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(Das Museumsmagazin des Hauses der Geschichte Bonn machte am 22.01.2018 ein Interview zum Thema)

museums magazin: 1980 wurden die Grünen unter Ihrer Mitwirkung als eine Partei gegründet, die sich aus der Anti-Atomkraft-, Umwelt- und Friedensbewegung entwickelt hatte. Was unterschied die Grünen bezüglich ihrer friedenspolitischen Grundsätze von den anderen Parteien?

LV: Wir lehnten die atomare „Nach“-Rüstung der Nato ab, aber auch die sowjetischen Atomraketen. Der Atomkrieg war führbar geworden, es drohte der atomare Holocaust. Gegen das „Gleichgewicht des Schreckens“ stellten wir die Forderung nach Auflösung der Militärblöcke und einseitiger Abrüstung. Wir wollten internationale Zusammenarbeit zur Lösung globaler Probleme. Die Klima- und Flüchtlingskrise war schon absehbar.

mm: Nach der Bundestagswahl 1998 wurden Sie als Staatsminister im Auswärtigen Amt in die Bundesregierung berufen und befürworteten die deutsche Kriegsbeteiligung in Kosovo und Afghanistan im Rahmen des NATO-Militärbündnisses. Was war geschehen, dass Sie Ihre pazifistische Einstellung aufgaben?

LV: Irrtum. Ich habe den Kosovo-Krieg nie befürwortet, sondern bei der Bundestagsentscheidung die einzige Gegenrede gehalten und als Staatsminister die Friedenskonferenz von Rambouillet vorgeschlagen. Nach deren Scheitern führte ein Automatismus, den ich nicht beeinflussen konnte, zum Krieg. Für mich ging es sofort darum, einen Ausweg zu finden. So habe ich den Friedensplan mit initiiert, der zunächst „Fischer-Plan“ hieß, dann UNO-Friedensplan und letztlich erfolgreich war. In Afghanistan waren wir durch den Nato-Vertrag zum Beistand verpflichtet, haben aber den Militärbeitrag so gering wie möglich gehalten.

mm: Können Politiker nur in der Opposition Pazifisten sein, nicht aber in der Regierung?

LV: Mit einem abstrakten Gesinnungspazifismus kann man nicht regieren, wohl aber mit dem, was ich politischen Pazifismus nenne. Dieser versucht aktiv, zivile Konfliktlösungen zu finden und eine Krise unter der Gewaltschwelle zu halten. Leider gelingt es nicht immer, weil andere Akteure in der Welt stärker oder skrupellos sind. Gerade dann darf man nicht weglaufen. Ich habe während der Kriege das „Zentrum für internationale Friedenseinsätze“ gegründet. Es unterstützt die UNO mit ausgebildetem Personal bei der nicht-militärischen Konfliktbearbeitung und hilft erfolgreich, Kriege zu vermeiden. Es ist heute weltweit als Vorbild anerkannt.

mm: Der damalige Außenminister Joschka Fischer wurde auf dem Parteitag der Grünen in Bielefeld im Mai 1999 mit einem Farbbeutel beworfen, da die Grundsatzfrage von Krieg und Frieden die Partei tief spaltet. Woran erinnern Sie sich bezüglich der hitzigen Debatten? Welches Argument überzeugte schließlich selbst den linken Flügel der Grünen, sodass die Forderung nach einem bedingungslosen Ende der Bombardements im Kosovo nicht durchgesetzt werden konnten?

LV: Die Forderung „sofort aufhören“, war verständlich, aber dann hätte Milosevic seine völkermörderische Politik vollenden können. Nicht der Krieg wäre zu Ende gewesen, sondern die rot-grüne Koalition. Einzig realistisch war es deshalb, die Bundesregierung und unseren Friedensplan, den späteren UNO-Plan, zu unterstützen.

mm: Sie stärkten Außenminister Fischer in einer entscheidenden Phase den Rücken, obwohl Sie – Leitfigur des linken Flügels – zuvor selbst eher kritisch gegenüber Fischer – Leitfigur der gemäßigten Realo-Strömung – eingestellt waren. Was hatte zu dieser Wandlung geführt?

LV: Es gab keine Wandlung. Meine Loyalität galt nicht der Person Joschka Fischer, sondern dem rot-grünen Reformprojekt. Das hieß auch, den grünen Vizekanzler nicht zu beschädigen. Wir hätten sonst die Chance vermasselt, nach 16 Jahren konservativer Regierung endlich den aufgelaufenen Reformstau aufzulösen. Dafür waren wir schließlich gewählt worden. Und wir haben es geschafft, Deutschland aus dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak herauszuhalten.

mm: Hatten die Grünen ihre Prinzipien verraten?

LV: Wir Grünen haben in einer zugespitzten historischen Situation alles getan, um unsere Prinzipien praktisch zur Geltung zu bringen. Noch in der Opposition hatten wir verlangt, alle Nachfolgestaaten des zerfallenden Jugoslawiens perspektivisch in die EU einzuladen, um die Kriegsgefahr zu vermindern. Den Kosovo-Konflikt haben wir nicht gemacht, sondern in der Regierung geerbt. In der großen Mehrheit haben wir jederzeit nach deeskalierenden Lösungen gesucht. Nach meinem Abgang allerdings wurden die Grünen so „pragmatisch“, dass „Gewaltfreiheit“ als Grundwert stark verblasst ist.

mm: Wo stehen Sie heute? Sind Sie prinzipiell gegen jede Form von Kriegführung?

LV: Ich bin prinzipiell dagegen, wobei ich wie die UNO die Selbst-Verteidigung gegen Angriffe und UNO-Friedenseinsätze nicht als Kriegsführung bezeichne. An Universitäten lehre ich die Theorien ziviler Krisenprävention und kritisiere die eskalierende Politik an der Nato- und EU-Ostgrenze. Das Problem der Welt sind nicht zu viele, sondern zu wenige politische Pazifisten.