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(Beitrag für die Festschrift zu Elmar Altvaters 60. Geburtstag: Michael Heinrich/Dirk Messner (Hg.), Globalisierung und Perspektiven linker Politik, Münster 1998)

Es gibt nicht viele politisch-wissenschaftliche Charaktere seines Typs in Deutschland. Er stand auf der undogmatischen Seite, als die Rezeption von Marx und Engels das Denken der kriti­schen Intellektuellen bestimmte. Heute, da es in der linken Schickeria Mode geworden ist, die blauen Bände mit Abscheu und Empörung und spitzen Fingern anzufassen, den verblichenen revolutionären Elan in schaurig-schönen Nostalgieveranstaltungen zu ironisieren und das revo­lutionäre Subjekt im aufgeklärten Unternehmertum zu finden, gehört er zu den weni­gen, die darauf beharren, dass das Verständnis der Mechanismen einer Wirtschafts­politik, für die den Begriff Kapitalismus zu benutzen gerade in linken Kreisen verpönt ist, unter Nutzung der Ka­tegorien von Marxens Analysen leichter fällt. Wie viele Wissenschaftler sitzen in ihren Studier­stuben und hoffen ebenso heimlich wie inständig, dass ihr Wirken Einfluss auf die Politik ge­wänne. Wie wenige aber mischen sich dort aktiv ein, stellen ihr Wissen in den Dienst politi­scher Konzept- und Strategiebildung. Für Elmar Altvater war es selbstverständ­lich, Ende der 70er Jahre die Alternative Liste Berlin mit zu gründen und nach ihrer Ver­schmelzung mit der Bundespartei Die GRÜNEN auch dort Mitglied zu werden. Ob die Partei immer weiß, wen sie in ihren Reihen hat, muss heute stärker bezweifelt werden denn je. Es ist auffällig, dass in ei­ner Zeit, wo Denker und Dilettanten über Globalisierung reflek­tieren oder schwadronieren, der Rekurs auf Altvaters Werke nicht völlig selbstverständlich im Zentrum des grünen Diskurses steht. Der Partei ist überhaupt nicht bewusst, welche bewährten Programmpositionen, die bis heute überdauert haben, von Altvater und seiner Denkschule stammen. (Leider trat Elmar Altvater einige Jahre später zur Linkspartei über, der er bis zu seinem Tod 2018 angehörte.)

Erinnern wir uns an die Kampagne gegen die Politik von IWF und Weltbank in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Sie nahm die Bewegungsimpulse der abflauenden Friedensbewegung auf, verband sie mit den Ansprüchen von Dritte Welt- und Ökologie-Bewegung und setzte politische Standards, die zur theo­retischen Grundausstattung der Grünen gehörten und weiter­hin gehören müssen, wenn die Partei nicht von den Geltungsansprüchen Abschied nehmen will, die sie haben entstehen und wachsen lassen: Kritik der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingun­gen statt Reduktion von Entwicklungspolitik auf die Qualitätsverbesserung von Projekten; der Zusammenhang der Klimakatastrophe, die auch die Industrieländer bedroht, mit der Zwangsin­tegration von Entwick­lungsländern in den Weltmarkt; Re-Regulierung der Märkte als Antwort auf die globalen Probleme statt weitere Deregulierung; Erlass von Auslandsschulden für die Dritte Welt und eine grundlegende Reform des internationalen Finanzsystems, um die Ent­kopp­lung der monetären von der realen Akkumulation zu verlangsamen oder gar zu stoppen; eine integrierte Sicht der Außen-, Friedens-, Außenwirtschafts-, Entwicklungs- und Ökologie­politik. [1]

Altvater gehörte zu den Wissenschaftlern, die 1984 drei Große Anfragen erarbeite­ten, mit de­nen die grüne Fraktion die Diskussion im Bundestag über die internationale Schul­denkrise und die Politik von IWF und Weltbank eröffnete. [2] Bemerkenswert war die Reaktion der Presse. Das Handelsblatt kommentierte am 5.10.1984 bissig:

