss meine eigene Rolle ins rechte Licht gerückt werden – dass der Keeper der Grünen Tulpe zum Vorreiter des modernen offensiven Torwartspiels wurde. Lange vor Jens Lehmann war mein Ausgangspunkt nicht die Torlinie, sondern die des 16-Meterraums, von wo ich vorzustürmen hatte, wenn unsere drei Abwehrleute überspielt worden waren, um den Steilpass des angriffslustigen Gegners nach kurzem entschlossenen Sprint auf die Aschenbahn zu dreschen. Kurz: wir spielten mit einer weit aufgerückten Dreierkette und einem Torwart als Libero dahinter. Hätte Klinsi uns so gesehen, Fußballdeutschland wäre bereits 20 Jahre früher im Freudentaumel des Sommermärchens ertrunken.

Wir gewannen nicht mit diesem System, aber wir waren die Meister der Herzen.
Irgendwann kam der Durchbruch. Wir verstärkten die Abwehr mit dem schlagsicheren Drummer einer ehemaligen Rockband. Und wir suchten uns den Gegner besser aus. Schalke 04!! Mitten in meinem Wahlkreis gelegen. Nicht die Profis, die von ihren Pflichtspielen zu schlapp waren. Sondern die frische und hoch motivierte Auswahl der Faninitiativen, die den Fußball an langen Abenden bis ins Kleinste theoretisch durchdrungen hatten, jederzeit bereit, den Bundestrainer zu ersetzen – und bis in die blauweißen Stutzen gedopt mit Hopfen und Malz.

Es war dieser grüne Pioniergeist, der das Spiel in der Grünen Tulpe attraktiver machte als in der Abgeordneten-Mannschaft des Bundestages. Dort hatte man es mit legendären Gestalten zu tun. Wolfgang Overath war Trainer. Auf der Wiese hinter dem Langen Eugen, auf der später der Schürmannbau im Rheinwasser absoff, lernte man seine 40-Meter-Pässe im Direktspiel ins Tor zu befördern. Walter Eschweiler, er war unser Coach. Wer erinnert sich nicht noch an diesen berühmten deutschen Fifa-Schiri, der einer Antilope gleich über das Feld trabte, bis ihn ein Schuss an die Schläfe niederstreckte? Walter war nicht nur rheinische Frohnatur, sondern auch Beamter im Auswärtigen Amt. Aber all das internationale Flair, der bessere Sportplatz, die großen Namen halfen der Abgeordneten-Mannschaft nichts. Das eigentliche „Tor zur Welt“ (Theweleit) war und blieb die Grüne Tulpe. Hier wehte der Wind of Change noch lange nach der deutschen Einheit. Die politische Dimension der grünen Mannschaft blieb unerreicht.

Sie nahm es sogar mit dem KGB auf, den gestählten Exterminatoren der Sowjetunion. Sie verführte den Botschafter Albions, gewandet in Zylinder, Stiefel und Ascot-Tuch, dem Ball den ersten Kick zu versetzen. Hier wehte nicht nur das Trikot der Geschichte, hier kam der Weltgeist zu sich selbst, nachdem er gelernt hatte, neben der List der Vernunft auch Schienbeinschoner zu gebrauchen. Das außenpolitische Wirken der Grünen Tulpe fand folgerichtig Eingang in die politikwissenschaftliche Literatur:

„… Deshalb darf keinesfalls das außenpolitische Wirken der „Grünen Tulpe“ unterschlagen werden, der grünen Fraktionsfußballmannschaft, auf deren halbrechter Seite Joschka Fischer stürmte und wo Ludger Volmer als Torwart versuchte, das Schlimmste zu verhindern. Die wichtigsten Spiele fanden gegen die sowjetische Botschaft statt. Von hohem diplomatischen Stellenwert war stets die dritte Halbzeit im grünen Fraktionsraum. Während im Kreml Gorbatschow längst die Prohibition ausgerufen hatte, wurde hier mit reichlich Wodka auf den ‚Mineralsekretär’ angestoßen. Dem Ansatz blockübergreifender Deeskalation folgend, trat die Tulpenführung um Postmeister Willy Ruhl dem Plan näher, ein Dreierturnier zwischen den Fußballsupermächten der Sowjetunion, der USA und der „Grünen Tulpe“ zu organisieren. Ruhl mußte von dem Plan wieder Abstand nehmen, nachdem das grüne Team von den US-Boys, die Soccer mit Football verwechselt hatten, physisch stark dezimiert worden war. Die Gefahr schien zu groß, daß bei einem Aufeinandertreffen der beiden Nuklearmächte das Zeitalter der Entspannung zu Ende gegangen wäre. Nach dem Ausscheiden der GRÜNEN aus dem Bundestag ging auch die „Grüne Tulpe“ ein. Ein erstaunliches Revival erlebte sie nach dem Comeback 1994. Mit einem Spiel gegen die britische Botschaft wurde auch das Vereinigte Königreich in Europa willkommen geheißen…“
(Aus: Ludger Volmer, Die Grünen und die Außenpolitik – ein schwieriges Verhältnis. Münster 1998, S. 280ff.)

Doch wie wir Dialektiker wissen, liegt in der Größe bereits der Keim des Untergangs. Die Pioniergeneration altert dahin. Es plagt die Gicht, es zwickt das Zipperlein. Muskelriss linke Wade, Pause, Comeback, Muskelriss rechte Wade, Pause, Comeback. Als ich mit 50 mein letztes Spiel für die Grüne Tulpe machte, hatten die Sprunggelenke 20 Kilo mehr Startgewicht in die Höhe zu wuchten als früher beim Kreisklassenkeeper von DJK Adler Feldmark. Flanke von links – Flugeinlage gestreckt, hoch und weit – entsetzt kreischten die Patella-Sehnen auf. Die Parade (gehalten!) wurde im Bild verewigt, als einzige meiner Fußballerlaufbahn. Es war meine letzte überhaupt. Schluss, vorbei, das Spiel ist aus.

Und dann erwies es sich einmal mehr, dass die Tulpe im grünen Gesamtkonzern der einzige Ort ist, der über Kultur verfügt. Der Verein ernannte mich zum „Ehrentorwart auf Lebenszeit“. Ich konnte mich revanchieren, als ich die grünen Brocken final hinwarf. Es ist als Referenz an die zu verstehen, die gemeinsam mit mir die Knochen hingehalten haben, dass ich meinen Abschied von der grünen Politik mit Rückgriff auf den Fußballphilosophen Theweleit fußball-technisch begründet habe: „Rechtzeitig ausscheiden ist nicht immer das dümmste.“