(Vorwort für eine Broschüre mit Beiträgen zum Thema Rechtsextremismus, anlässlich einer vom Bundesvorstand der Grünen organisierten Tagung, 8. Juli 1993)
Die Morde von Mölln waren einige Monate her und die von Solingen noch nicht geschehen, als auf Initiative des Bundesvorstandes das Hearing in Bonn stattfand, dessen wesentlichste Beiträge hier dokumentiert sind. Wir hatten die Veranstaltung mitten ins Regierungsviertel gelegt, um zu dokumentieren, dass Rechtsextremismus kein Außenseiterphänomen in dieser Gesellschaft ist, sondern seine Verankerung im Zentrum der offiziellen Politik findet. Wir wollten der These widersprechen, dass dem Rechtsextremismus dadurch zu begegnen sein, dass das Asylrecht abgeschafft und Ausländerinnen und Ausländer stigmatisiert werden. Nicht der Ruck der großen Volksparteien nach rechts ist unseres Erachtens die richtige Antwort auf den Rechtsextremismus, sondern das Überdenken von ideologischen Grundmustern selbst, die in den Volksparteien wirksam sind.
Wie die folgenden Beiträge nachweisen werden, war diese Überlegung nicht krampfhaft herbeikonstruiert. Extremismus von rechts ist ein Ausfluss des Extremismus der Mitte. Die meisten Ressentiments und verqueren Bilder, die der Rechtsextremismus in zugespitzter Form demonstriert, sind im Bewusstsein der bürgerlichen Mitte angelegt.
Von daher haben wir die Frage nach dem Kampf gegen den Rechtsextremismus anders gestellt, als dies die etablierten Parteien gemacht haben. Wir haben das Thema Ausländer und rechte Gewalt entkoppelt. Wir meinen, Rechtsextremismus muss als Phänomen für sich genommen werden, bei dem Ausländerfeindlichkeit ein markantes Merkmal unter vielen ist. Nicht die Existenz von Ausländern fördert den Rechtsextremismus. Sondern der genuine Rassismus, der den rechten Weltbildern innewohnt, sucht sich seine Opfer. Das mögen heute Ausländer sein, gestern waren es Juden, morgen können es andere Großgruppen werden.
Die Strategien im Kampf gegen den Rechtsextremismus dürfen – so eine wichtige Konsequenz – deshalb nicht darin bestehen, ihre Opfer weiter zu marginalisieren. Gegenstrategien müssen bei den Kernen des rechtsextremen Weltbildes ansetzen. Und diese finden sich in der Mitte der sogenannten Normalgesellschaft, werden an jedem Stammtisch weitertransportiert und äußern sich in den öffentlichen Diskursen angesehener Politikerinnen und Politiker.
Es dürfte nicht nur an dem Rücktritt von Björn Engholm einen Tag vor dem Hearing gelegen haben, dass die Aufmerksamkeit für unser Thema relativ gering war. Das offizielle Bonn muss unsere These als provokativ empfinden, und so ist sie ja auch gemeint.
Es gibt Situationen, da nichts schlimmer ist, als Recht zu behalten. Die Grundthesen des Hearings wurden in der Wirklichkeit auf grausame Art und Weise belegt. Die Behauptung konservativer, liberaler und sozialdemokratischer Politikerinnen und Politiker, dass die Abschaffung des Asylrechts den Rechtsextremisten den Boden entziehen könnte, wurde widerlegt. Einige Tage nach der Bundestagsdebatte geschahen die Morde von Solingen und weitere Anschläge.