„Eine gewisse Klasse unserer lebenslang beamteten, ideologisch aufgeladenen Professoren, de­nen das Herz für die internationale Währungs- und Finanzpolitik mit weltverbesserischem Linksdrall schlägt, haben endlich einen Weg gefunden, ihre Frustration mit der „reaktionären“ Bonner Währungs- und Entwicklungspolitik abzureagieren und sich in der Republik Gehör zu verschaffen. Sie arbeiten den Grünen im Bundestag zu und lachen sich ins Fäustchen, wie sie Minister und Ministerialbürokratie auf Trab bringen können. Bei etwas näherem Hinsehen wird jedoch klar, dass nicht mangelnde Fachkenntnis, sondern ideologische Verbohrtheit und eiskalte politische Agitation, aber auch eine souveräne Beherrschung der parlamentarischen Klaviatur, der gemeinsame Nenner der grünen Frageaktion in Sachen Währungs- und Entwick­lungspolitik sind.“

Die FR vom 20.9.1984 dagegen war des Lobes voll:

„Es bedurfte der Grünen, um wenige Tage vor der Weltverschuldungskonferenz in Washington dieses für das Überleben der Dritten Welt, aber auch der reichen Industrienationen dringliche Thema wenigstens in einer „aktuellen Stunde“ im Parlament und damit für die Öffentlichkeit zu behandeln. Da braut sich seit langem am Horizont der Weltwirtschaft das Gewitter der Zah­lungsunfähigkeit total verschuldeter Schwellenländer der Dritten Welt zusammen, wobei das Wetterleuchten von Hungeraufständen als Folge des vom IWF auferlegten Sanierungskurses von Brasilien bis Ägypten wie „fern in der Türkei“ zur Kenntnis genommen wird – und hierzu­lande ist die öffentliche Debatte auf den Streit der Währungsexperten um Sonderziehungsrech­te und „erweiterten Zugang“ beschränkt. Finanzminister Stoltenberg sollte den Grünen nicht gram, sondern dankbar sein.“

Der große und international stark beachtete Gegenkongress zur Jahrestagung von IWF und Weltbank im September 1988 in Berlin [3] suchte ebenso Altvaters Beratung wie das Internatio­na­le Tribunal der Völker der Lelio Basso Stiftung, deren negatives Urteil über die Politik die­ser Finanzinsti­tutionen sich auch auf seine gutachterliche Stellungnahme stützte. [4] Dass er die Stiftungsarbeit in den folgenden Jahren koordinierte und zu einem wichtigen Ansprechpartner für zahlreiche internationale Nichtregierungsorganisationen wurde, sei nur am Rande bemerkt. Hilfreich war dabei, dass er neben seinen für Laien oft schwer verständlichen Abhandlungen immer wieder didaktisch aufbereitete Handbücher anbot. [5] Geradezu als politischer Erfolg wurde es in der damaligen grünen Bundestagsfraktion gefeiert, als es gelang, ihn als Sachver­ständi­gen bei offiziellen Anhörungen des Deutschen Bundestages über die internationale Schuldenkrise durchzusetzen. Zum ersten Mal sah sich das offizielle Bonn mit Theorien und Erklärungsansätzen konfrontiert, die den Konsens von Christ- und Sozialdemokraten über­schritten. Wenn die Grünen in den 80er Jahren die Meinungsführerschaft im Bereich von Ent­wicklungs- und Weltwirtschaftspolitik errangen, so kommt daran Altvaters wissenschaftlich-politischem Engagement ein bedeutender Anteil zu.

Auch bei der Diskussion um den sozial-ökologischen Umbau der Industriegesellschaft [6] und ei­nen ökologischen New Deal war und ist Altvater einer der wichtigsten Mentoren. Als die mei­sten Grünen dem Wachstums- und Machbar­keitswahn der Schmidt-Ära das antithetische Be­kenntnis zum Nullwachstum entgegensetzten, plädierte er für die Formel vom selektiven Wachsen und Schrumpfen, die sich gegen einen sozial indifferenten Ökofundamentalismus ebenso abgrenzte wie gegen die sozialdemokratische Position eines qualitativen Wachstums. Sie wurde zum Standard aller grünen Programme. Grüne Politik, Wissenschaftler wie Altvater und Künstler, die mehr als ihre Gage im Kopf hatten, bildeten in den 80er Jahren ein an­spruchsvolles Gegenprojekt zu Kohls geistig-moralischer Wende und der konser­vativ-liberalen Strategie der Durchsetzung der Zweidrittel-Gesellschaft.

