(zum Ende meiner Zeit als MdB gab ich ein knappes Interview zu den Grundlinien grüner Außenpolitik. Genaues Datum, Fragesteller und Ort sind leider nicht mehr bekannt.)
Austritt aus der NATO, Grundsatzkritik am westlichen Bündnis: Wie ordnest du aus heutiger Sicht diese Positionen der Grünen aus den 80ern ein?
Den „Austritt“, wie die „Abschaffung der Bundeswehr“, forderte nur eine Minderheit – von unseren Gegnern als Legende verewigt. Die Mehrheitslinie lautete: die Forderung nach Beendigung der atomaren Abschreckung, nach einseitiger Abrüstung und Auflösung der Militärblöcke wird den Bruch mit der NATO nach sich ziehen. Die Lage heute: der Warschauer Pakt ist aufgelöst, die Blocklogik erledigt. Die NATO wird von vielen Seiten in Frage gestellt. Aber nicht von uns! Wir brauchen sie, um die Supermacht USA zum Dialog mit Europa zu verpflichten. Doch für uns gilt: „UNO first“!
Welchen Blick hatten die Grünen damals auf die „westliche Wertegemeinschaft“?
Wir waren westlich geprägte „Fundamentalkritiker“ des Westens. Die „etablierten Parteien“ hatten seine Grundwerte verraten. Doch der autoritäre, uniforme und spießige „reale Sozialismus“ im Osten war keine Alternative. Wir schwankten zwischen westlicher Erneuerung und dem „dritten Weg“. Und heute? Wir sind bekennender Teil der westlichen Welt. Aber wir kritisieren ihre „doppelten Standards“, wenn je nach Interessenlage Werte verteidigt oder ins Gegenteil verkehrt werden.
Wie charakterisierst du den Weg, den die Grünen in Bezug auf ihr Verhältnis zu den USA zurückgelegt haben?
Vietnam, die Unterstützung von Militärdiktaturen in Lateinamerika, die Nuklearpolitik stießen uns ab. Das „andere Amerika“, mit Martin Luther King, Bob Dylan und Jane Fonda (und John Kerry), zog uns an. Reagans Imponiergehabe machte Angst, Carters Menschenrechtspolitik Hoffnung. Mit Clinton/Schröder kam die epochale Versöhnung. Heute tragen wir ernsthafte Differenzen (Irak, Kyoto, IGM) aus – aber begrenzen sie möglichst eng und kämpfen gegen einen pauschalen Antiamerikanismus für eine neue „transatlantische Agenda“.
Welche Bedeutung hatten Mauerfall, Wiedervereinigung und Auflösung des Warschauer Paktes für die außenpolitischen Positionen der Grünen bzw. Bündnis 90/Die Grünen?
Wir West-Grünen flogen aus dem Bundestag! Wir hatten uns nicht gegründet, um die deutsche Frage zu lösen. Jetzt überrollte sie uns. Dann ein mühsamer Lernprozess in einer neuen, gesamtdeutschen Partei: Welche Rolle soll das vereinigte Deutschland in der Welt spielen? Unbequeme Verantwortung oder selbstgefällige Genügsamkeit? Zivilmacht oder Militarisierung der Außenpolitik? Die Bundeswehr – abschaffen oder einsetzen? Pazifismus und/oder Menschenrechte? UNO, NATO, OSZE – wer soll das Sagen haben?
Haben die Grünen, wie oft behauptet, auf dem Weg zur Regierungspartei mit zentralen außenpolitischen Traditionen gebrochen?
Der Bruch kam nicht wegen der Regierungsbeteiligung, sondern weil die Welt sich nach dem Ende des Kalten Krieges rasant veränderte. Staatszerfall, Regionalkriege, Terrorismus, aber auch ökologische, soziale und ökonomische Krisen erforderten eine neue Bedrohungsanalyse. Und einen erweiterten Sicherheitsbegriff. Hier wurden wir erneut zu Vordenkern! Ein neuer „politischer Pazifismus“ erkennt nicht nur die Grenzen des Militärischen – sondern auch seine eigenen. Und stellt sich dem Dilemma!
Welche Linien der Kontinuität ziehen sich durch 25 Jahre grüner Positionen zur Außenpolitik?
Gewaltverzicht und friedlicher Interessenausgleich, Einbindung in den Westen und Brückenschlag nach Osten, transatlantische Partnerschaft, deutsch-französische Freundschaft und europäische Integration, Bindung an UNO und Völkerrecht – diese Grundlinien deutscher Außenpolitik werden akzeptiert, ergänzt und interpretiert durch die Prinzipien grüner Friedenspolitik: Wir betreiben eine integrative Außenpolitik mit Krisenprävention und ziviler Konfliktbearbeitung, Deeskalation, aktiver Menschenrechtspolitik, globaler Gerechtigkeit und dem Dialog der Kulturen.