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(Petra Kelly war die wohl wichtigste Persönlichkeit im Gründungsprozess der Grünen, vielleicht sogar in der gesamten Parteigeschichte. In der Friedensbewegung freundete sie sich mit Gert Bastian, einem Panzergeneral, an, der ebenso wie sie eine Symbolfigur des Kampfes gegen die atomare Rüstung war. Am 19. Oktober 1992 wurden Petra Kelly und Gert Bastian in ihrer gemeinsamen Bonner Wohnung tot aufgefunden. Weil die Hintergründe noch unklar waren, gedachten die Grünen am 31. Oktober 1992 in Bonn beider Weggefährten. Später kamen Ermittlungsbehörden wie auch die politische Spitze der Partei zu der Überzeugung, dass Bastian Petra Kelly und sich getötet hatte. Unter diesem Gesichtspunkt stellte sich das gemeinsame Gedenken als fragwürdig dar. Als Parteivorsitzender hielt ich neben anderen eine Ansprache bei der Gedenkfeier, die nachgedruckt wurde in: Lukas Beckmann, Lew Kopelew (Hrsg.), Gedenken heißt erinnern – Petra Kelly und Gert Bastian, Göttingen 1993, und in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/1992)

Wir GRÜNEN haben mit Petra Kelly und Gert Bastian zwei Menschen verloren, deren Lebenswerk, deren bedingungsloser Einsatz für eine humanere Welt uns Vermächtnis und Auftrag ist.

Ohne Petra und Gert hätte es die GRÜNEN nicht gegeben. Sie haben von Beginn an mit ihrer gesamten Persönlichkeit die ökologischen und pazifistischen Ideale unserer Oppositionskultur verkörpert. Sie erreichten Menschen weit über den Horizont der Alternativbewegung hinaus und gaben Impulse für einen breiten gesellschaftlichen Bewusstseinswandel, hier und in anderen Ländern.

Petra und Gert wollten nicht weniger als die ganze Welt ändern und das sofort. Sie haben sich bedingungslos eingesetzt, oft über die Grenze ihrer physischen und psychischen Kraft hinaus. Wenn sie selbst ihr Wirken als unzureichend empfanden und immer wieder am Veränderungswillen von Menschen und Gesellschaft zweifelten, so spiegelt sich darin ihr hoher, manchmal zu hoher Anspruch an sich selbst. Sie haben gekämpft, sie demonstrierten einen beispielhaften Mut, gegen den Strom zu schwimmen. Sie bewiesen, dass wertkonservative Beweggründe, konsequent zu Ende gedacht, zu einer revolutionären Haltung führen müssen.

Sie haben sich gequält; sie haben es uns oft nicht leicht mit ihnen gemacht. Wir haben gestritten; wir haben manch falsches Wort der Kritik geübt; wir haben uns versöhnt. Isoliert wurden sie nicht. Aber einen stabilen Zustand zwischen Nähe und Distanz mit ihnen zu finden, war unmöglich. Sie haben immer autonom gehandelt, sich nicht einbinden lassen in zu eng empfundene Zusammenhänge.

Wir mussten erst klug aus Ihnen werden. Wir mussten erst lernen, dass zwei Menschen, die überragende Symbolfiguren einer Protestbewegung waren, die wie wenige andere individuell Betroffenheit und Empörung auszudrücken verstanden, in eine Krise gerieten, als die Rituale und Eitelkeiten, aber auch die Verbindlichkeiten und Verpflichtungen parlamentarischer Arbeit die spontane und emotionale Ära unserer Politik abzulösen begannen.

Petra hatte nicht resigniert. Ihre visionäre Kraft hatte sich in schonungslosen Realismus verwandelt. Sie wollte für das Europaparlament kandidieren. Dafür fand sie viel Unterstützung. Wir hatten gelernt, dass sie eine herausragende Position brauchte, die ihr Mittel und Freiraum gibt für ihre weltumspannende Politik. Eine bessere Botschafterin der grünen Sache in der Welt hätten wir nicht finden können.