Warum hat sich dieses Bild in den 90er Jahren so dramatisch verändert? Gewiss, jeder lernt da­zu, und insbesondere eine Partei, die 1990 aus dem Bun­destag kata­pultiert wurde, wies einen enormen Nachholbedarf an realitätstüchtiger Strate­giebildung auf. Wo aber verläuft die Gren­ze zwischen notwendigen Lernschritten zur Opti­mierung eigener Politik und der opportunisti­schen Anpassung an übermächtig erscheinende Trends? Wo mündet die Überwindung eines festgefressenen Dogmatismus in diffundierende Beliebigkeit? Wo eröffnen „Tabubrüche“, wie sie in ‚realpolitischen‘ grünen Kreisen Mode wurden, neue Räume für avantgardistisches Den­ken und wo bilden sie nur die großmäulige Chiffre für die Utopie nach rückwärts, die Rück­kehr in den Schoß der Gesellschaft, von deren Deformationen man sich einst emanzipieren wollte? Diese Frage ist umso schwerer zu beurtei­len, als zu Beginn des Jahrzehntes das Ende des „real existierenden Sozialismus“ nicht nur die Welt grundlegend veränderte, sondern auch die Parameter für das Denken in Alternativen ver­schob. In der Konkurrenz der Systeme hatte der Westen gewonnen. Für undogmatische Linke war dies kein Grund zum Zweifel am eigenen kritischen Denkansatz. Denn das östliche System galt ihr nie als die große Alternative – oft so­gar als die schlechtere Variante desselben produk­tivistischen Wachstumswahns. Dass die kon­servativen Kräfte sein Ende zum Ende aller Alter­nativen erklärten, war zwar ein Ärgernis, doch bot sich nun auch die Chance, unbelastet durch den Verdacht, fünfte Kolonne Moskaus zu sein, Transformationsstrategien für die westliche Gesellschaft zu entwerfen.

Diese Chance wurde von den Grünen nur halbherzig genutzt. Genauer gesagt, so mancher selbster­nann­te und mediengestützte grüne Vordenker, der mit seinen Positionen in den 80er Jahren in der Minderheit geblieben war, nahm nun den konservativen Schmäh vom Ende der Geschichte auf, um seine nur in Maßen alternativen Perspektiven mit dem pathetischen Ver­weis auf die ‚Zeitenwende‘ als neue Konstante grüner Politik durchzusetzen. Was nicht mit dem eigenen öko­liberalen Zeitgeist harmonierte, wurde als ‚linkskonservativ‘ denunziert, subtil in eins gesetzt mit dem untergegangenen System-Ost. Die Denunziation war eine doppelte: zum einen hatte die un­dogmatische Linke die westlichen Werte, die Errungenschaften der Französi­schen Revolu­tion, nicht in Frage gestellt, hatte sie eher radikalisiert, denn negiert. Zum anderen bildete das von Langeweile, Bürokratie, Tonnenideologie und Zynismus strotzende Regime der Gerontokraten in Moskau und Pankow nicht im mindesten den gedanklichen Fluchtpunkt der nach umfassender Emanzipation suchenden Linksalternativen. Als Sozialismus galt das ‚reale‘ Gebil­de den undogmatischen Linken schon gar nicht, weder auf der Ebene ökonomischer Mo­delle noch auf der Ebene von Menschenbildern, Rechtsverständnis und Alltagskultur. Es wurde eher als historischer Verrat an den humanistischen Idealen der sozialistischen Ideenwelt verur­teilt. Doch manches modernistische Gerede von einer postsozialistischen Linken suggerierte nun, auch die grüne Linke habe das Sowjetimperium als Sozia­lismus begriffen – ein nachträgli­ches Kronzeugnis für die konservative Propaganda der 80er Jahre.

