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(Policy-Paper vom 05. Februar 1990 für das „Linke Forum“, eine grünen-interne Gruppierung;
erschienen in der Zeitschrift von „Robin Wood“, 06. September 1992)

Was betreibt die Umweltbewegung? Ökologie oder Umwelt­schutz?  Ich finde, dass das nicht dasselbe ist. Ökologiepoli­tik ist viel mehr, eine integrierte „ganzheitliche“ Politik. Zwei ge­samte Systeme, das Natursystem und das gesellschaftliche Sy­stem, müssen miteinan­der vereinbar gemacht werden, so dass Na­tur und Mensch langfristig existieren können. Da die Naturge­setze aber nicht zu ändern sind, muss sich einseitig das ge­sellschaftliche System anpassen, ohne das natürliche biologistisch zu ko­pieren. Ökologiepolitik ist deshalb immer Gesellschafts­politik: Politi­sche Ökologie.

Dieser Ansatz ist in der gesellschaftlichen Diskussion mit der Zeit verflacht. Heute wird Umwelt-Politik gemacht. Schlimmer noch: Umwelt-Schutz-Po­litik, gar Nachsorgende-Umwelt-Technik-Politik. Binde­strich-Po­litik wie Sozial-Politik, Rechts-Po­litik, Anti-Gülle-Politik, eine poli­tische Sparte, die von anderen Sparten deutlich ge­trennt ist, zwar indirekten, manchmal auch direkten Einfluss auf diese hat, aber eben keine ganzheitliche Politik mehr umschreibt. Diese Redu­zierung und Verflachung ist der Preis für die von starken Interessengruppen ge­wollte Auf­gabe der bewussten gesell­schaftspolitischen Dimension. Die Reduzierung wird weiter­getrieben, weil auch die letz­ten Reste von zwangsläufig kriti­scher Gesellschaftspolitik abge­schrammt werden sollen. Ge­nau diese Oberflächlichkeit – oberfläch­lich, weil er nur die ge­sellschaftliche Oberflächene­bene im Blick ha­ben will – macht den Umweltschutzbegriff belie­big ver- und ent­wendbar. Der Ökolo­giebegriff dagegen sitzt fe­ster, weil er ein fundamental ge­sellschaftskritischer ist. Ge­sellschaftlich nichts Grundlegen­des än­dern wollen, aber ein bisschen was für die Natur tun – das ist Um­weltpolitik. Insofern ist Umweltpoli­tik das Gegen­projekt zur ursprünglichen politi­schen Ökologie.

Mit dem Begriff der Umweltschutz-Politik ist den technokratischen und konservativen Kräften eine billige, weil gesellschaftspolitisch weitge­hend neutrale, Möglichkeit zur „ökologischen“ Mimikry ge­geben. Stattdessen – so meine ich – muss die „Ökologie“ erkennbar zur Grundkategorie der Politik werden, alle Bereiche quasi als Grundwert durchzie­hen (gleichberechtigt dazu: Demokratisierung, weil nur so ein Ab­rutschen in öko-diktatorische Vorstellungen zu verhin­dern ist). Statt Wirtschaftspolitik plus Umweltschutz brauchen wir eine ökologische Wirtschaftspolitik. Statt Kapitalis­mus vorauszusetzen und Umwelttechnik ein­zugliedern, brauchen wir eine ganzheitliche Konzeption, wie die stoffliche Reproduktion des Menschen in die Naturkreisläufe einzubetten ist. Das schließt eine marktgestützte Wirtschaft übrigens nicht aus; es wäre aber schier verwun­derlich, wenn die problemorientierte Forschung nach möglichst na­turgerechten Re­produktionsweisen ergäbe, dass ausge­rechnet die real existie­rende kapitalistische Marktwirtschaft die beste Option ist.

Eingebettet in eine politische Ökologie kann dann auch wieder von Umwelt­schutz gesprochen werden. Er bekommt dann aber eine genau be­schriebene Funktion als Repara­tur be­stehender Schäden und So­fortmaßnahme. Ohne die exakte Ein­ordnung in den übergreifenden Zusammenhang politischer Öko­logie würden Re­paratur und Sofort­maßnahme sofort wieder als das Ganze ge­sehen. Und die Öffentlichkeit könnte den Eindruck gewinnen, im Großen und Ganzen liefe die offizielle Politik in die richtige Richtung.

Der Ökologiebegriff richtet den Blick auf den gesamten Bereich der stofflichen und formellen Reproduktion der Men­schen. Formell heißt: der Art und Weise, wie eine Gesellschaft ihren stofflichen Austausch mit der Natur vornimmt, anders ausgedrückt: der Gesell­schaftsformation oder des politisch-wirt­schaftlichen Systems. Der Ökologiebegriff stellt also die Gat­tungsfrage, verknüpft sie aber gleichzeitig unmittelbar mit der des Wirtschaftssystems. Wer die Systemfrage, weil sie ihm zu „links“ ist, wegdefinieren will, muss deshalb den Ökologiebegriff zum Um­weltschutzbegriff aushöhlen (bekommt damit ironischerweise aber auch die Gattungsfrage, die er allein noch stellen will, gar nicht in den Blick). Wer von der Gat­tungsfrage spricht, ohne die Ökonomiefrage mitzustel­len, ist ein Scharlatan – umgekehrt übri­gens auch.

Nicht nur der westliche, auch den Süden durchdringende Kapitalismus, sondern auch – und vielleicht noch schlimmer – die zentralstaatlichen Kommandowirtschaften des ehemaligen Ostblocks haben zu horrenden Umweltschäden geführt. Dass auch der sogenannte real existierende Sozialismus Schuld hat, befreit die westlichen Marktwirtschaften aber nicht von der ihren. Beide Systeme fußen auf einer gemeinsamen Grundlage: dem expansiven und aggressiven industriellen Wachstum. Im Westen gründet es sich auf Profitmaximierung und Konsumwahn, im Osten war die Tonnenideologie der Planungsbürokraten schuld.

Eine ökologische Wende im Wirtschaften muss in erster Linie den Wachstumswahn bekämpfen. Der Stoffwechsel des Menschen mit der Natur muss verringert werden. Wir brauchen einen gründlichen ökologischen und sozialen Umbau der Industriegesellschaft. Die Verringerung von Ressourcenausbeutung und Energieverbrauch aber entzieht den Industriekonzernen den Stoff, aus dem Profite werden. Deshalb sind sie, aller neumodischen umweltpolitischen Aufgeschlossenheit zum Trotz, letztlich erbitterte Gegner jeder strukturellen Ökologisierung.

Dialoge mit der Industrie können sinnvoll sein; ihre Reichweite sollte aber nicht überschätzt werden. Die Macht von bewusst handelnden VerbraucherInnen ist groß, reicht aber nicht aus. Es sieht so aus, als müsse eine starke ökologisch ausgerichtete Bundesregierung, gestützt auf ein sich verstärkendes ökologisches Massenbewusstsein alle Register ziehen, die dem Staat zur Verfügung stehen, von Anreizen und eigenen Initiativen zu einer ökologisch ausgerichteten Strukturpolitik über drastische Ökosteuern bis zu Verboten und strafrechtlicher Verfolgung. Letztlich brauchen wir eine ökologische Industriepolitik, die auch im betrieblichen Direktionsrecht, also der Verfügungsgewalt über das Eigentum, verpflichtend festgeschrieben ist. Über die Durchsetzungsmöglichkeiten kann spekuliert werden. Sicher aber ist: die Menschheit hat nur diese eine Chance.