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(Nach dem Comeback im Bundestag 1994 bildete sich in der grünen Fraktion auf dem gemäßigten sogenannten „Realo“-Flügel eine starke Gruppierung, welche unter dem Beifall der Wirtschaftspresse die grüne Wirtschaftspolitik dem neo-liberalen Zeitgeist anpassen wollte. Ich kümmerte mich zu der Zeit neben der Außen- auch ein wenig um die Wirtschaftspolitik und hielt aus linker Sicht dagegen. Links nicht im orthodoxen Sinn, sondern in der grünen Tradition der sozial-ökologischen Umbauprogramme der Industriegesellschaft und einer ökologisch-solidarischen Weltwirtschaft. So konnte der neo-liberale Angriff auf den sozialen Grundwert der Partei weitgehend abgewehrt werden. Den bisher unveröffentlichten Text vom 06. Januar 1998 schrieb ich als eine Art Selbstvergewisserung des undogmatisch linken Flügels, dass bei den Grünen noch nicht alles verloren sei. Der Anführer der Neo-Liberalen lief nach seinem Scheitern zur CDU über, wo er auch nichts wurde.)

 

Im Sommer 1986 haben wir ein Thesenpapier zu Neuansätzen einer linksorientierten Wirtschaftspolitik in die Diskussion gebracht. Es wurde in zahlreichen Kreisen intensiv debattiert und hat seine Wirkung auch auf die Arbeit der Bundestagsfraktion nicht verfehlt. (Siehe: „Wege aus der Krise – gegen den grünen Neo-Liberalismus“)

Auch wenn die Parteilinke in der Fraktion deutlich unterrepräsentiert ist und selbst eine Mitte-Links-Konstellation dort nicht zur Mehrheit führt, waren die Interventionen in die wirtschafts- und finanzpolitische Debatte nicht erfolglos. In der ersten Phase der Wahlperiode setzte ein Teil des realpolitischen Flügels, mehrheitlich vom Fraktionsvorstand unterstützt, alles daran, die grüne Wirtschafts- und Finanzpolitik im neo-liberalen Sinne neu zu definieren. Symbolische Aktionen wie Einladungen an Spitzenvertreter der Wirtschaft oder die pure Forderung nach Senkung von Spitzensteuersätzen zeigten an, wohin die Reise gehen sollte. Fast der gesamte Arbeitskreis Wirtschaft der Fraktion strebte in die Richtung der Angebotsorientierung, verbunden mit dem Ehrgeiz, Waigels (CSU-Finanzminister) Sparpolitik an Effizienz noch übertreffen zu wollen. Legitimiert wurde dieser Kurs u.a. mit der Begründung, dass die Auswüchse des Keynesianismus, der in die Schuldenfalle geführt habe, abgebremst werden müssten. Da dem linken Flügel zudem fälschlich unterstellt wurde, er hinge bruchlos den Theorien von Keynes an, entwickelte sich aus der wirtschaftspolitischen Diskussion ein teilweise öffentlich ausgetragener Flügelstreit.

Heute können wir bilanzierend feststellen, dass die neo-liberale Offensive versandet ist. Ausschlaggebend dafür war nicht nur, dass wir von links aus dagegen gehalten haben; vielmehr war auch der sozial orientierte Teil des „Realo“-Flügels für eine forcierte neo-liberale Politik nicht zu haben. So kam es immer wieder zu ad-hoc-Bündnissen zwischen Linken und sozial orientierten Realos gegen wirtschaftsliberale Realpolitiker. Im Einzelnen lassen sich folgende Ergebnisse festhalten, die aus linker Sicht als Erfolg bewertet werden können.