So gab die Gunst der historischen Stunde denen bei den Grünen Auftrieb, die – angefeuert vom konservativen Spektrum – sich eher als ideelle Gesamtbürger inszenieren wollten, als gegen den anschwellenden ideologischen Strom des sich historisch bestätigt fühlenden Neoliberalis­mus anzukämpfen. Manch einer proklamierte das Ende der linken Politik überhaupt, da mit dem Verschwinden der ‚realen‘ Alternative auch das politische Kraftfeld, das ost-westliche Span­nungsverhältnis, kollabiert sei, in dem allein die Entwicklung links-alternativer Politik ha­be ge­deihen können. Zumindest aber ermöglichte der Topos vom Postsozialismus, jede gängi­ge Kapitalismuskritik unter die gescheiterte real-sozialistische Welt zu subsumieren. Ein grü­ner Positivismus – zuvörderst ausgerechnet vorgetragen von Epigonen der Frankfurter Schule – setzte den Kapitalismus nun als selbstidentische Alternative und erklärte das Bekenntnis zu sei­ner ‚rheinischen‘ Form als ‚links‘. Füglich wurden mehr und mehr Ideologeme der westlichen Sieger der Systemkonkurrenz schlicht für ‚grün‘ erklärt. So wurde nicht nur ein schleichender Profil­wandel der Grünen eingeleitet, sondern die Selbstimmunisierung des Systems-West gegen grundlegende Kritik gestützt, was eine radika­lere Variante grüner Politik wiederum überflüssig erscheinen ließ.

Bereits in den 80er Jahren hatten Strömungen bei den Grünen versucht, die für die Partei konstitutive Grund­säule des ‚Sozialen‘, die in antikapitalistische programmatische Forderungen gegossen war, ebenso abzuschleifen wie die Interpretation der Grundsäule ‚Gewaltfreiheit‘ als eine die Außenpolitik prägende pazifistische Kategorie. Übrigbleiben sollten die Säulen ‚Ökologie‘ und ‚Demokratie‘, auf denen sich die Partei als ‚ökologische Bürgerrechtspartei‘ neu konstituieren sollte. Dass dieses Etikett nur eine rhetorische Verklärung der eigentlich banalen Perspek­tive des Ökoliberalismus beinhaltete, war damals vor dem Hintergrund der intensiven theoretisch-konzeptionellen Debatten einer sich globalisierenden Weltgesell­schaft in der Partei schnell begriffen und deshalb nie mehrheitsfähig geworden.

Anfang der 90er Jahre jedoch änderte sich das Bild. Der ökoliberale Ansatz bekam Unterstüt­zung durch drei Prozesse. Zum einen wurde im Zuge der Fusion mit Bündnis 90 der bürger­rechtliche Aspekt betont. Dies hatte eine gewisse Berechtigung, weil er die Identität der be­kennenden DDR-Opposition umschrieb. Zum zweiten verstärkte die grüne Kampagne zur Verteidigung des Asylrechts und zur Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus das bürgerrechtliche Profil. Auch wenn dieses Engagement absolut notwendig war und die Partei darauf stolz sein darf, so kann nicht übersehen werden, dass es – wie die Fusion – von grünen Akteuren im Zusammenspiel mit Medien genutzt wurde, um den bürgerrechtlichen Aspekt grüner Politik gegenüber dem sozialen derart in den Vordergrund zu rücken, dass das soziale Profil völlig überstrahlt wurde und für die Öffentlichkeit kaum mehr wahrnehmbar war. Der dritte Prozess war die nach dem Ende des Ost­blocks ungehinderte Globalisierung der Märkte, beschleunigt durch die technologische Revo­lution im Bereich der Mikroelektronik und Kommunikationssysteme.

Der Ökoliberalismus, der seine positivistische Haltung zur Globalisierung nun als Ausdruck ei­nes postsozialistischen ‚Realismus‘, eines ‚gereiften‘ Verständnisses und angeblicher Entideolo­gisierung grüner Politik kultivierte, forderte von den im grünen Programm für eine ‚ökologisch-solidarische Weltwirtschaft‘ formulierten Konzepten internationaler Solidarität und globaler Regulierung zugunsten eines spezifischen grünen Beitrags zur deutschen Standortpolitik Ab­stand zu nehmen. Auch wenn dies sich programmatisch im erfolgreichen Bundestagswahl­kampf 1994 noch nicht durchsetzte, so ließ doch die neue Bundestags­fraktion in den ersten Jahren ihrer Arbeit keinen Zweifel daran, dass sie sich in den Kernfragen nationaler und inter­nationaler Ökonomie dem Zeitgeist nicht verweigern wollte. In der Grundsatzfrage, ob die Globalisierung primär als Aufforderung zur Wiedergewinnung politi­scher Steuerungsfähigkeit über entfesselte Märkte oder zur Stärkung der eigenen Wettbewerbspositionen zu verstehen sei, entschied sich die Mehrheit für den grünen Standort Deutschland – nicht ohne der Minder­heit eine traditionalistische Verhaftung in den Denkmustern der 80er Jahre vorzuwerfen. Man assimilierte sich nun an die Hegemonie von Neoliberalismus und Angebotsorientierung, die durch die Deregulierungspostulate einer sog. staatlichen Wirtschaftspolitik ebenso unterstützt wurde wie durch ihre Dominanz in der Wirtschaftswissenschaft. Die einst kleine radikale Op­positionspartei schickte sich an, zur Geschäftsführerin der bürgerlichen Gesellschaft zu werden.

