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(Im Oktober 2024 schrieb ich eine Laudatio für einen alten politischen Freund, die auf gemeinsame Aktivitäten für globale Gerechtigkeit reflektierte: Zwischen Bomben und Nation building. Politische Ethik im Spannungsfeld globaler Konflikte. In: Die  Welt ist schlecht. Das Leben ist schön. Festschrift für Thomas Gebauer, Frankfurt/M.)

Thomas Gebauer lernte ich Mitte der 1980er Jahre kennen. Beide waren wir Leitfiguren einer fulminanten Kampagne gegen das ungerechte Weltfinanzsystem, die Schuldenkrise der „Dritten Welt“, wie damals der heutige „globale Süden“ hieß, die gesellschaftszerstörende Strukturanpassungspolitik des Internationalen Währungsfonds und die umweltzerstörerischen Megaprojekte der Weltbank. Thomas stand für die Nichtregierungsorganisationen, ich für die Grünen. Uns verband das ethische Politikverständnis und das Wissen, dass nur ein gerechter Interessenausgleich zwischen Nord und Süd und die Ökologisierung der Weltwirtschaft auch unsere Lebenswelt auf Dauer sichern wird. Was wir mitorganisierten, war nicht weniger als der Beginn einer radikalen Globalisierungskritik und der Warnungen vor einer heraufziehenden Klimakatastrophe.

Grüne Oppositionspolitik und der Kampf von NGOs gingen Hand in Hand. Wir waren natürliche Verbündete. Wir wollten nicht mehr deutsche Außenpolitik im nationalen Interesse machen, sondern globale Verantwortung übernehmen. Es kam darauf an, die Lebenschancen aller Völker unter Wahrung der ökologischen Belastbarkeit unseres Planeten auf möglichst hohem Niveau aneinander anzugleichen. Diesen qualitativen Entwicklungsbegriff setzten wir an Stelle des traditionellen quantitativen Wachstumsdenkens. Und wir waren gewiss, nur eine solche sozial-ökologische Strategie, die die sozialen Menschenrechte wie die politischen einforderte, würde den Weltfrieden sichern.

Dann kam die deutsche Einheit, die Bevölkerung hatte andere Hoffnungen und Sorgen, unsere Themen und Diskurse wurden überrollt. Das Einheitsglück der Deutschen verdrängte die Lösung der globalen Probleme auf die Warteliste. Eine ganze Dekade wurde vergeudet, bis die erste rot-grüne Regierung im Bund zaghafte Reformen begann. Danach wieder Reformstau und Roll-back. Erst Ende der 2010er Jahre hoben die Kids von Fridays for Future die Klimakrise wieder auf die Tagesordnung und belebten unsere alten Visionen aus der IWF-Weltbank-Kampagne in zeitgemäßer Form neu. Die verschleppten Probleme aber erschienen nun vielen Menschen überkomplex, sie flüchteten sich in kollektive Verdrängung; die Überbringer der schlechten Botschaft wurden zu Hassobjekten. Die vernunftgeleitete Bearbeitung der globalen Fragen wurde verdrängt durch das Erstarken nationalistischer, despotischer und menschenfeindlicher Strategien – ein Menetekel für den Beginn des globalen Kampfes aller gegen alle um die Sicherung knapper werdender Lebenschancen in einer überbevölkerten Welt.

Dabei hatte es mit dem Ende des Kalten Krieges so hoffungsvoll begonnen. Grüne, NGOs und alle, die für den Weltfrieden eingetreten waren, redeten nun von der Friedensdividende, die im Sinne eines globalen ökologischen Humanismus investiert werden könnte. Den ersten Bruch brachte 1999 der Kosovo-Krieg, ein Realitätsschock für alle Gutmeinenden. Während die Grünen, nun Regierungspartei, staatliche Sicherheits- und Bündnispolitik betreiben mussten, beurteilten NGOs wie Medico die Konflikte aus der Perspektive der einfachen Menschen, die unter den Umständen zu leiden hatten. Dann kamen die anderen „neuen Bedrohungen“. Die Terroranschläge von 9/11 vertieften die unterschiedlichen Sichtweisen. Für die rot-grüne Regierung war es unvermeidlich, den angegriffenen USA auch militärische Hilfe zu gewähren, obwohl auch bei ihr erhebliche Zweifel am Sinn der nun folgenden Operation Enduring Freedom in Afghanistan aufkamen. Die Hilfsorganisationen verzweifelten; die Bomben von oben machten ihr Nation-Building von unten zum gefährlichen Vabanquespiel. Viele NGOs forderten ein Ende des Kampfeinsatzes. Andere hingegen wollten mehr militärische Sicherheit – der Ausgangspunkt für die Stabilisierungsmission ISAF.

Thomas Gebauer und ich standen nun auf unterschiedlichen Positionen. Unsere Ethik war noch dieselbe, aber die Aufgaben führten zu einer divergierenden Sicht der Dinge. Während andere NGO-Vertreter die Bundesregierung massiv anfeindeten, blieb Thomas immer offen und ansprechbar. Auch weil er uns Grüne kannte, unterstellte er uns nicht Großmachtambitionen und imperialistische Gelüste. Er versuchte, die unterschiedlichen Dimensionen von staatlicher Außenpolitik und humanitärer Hilfe zu erfassen, Grenze und Reichweite beider Ansätze genauer zu bestimmen, ohne falsche Vorwürfe zu erheben.

Man kann militärische Interventionen nach drei Kriterien beurteilen: Legalität, Legitimität, Effizienz. Legal waren die von der UNO abgesicherten Einsätze OEF und ISAF anfänglich ohne Zweifel. Legitim auch, die UNO forderte von allen Staaten einen entschiedenen Betrag im Kampf gegen den Terror, „by any means“, also auch militärisch. Sie büßten Legalität und Legitimität ein, als die USA mit geächteten Clusterbomben und Guantanamo das Völkerrecht verletzten. Ob die Einsätze klug waren, ist eine andere Frage; die Bundesregierung hätte sich etwas anderes gewünscht. Die Bomben zerstörten die Trainingscamps von Al Quaida, insoweit waren sie effizient. Aber alles darüber hinaus geriet zum Desaster. Das war früh absehbar, und der richtige Gedanke wäre der einer schnellen Exit-Strategie gewesen.

Ob aber humanitäre Hilfswerke ohne den militärgestützten Versuch einer Staatenbildung von oben erfolgreicher gewesen wären, bleibt Spekulation. Vielleicht ist der westliche Anspruch, proaktiv alle Entwicklungs- und Menschenrechtsprobleme lösen zu können, im Guten wie im Bösen, vermessen. Die Hybris des Westens, als Achse des Guten das Böse in der Welt bekämpfen zu können, scheitert nicht zuletzt an seinen eigenen Widersprüchen und doppelten Standards. Und damit schließt sich der Kreis zu den 1980er Jahren. Was wir, Thomas, ich und viele andere damals anmahnten, ist immer noch entscheidend. Noch mehr Zeit zu vergeuden, macht die Aufgabe nicht einfacher.

PS: Thomas Gebauer war Geschäftsführer von medico international. Er beteiligte sich mit dieser NGO an der internationalen Kampagne gegen Landminen und nahm als deutscher Repräsentant 1997 den Friedensnobelpreis entgegen. Auch der Bundesvorstand der Grünen hatte unter meinem Vorsitz eine Beisitzerin, Angelika Beer, nur für dieses Thema abgestellt.