  1. Die neo-liberale Tendenz setzte die „Globalisierung“ als unhinterfragbares Datum, an das eigene Strategien angepasst werden müssten. Ökologische Faktoren wurden so im Sinne der Standortpolitik nicht mehr als eigenes politisches Ziel an sich gesehen, sondern zum Wettbewerbsargument (grüner Standort D) degradiert. Die Funktionalisierung der Ökologie als Konkurrenzargument fand ihre Grenze dort, wo die Konkurrenzorientierung als Ganze am Gemeinwohlinteresse, einer der Grundsäule der Grünen, sich brach. Wer grüne Politik nur als Optimierungsstrategie ansah, um besser auf der Globalisierungswelle surfen zu können, musste bald einsehen, dass eine solche, von der Presse als scheinbar avantgardistisch beklatsche, Neuorientierung als grün aufgemotzte Kopie des FDP-Liberalismus dessen Schicksal erfuhr. Der Versuch, die FDP durch ihre Kopierung unter 5% zu drücken, scheiterte bei den Landtagswahlen, wo die Liberalen als das wirtschaftsliberale Original eine Wiederauferstehung feierten. Durchgesetzt hat sich in der Fraktion in der Folge die sozial-ökologische Grundlinie, auch wenn aus linker Sicht der soziale Aspekt ausgeprägter und der ökologische radikaler formuliert sein könnte.

 

  1. Der Ehrgeiz grüner Haushaltspolitiker, effektiver als Waigel sparen zu können, wurde bald gebremst, als von linker Seite aus geltend gemacht wurde, dass ein Einlassen auf Waigels monetäre Kategorien die Programmierung der eigenen politischen Niederlage bedeuten würde. Umgekehrt haben aber auch die Linken eingeräumt, dass die Konsolidierung der Haushalte angesichts der desaströsen Situation eine notwendige und deshalb auch von links mitgetragene politische Zielsetzung sei. Letztlich wurde eine Formel gefunden, die von allen Seiten akzeptiert werden kann: die durchschnittliche Haushaltssteigerung muss mittelfristig niedriger sein als der Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes. Diese Formel bedeutet, dass die Haushalte theoretisch aus den Defiziten herauswachsen können, ohne dass aber heute eine Sparpolitik so strikt angelegt werden muss, dass keine Spielräume mehr für soziale und ökologische Leistungen bestehen.

 

  1. Auch das in der Öffentlichkeit zu Recht gelobte Einkommenssteuerkonzept wäre ohne Intervention von linker Seite nicht mehrheitsfähig geworden und wahrscheinlich auf der BDK (Bundesdelegiertenkonferenz, Parteitag) von Suhl gescheitert. Unsere (realpolitischen) SteuerexpertInnen hatten ein Konzept vorgelegt, das von seiner Systematik her bestechend war, dessen gesellschaftspolitische Auswirkungen aber nicht kalkuliert waren. Wir standen vor der Frage, ob wir mit einer sozial akzentuierten Globalalternative aufwarten wollten, die uns aber zu einer intensiven finanztechnischen Arbeit gezwungen hätte, welche von den FraktionskollegInnen ja eigentlich schon geleistet war. Oder aber, ob wir deren Grundmodell aufgreifen und im linken Sinne optimieren sollten. Wir haben uns, auch um das Bild einer geschlossenen Partei zu präsentieren, für den zweiten Weg entschieden. Uns kam es darauf an, einige gesellschaftspolitische Eckwerte zu setzen, an denen die Steuersystematik sich neu zu orientieren habe. In intensiven Gesprächen mit den Realas wurde ein gemeinsamer Antrag für die BDK von Suhl entworfen, der mit nur geringfügigen Änderungen in breiter Mehrheit akzeptiert wurde. Um es noch einmal zu betonen: dies war keine Einkommenssteuerreform, die von den Realos gegen die Linken durchgesetzt wurde oder durchgesetzt werden musste, sondern es war ein Konzept, welches wir aktiv mitgetragen haben, weil es auf der Basis unserer gesellschaftspolitischen Axiome gerechnet war.