Zweifellos war es auch aus linker Sicht erforderlich, die Konsolidierung der selbst nach keyne­sianischen Kriterien über allen Maßen verschuldeten Haushalte zur politischen Aufgabe zu erklä­ren. Doch so mancher grüne Finanzexperte gefiel sich nun – belobigt durch die konservative Wirtschaftspresse – darin, mit Waigel und Tietmeyer um die effek­tiveren Sparkonzepte zu wetteifern. Gefragt wurde nicht, wie bei geschrumpften finanzpolitischen Spielräumen Reform­politik umzusetzen sei, sondern wie man eine rigorose Sparpolitik als Reform verkaufen könne. Es wurden brillante steuerpolitische Konzepte entwickelt, trans­parent, aufkommensneutral und bis auf die Mark durchgerechnet, aber zunächst völlig indifferent gegenüber ihren gesell­schaftspolitischen und sozialen Auswirkungen. Die Ertragslage der Unternehmen wurde zum Axiom von Arbeitsmarktpolitik, gesellschaftlicher Modernisierung und der Gestaltung des So­zialstaats erhoben. So mancher Stratege plädierte dafür, Wählerzuspruch weniger bei den 15 % zu suchen, die von den Grünen grundsätzliche Alternativen erwarteten, sondern Sympathien bei den anderen 85 % zu erheischen. Übersteigert wurde dieser Ansatz durch die politische Strategie, mit der F.D.P. nicht nur durch die Aneignung des Bürgerrechtsliberalismus zu kon­kurrieren, den diese preisgegeben hatte, sondern sie durch Übernahme auch neoliberaler Wirt­schaftspostulate unter die 5 Prozent zu drücken. Bis zur dreifachen Landtagswahl im März 1996 wurde diese Strategie auch von der Presse als neuer Kurs der Grünen bejubelt. Sie scheiterte auf der ganzen Linie, als das neoliberale Original und nicht die schlechte grüne Kopie gewählt wurde. Zu einer bewussten Verarbeitung dieser Niederlage jenseits der kleinen Recht­habereien kam es allerdings nicht.

Im Zuge dieser Entwicklungen hatte die Mehrheit der Bundestagsfraktion sich jahrelang ge­sperrt, kritische Ökonomen wie Altvater einzuladen und anzuhören. Man konsultierte lieber die regierungsnahen Wirtschaftsinstitute und genoss den Zuspruch durch Vertreter der herrschen­den Lehre. Der geschrumpfte grüne Veränderungswille sah sich durch alles überstrapaziert, was seine unmittelbare Umsetzbarkeit im Hier und Jetzt nicht nachweisen konnte, tat jede nur international und längerfristig durchsetzbare Politik zur Veränderung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen als Irrlehre ab. Auch über die Gewerkschaften wurde eher die Nase ge­rümpft, bis der Bruch des Bündnisses für Arbeit durch die Bundesregierung und die Demon­stration der Bergarbeiter im Regierungsviertel eine Kurskorrektur opportun er­scheinen ließ.

Nach den erwähnten Landtagswahlen korrigierte die Bundestagsfraktion ihre Wirtschaftspoli­tik. Fraktionsminderheit und Parteimehrheit konnten sich mit der Auffassung durchsetzen, dass ein grüner Monetarismus weder in der Lage sei, schnell die Löcher im Bundeshaushalt zu stopfen, noch soziale und ökologische Reformansprüche zu erfüllen. Das Einkommenssteuer­konzept wurde, ohne dass die Systematik geändert werden musste, im Sinne einer Stärkung der unteren und mittleren Einkommensschichten und einer stärkeren Belastung der Besserverdie­nenden neu gerechnet, begleitet durch die Forderung nach Wiedereinführung der Ver­mögens­steuer und einer Erhöhung der Steuer auf große Erbschaften. Für die Haushaltspolitik wurde die Formel gefunden, dass die durchschnittliche jährliche Nettoneuver­schuldung mittelfristig nicht höher sein dürfe als das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes. Ökologie wurde wieder als ei­genständiger Wert gesehen und nicht länger zum Argument einer grünen Standortpolitik de­gradiert. Bezogen auf die globalisierten Märkte wur­den neue Ansätze politischer Einflussnahme diskutiert. Zumindest theoretisch musste es ein Ausfallstor aus der Dominanz angebots- und deregulie­rungsorientierter Wirtschaftspolitik geben. Die Tobin-Steuer bot einen entspre­chenden Ansatzpunkt. Zudem konnte sie als marktwirtschaftliches Steuerungsinstrument von rechts her nicht ohne weiteres unter Ideologieverdacht gestellt werden.