Sie litten fast körperlich unter den Menschenrechtsverletzungen, die anderen zugefügt wurden. Auf welchem Kontinent auch immer – wo Menschen unterdrückt wurden, waren sie zugegen, hörten sie zu, machten sie Mut, versuchten sie, die lethargische internationale Öffentlichkeit aufzurütteln.

Auch das scheinbar Unpolitische, das scheinbar rein Humanitäre fand ihr Engagement. Krebskranke Kinder – furchtbar für die Betroffenen, gesellschaftlich ein Skandal.

Frieden schaffen ohne Waffen, Überwindung der Blocklogik, Auflösung der Militärpakte, Bruch mit der NATO – mit allen gewaltfreien Methoden – symbolisch und handfest – stritten sie für eine Welt ohne militärische Bedrohung. Wenn sie zwischen uns auf der Strasse saßen, Raketenstellungen blockierten, wuchs unser eigener Mut.

Sie verlangten die ökologische Revolution. Jenseits von Wachstums- und Konsumwahn, jenseits der Diktatur des Profits, sahen sie die ökologisch-solidarische Gesellschaft heraufziehen, ein Leben der Menschen im Einklang mit der Natur und mit sich selbst. Sie scheuten sich nicht, bei aller Dialogbereitschaft jeden notwendigen Konflikt zu suchen.

Sie waren in ihren Vorstellungen grenzenlos. Auch die deutsch-deutsche Grenze galt ihnen nichts. Ohne diplomatische Rücksicht stritten sie auch in der DDR. Sie suchten den Kontakt zu den Oppositionsgruppen, prangerten Menschenrechtsverletzungen an, die andere von uns noch nicht wahrgenommen hatten. Schwerter wollten sie zu Pflugscharen umschmieden. In West und Ost. Mit ihrem direkten Weg schufen sie das Vertrauen, das heute, wo die deutsche Geschichte ihren Lauf genommen hat, zum Zusammenwachsen der beiden deutschen Oppositionskulturen führen sollte. Und wer von denen, die damals, als der Ausgang der Geschichte noch nicht zu erahnen war, Kritik an ihrem Weg übte, freut sich heute nicht mit, dass so der Grundstein zur Zusammenarbeit gelegt worden ist.

Wichtiger als jede kleine Reform war ihnen die Verwirklichung dessen, was wir die Würde des Menschen nennen. Hier vermissen wir sie am meisten. Hier und heute – wo es um den Gehalt unserer Demokratie so schlecht bestellt ist, dass für die Menschenwürde sogar öffentlich demonstriert werden muss. Sie wussten, dass die Würde des Menschen kein Privileg der Deutschen sein darf, sondern genauso selbstverständlich für Menschen aller Herkünfte gilt. Es war auch ihre politische Mahnung, dass glaubwürdig nur diejenigen den Artikel 1 des Grundgesetzes verteidigen können, die auch den Artikel 16 bewahren helfen.

Gedenken wir heute auch einer anderen Persönlichkeit, die uns mitgeprägt hat – nicht so spektakulär, sondern durch scharfen analytischen Intellekt. Renate Damus, ehemalige Sprecherin im Bundesvorstand, starb kurz vor Petra und Gert nach langer, schwerer Krankheit.

Der Tod dieser lieben Menschen hat Lücken hinterlassen, die nicht zu schließen sind. Doch wenn Symbolfiguren gehen, bedeutet das nicht den Untergang dessen, wofür sie gestanden haben. Im Gegenteil. Es muss die wachrütteln, die noch zögerlich sind, kann die zurückbringen, die sich zwischenzeitlich abgewendet hatten. Der Tod hat auch gezeigt: einige wenige müssen sich zu viel zumuten, weil viele andere zu wenig tun. Wir alle haben die Verantwortung, Petra, Gert und Renate weiterleben zu lassen.