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(interne Notiz zum ersten offiziellen Besuch eines SPD-Vorsitzenden bei den Grünen. Teilnehmer für die SPD: Björn Engholm, Malte Ristau; für die Grünen: Christine Weiske, Ludger Volmer, Heide Rühle, Bonn 28. September 1991. Bisher unveröffentlicht, hier leicht redigiert)

„Baracke“ trifft „Colmantstraße“

Am 10. September 1991 setzte zum ersten Male in der 150-jährigen Geschichte der Sozialdemokratie ein Vorsitzender den Fuß ins Hauptquartier der Grünen. Björn Engholm, begleitet von seinem professionellen green watcher Malte Ristau, stattete Christine Weiske, Ludger Volmer und Heide Rühle einen Besuch ab. „Erstes Kennenlernen“ hieß die diplomatische Formel für das Zusammentreffen, an dem von beiden Seiten seit drei Monaten gebastelt worden war.

Über Konkretes wurde nicht gesprochen; dennoch schwappte der Talk bei Kaffee, Kuchen, Cognac und Kultur (an der Stirnwand des Sitzungszimmers prangt überlebensgroß ein Grafitto des Züricher Sprayers Nägeli, was der Kunstkenner B.E. aber wohl nicht identifizierte, denn ein bewundernder Kommentar blieb aus) locker über das Anstandsstündchen hinaus und brachte die Terminfolge ins Wanken. Atmosphärisch ein gutes Zeichen. Die Inhaltsleere der Plauderei mag bespöttelt, die Weigerung von E., konkret auf das Stichwort rot-grün einzusteigen, begrantelt werden. Allein, um Inhalte ging es nicht. Die Tatsache des Gesprächs als solches war die Message. Denn E.s Schritt vorausgegangen war ein harter Bruderzwist in der Baracke.

Nach dem parlamentarischen Aus der Grünen befehdeten sich in der Baracke zwei Linien. Die eine wollte uns für bundespolitisch endgültig erledigt und keines Kontaktes würdig befinden und sich der Frage zuwenden, wie denn die grüne Konkursmasse und die Bürgerbewegungen-Ost der Sozialdemokratie einzuverleiben seien. Die andere hielt uns für nur scheintot und meinte, 1994 mit einer putzmunteren grünen Partei (mit oder ohne Bündnis 90) im Bundestag rechnen zu müssen. Dass E. uns besuchte, war das Signal dafür, dass er der zweiten Version mehr Realitätssinn abgewinnt.

Wir mussten Interesse an dem Signal haben, dass wir auch nach der Wahlniederlage als politischer Faktor im Geschäft sind. Spekulationen um eine rot-grüne Koalition in Bonn bekommen neue Nahrung. E.s Interesse war ein anderes. Im Unterschied zu Lafontaine, der sich durch einen rüden Rempelkurs seine Freiräume schuf, bevorzugt Engholm die Lächeldiplomatie. Das Augenzwinkern für die Grünen soll auch die FDP nervös machen. Eifersüchtige Liberale werden anstelliger sein. Grüne auch?

Das falscheste, was wir nun tun könnten, wäre mit der FDP im Schöntun zu konkurrieren. Männern wie E. läuft man/frau nicht nach. Wir müssen ihm Entscheidungen aufnötigen; müssen unser Profil gegenüber SPD und FDP so anschärfen, dass E.s Wahl – FDP oder Grüne? – eine Grundsatzentscheidung für den gesamten zukünftigen Entwicklungsweg der neuen deutschen Gesellschaft bedeutet. Harte Tests sind wichtiger als Charming.

Was E. zur Asyldebatte beigesteuert hat oder seine subtile Forderung nach Einfrieren der Renten beweisen eine Neigung, unter rechtspopulistischem Druck die demokratischen und sozialen Gehalte der SPD zur Disposition zu stellen. Er ist kein Enkel Willy Brandts, sondern ein Sohn von Helmut Schmidt. Auch das Ökologische bleibt eher philosophisch. Seine Landesregierung jedenfalls hat bisher nichts Entscheidendes zum Ausstieg aus der Atomindustrie unternommen. Der markanteste Test, ob E. bundespolitisch für eine ökologische und soziale Umsteuerung zusammen mit uns Grünen oder für die Bedienung der Interessen von Maklern und Mäzenen mit der FDP zu haben ist, kann die Landtagswahl in Schleswig-Holstein sein. Die Grünen müssen klaren Kurs steuern. Wenn sie den WählerInnen plausibel machen können, dass rot-grün im Lande etwas anderes sein könnte als Engholm pur, werden sie die Stimmen derer bekommen, die den SPD-Chef vor die Gretchenfrage stellen wollen – auch um für 1994 klarer zu sehen.