Trotz dieser Korrekturen jedoch hatte sich das jahrelang über symbolische Inszenierungen auf­gebaute Bild in der Öffentlichkeit festgesetzt, die Grünen vollzögen eine grundsätzliche Wende bei der Solidarisierungsrichtung in den klassischen innergesellschaftlichen Konflikten: öffent­lichkeitswirksames Shake Hands mit Spitzenunternehmern, vereinseitigte Propagierung der Senkung von Spitzensteuersätzen, Abschaffung der gesamten Gewerbesteuer, Mittelstandsför­derung zum Zwecke der Mittelstandsförderung, Sparen zu Lasten von Leistungsgesetzen, kri­tischer Dialog mit der CDU-Spitze, Diskussionen über schwarz-grün, Yuppies als politische Zielgruppe. Nur vor diesem Hintergrund ist die öffentliche Empörung über die Benzinpreis­formel (5 DM für den Liter Benzin in 10 Jahren) zu verstehen. In der Tat war diese Formel von den Medien aus dem Zusammenhang gerissen und verballhornt dargestellt worden. Doch dass auch sonst wenig mediengläubige Intellektuelle der ‚Berichterstattung‘ Vertrauen schenkten und nicht den Grünen, sagte etwas über deren Image. Man traute der Partei mittlerweile zu, Ökologiepoli­tik als Veranstaltung für Besserverdienende zu organisieren. Die Botschaft über die Ablösung des sozial-ökologischen Gesellschaftsvertra­ges durch den kapital-ökologischen war angekom­men.

Anders als mancher dies glauben machen möchte, war die inkriminierte Forde­rung keine Aus­geburt linker Theorien, sondern der Verquickung von Ökofundamentalismus mit realpoliti­scher, gar ökoliberaler Marktsteuerung. In den 80er Jahren hatte sich der linke Flügel der Grü­nen wegen der denkbaren unsozialen Auswirkungen generell gegen Ökosteuern gewandt und einseitig auf ordnungsrechtliche Maßnahmen gesetzt. Diese Position war nicht haltbar. In den 90er Jahren nun hatte sich die Marktsteuerung soweit verabsolutiert, dass das Instrument, die Steuer, ideologisch geradezu als Ziel herausgestellt wurde. Der gesellschaftspolitische Zweck dahinter verblasste. Die Linke musste sich nun höchstens vorwer­fen, dass sie sich – anders als bei der anfangs fehlkonstruierten Einkommensteuerkonzeption – nicht energisch genug der Verabsolu­tierung widersetzt und ihre Einordnung in ein insgesamt plausibles Gefüge sozialen Interes­sensausgleichs durchgesetzt hat. In der umstrittenen Benzinpreisformel spiegelte sich nicht die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Pro­grammrevision, sondern die einer gesell­schaftspoliti­schen Zieldiskussion. Denn eine politische Praxis ohne klare Zielperspektive führt nicht zum Pragmatismus, sondern zur beliebigen Praxelei.