 

  1. Wenn das Thema Arbeitsmarktpolitik auf der Kasseler BDK eine entscheidende Rolle spielte, so auch deshalb, weil es von linker Seite aus seit einem Jahr gezielt hochgezogen worden war. Erstens gab es objektiv noch einen Arbeitsbedarf; zum anderen gingen wir davon aus, dass dieses Thema auf der realpolitischen Seite Entscheidungen erzwingen würde. Es war absehbar, dass sich an dieser Frage die sozialen und neo-liberalen Realos wieder aufspalten würden. Die Realos haben den internen Konflikt dadurch kaschiert, dass sie die realpolitische Arbeitsmarktpolitikerin teilweise gegen ihren eigenen Willen nötigten, sich von den linken Konzepten stärker abzusetzen. Der Hauptstreit ging dabei um das Konzept einer neudefinierten Form von Vollbeschäftigung. In Kassel hat sich die linke Linie mit großer Mehrheit durchgesetzt. Leider ging das Gefühl, hier eine wesentliche Richtungsentscheidung der Partei im linken Sinne erwirkt zu haben, wegen innerlinker Kontroversen und taktischer Ungeschicklichkeiten ein wenig verloren.

 

  1. Auch mit der Debatte um den EURO kann die Linke hochzufrieden sein. Sieht man einmal von der Kontroverse zwischen dem Bundesvorstand und anderen führenden Linken ab, so lässt sich festhalten: das JA zum EURO, das unabweisbar geworden war, war uns nicht von realpolitischer Seite aufgedrückt oder abgehandelt worden, sondern entsprach der eigenen Einschätzung. Der Bundesvorstand hatte diese Auffassung frühzeitig und prononciert vertreten, um die Pro-Euro-Position von vornherein von links her zu besetzten. Daneben, nicht dagegen entwickelte sich die Position, den einmal befürworteten EURO nun durch eine sozial und arbeitsmarktpolitisch akzentuierte flankierende Politik zu ergänzen. Dieser links orientierte Ansatz stand aus Gründen höherer Gewalt in der Abstimmung zwar gegen den Bundesvorstandsantrag und bekam eine knappe Mehrheit. Wichtiger aber scheint uns, dass beide zusammen eine bemerkenswert große Mehrheit gegenüber unkritischen EURO-Befürwortern erhielten, die die Einführung einer gemeinsamen Währung als Element einer neo-liberalen Gesamtstrategie sahen.

 

  1. Erfolg hatten wir auch bei der Forderung nach Einführung einer internationalen Kapitaltransfersteuer. Anfangs versuchten die Neoliberalen mit fadenscheinigen Argumenten die Aufnahme der sogenannten Tobin-Steuer in die grüne Programmatik zu verhindern. Denn unser Anspruch, die internationalen Kapitalmärkte zu re-regulieren, stand dem nach einer globalisierungsangepassten Standortpolitik entgegen. Zudem war klar, dass die Einführung der Tobin-Steuer eine langanhaltende und intensiv betriebene internationale Initiative erforderte und deshalb für das Postulat der Neo-Liberalen, im Rahmen der bestehenden Verhältnisse sofort Machbares in den Vordergrund grüner Politik zu stellen, nicht komfortabel war. Dennoch setzten wir uns an diesem Punkte durch, weil auch Teile der Realos der Auffassung waren, dass grüne Politik nicht zur Anpassungsübung an bestehende Rahmenbedingungen verkommen dürfe, sondern eine Exit-Option brauche, die die Kategorien der herrschenden Wirtschaftspolitik überwinden könnte.

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Auch wenn die Medien alles versucht haben, um linke Positionen zu karikieren, indem sie uns orthodoxe, traditionalistische, theoretisch überholte, unmoderne Auffassungen unterstellten und jede davon abweichende wirkliche Position als realpolitischen Kurswechsel darstellte, waren wir souverän genug, uns nicht in die Falle treiben zu lassen, entweder als linke Dogmatiker oder als angepasste Liberale zu erscheinen. Wir haben die notwendigen Weiterentwicklungen unserer Konzeptionen, die die veränderten Rahmenbedingungen reflektierten, in die Partei- und Fraktionsdiskussionen eingespeist und im Zuge der üblichen Kompromissbildungen Positionen miterarbeitet, mit denen die Parteilinke gut leben kann. Damit haben wir nicht nur den Versuch einer neo-liberalen Wende abgewehrt, sondern wir haben unter erschwerten Bedingungen das Profil der Grünen als sozial-ökologische Partei bewahren helfen. Nun kommt es darauf an, dieses Profil weiter zu fundieren.