Auch im Bereich der Weltwirtschaftspolitik mussten erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um die Standortfixierung zumindest ansatzweise durch die Diskussion internationaler Regulierungsmechanismen wieder zu relativieren. Immerhin hat sich die Fraktion nicht länger der De­batte zur Wiedergewinnung politischer Steuerungsfähigkeit über die internationalen Märkte widersetzt. Den letzten Ausschlag gaben die Währungsturbulenzen in Süd-Ost-Asien. Abgese­hen von guten Ratschlägen an die dortigen Banker, wie sie ihr Handwerk zu perfek­tio­nieren hätten, damit der Kapitalismus nicht an ihrem Unvermögen scheitere, wurde die De­batte weit­gehend von denen aktiv betrieben, die in den 80er Jahren an den Konzepten für eine ökolo­gisch-solidarische Weltwirtschaft mitgearbeitet hatten. Sie machten sich Gedanken über eine internationale Strukturpolitik, die weltwirtschaftliche Mechanismen im Rahmen alternativer Außenpolitik zu krisenpräventiven Zwecken nutzen sollte. Einen zentralen Ansatzpunkt bildete die Tobin-Steuer. Die Forderung nach ihrer Einführung musste allerdings gegen den stark neoli­beral geprägten wirtschafts- und finanzpolitischen Arbeitskreis der Fraktion durchgesetzt wer­den, der sie als unpraktikabel und so wenig herrschaftskonform ablehnte, dass ihre Befürwor­tung sein Renommee bei der libe­ralkonservativen Wirt­schaftspresse hätte in Misskredit geraten lassen.

Es nimmt nicht wunder, dass auch Elmar Altvater wieder eine Rolle spielte, als die Grünen sich auf ihre kritische Rolle besannen und jenseits der Parameter der herrschenden Lehren nach Per­spektiven suchten. In seiner Perzeption der Globalisierung fand die Tobin-Steuer wie andere Instrumente, die zur Entschleunigung des Turbokapitalismus, zur Verminderung seines Stoff­durchsatzes und zur politischen Regulierbarkeit der Märkte beitragen kön­nen, einen systemati­schen Platz. [7] Nun, da offensichtlich ist, dass sich die Grünen wieder gründlicher mit gesell­schafts- und wirtschaftspolitischen Alternativen befassen müssen, wenn sie nicht in die Diskurs­fallen einer medienorientierten Eindruckskonkurrenz fallen wollen, könnte die politische Flaute, die kriti­sche Theorie und Kritik der politischen Ökonomie bei ihnen durchlebt ha­ben, bald wie­der vor­bei sein. Wenn auch bei den Grünen die Auffassung, dass Neolibera­lismus, Monetaris­mus, An­gebotsori­entierung und Deregulierungspolitik nicht das Ende der Ge­schichte sein kön­nen, wie­der Kon­junktur erhält, werden sie an den Werken von Altvater und seinem Umfeld nicht vor­bei kön­nen.

[1] Vgl. Die GRÜNEN im Bundestag, Auf dem Weg zu einer ökologisch-solidarischen Weltwirtschaft. Konzept für eine grüne Außenwirtschaftspolitik, Bonn 1990 (Broschüre)

[2] Vgl. Ludger Volmer, Die Grünen und die Außenpolitik – ein schwieriges Verhältnis, Münster 1998, Kap. 7.3.

[3] Vgl. Trägerkreis des Internationalen Gegenkongresses der IWF/Weltbank-Kampagne/Die GRÜNEN im Bundestag (Hg), Gegen IWF und Weltbank, Köln 1989; vgl. Soll und Haben, Strategien und Alternativen zur Lösung der Schuldenkrise, Hamburg 1988.

[4] Vgl. Lelio Basso Foundation – ständiges Tribunal der Völker, Tribunal über die Politik des IWF und der Weltbank 26.-29.9.1988 Berlin (West), Urteilsspruch, in: Informationszentrum Dritte Welt (IZ3W, Hg.), IWF schuldig. Internationaler Währungsfonds und Weltbank vor dem Basso-Tribunal, Freiburg i.Br. 1989

[5] Vgl. Elmar Altvater, Kurt Hübner, Jochen Lorentzen, Raul Rojas (Hg.), Die Armut der Nationen. Handbuch zur Schuldenkrise von Argentinien bis Zaire, Berlin 1987

[6] Vgl. Die GRÜNEN im Bundestag, Umbau der Industriegesellschaft. Schritte zur Überwindung von Erwerbslosigkeit, Armut und Umweltzerstörung, Bonn 1986 (Broschüre, im Archiv Grünes Gedächtnis)

[7] Vgl. Bündnis 90/Die Grünen AK V (Hg.), Die Re-Regulierung der Finanzmärkte. Die Tobin-Steuer als Schlüsselelement einer globalen Strukturpolitik, Dokumentation der Anhörung vom 28.11.1997; vgl. Elmar Altvater, Gleichheit, Frieden und Beschäftigung, in: Andere Zeiten. Forum für politische Ökologie und soziale Emanzipation, März/April 1998