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(Dieses Policy-Paper schrieb ich am 29. Mai 1996 zusammen mit Frieder Otoo Wolf, nachdem bei drei Landtagswahlen die FDP im Verhältnis zu den Grünen massiv gewonnen hatte. Wir kritisierten die Tendenz der grünen Bundestagsfraktion zu einer neoliberalen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, die das grüne Profil verblassen ließ und das wirtschafts-liberale Original stärkte. Der Text  wurde intern in grünen Postillen gedruckt.)

 

  1. Wer die FDP beerben will, wird selbst zum Möllemann

(Jürgen Möllemann war ein lauter und nassforscher FDP-Minister. Er kam 2003 bei einem Fallschirmsprung ums Leben, als sich der Schirm nicht öffnete.) Die Landtagswahlen im Frühjahr 1996 haben gezeigt, dass es aus grüner Sicht sinnlos ist, von der FDP mehr erben zu wollen, als bereits geschehen, nämlich den linken Bürgerrechtsliberalismus. Der Versuch einiger führender Köpfe der Partei, auch mit wirtschaftsliberalen Thesen die Konkurrenz aufzunehmen, die FDP unter die 5% zu drücken und so die Grünen als dritte Kraft zwischen den beiden großen Volksparteien zum denkbaren Koalitionspartner beider Seiten machen zu wollen, ist deutlich gescheitert. So wie die rechtspopulistischen Thesen der SPD zur Währungsunion und zum Zuzug von Aussiedlern die „Republikaner“ (eine rechtsradikale Partei, Vorläuferin der AFD) hoch geredet haben, haben die neoliberalen Ansätze bei einigen Grünen eher zur Stärkung der FDP geführt, da sie ihr recht zu geben scheinen. Eine Konkurrenz zu den Liberalen und das Einbrechen in Teile des konservativen Wählerspektrums können nicht organisiert werden über eine Anpassung an den wirtschaftsliberalen Diskurs mit den Kernelementen der Standortsicherung, Deregulierung und Weltmarktanpassung. Grünes Ziel muss es bleiben, auch in Zeiten der Krise die solidarische Gesellschaft anzustreben und gegen das Konzept der Ellenbogengesellschaft zu verteidigen.

  1. Wer ziellos spart, spart Arbeitsplätze

Solidarität darf sich nicht erschöpfen in der Forderung nach Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten im Zuge von Sozialabbau und Einsparungen im Bundeshaushalt. Sie muss im Gegenteil insbesondere die politischen Felder suchen, in denen in deutlicher Opposition zur liberal-konservativen Politik der Deregulierung als auch im deutlichen Kontrast zur sozialdemokratischen Politik der Verteidigung traditioneller Sozialstaatsstrukturen eine Produktivitätsentwicklung in Gang gesetzt werden kann, die sowohl die Kriterien der ökologischen Nachhaltigkeit erfüllt als auch positive Arbeitsplatzeffekte erzielt. Der Versuch der Bundesregierung, gleichzeitig die Haushaltssanierung und die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit mit einem einheitlichen Maßnahmenpaket erreichen zu können, ist von vornherein illusionär. Budgetsanierung und aktive Arbeitsmarktpolitik schließen sich im Prinzip aus; höchstens auf dem Gebiet der Senkung der Lohnnebenkosten lassen sich gewisse Konjunktureffekte mit positiver Arbeitsplatzbilanz vermuten. Die öffentlichen Nachfrageverluste durch die Senkung staatlicher Ausgaben aber werden mit Sicherheit eher negative Arbeitsplatzeffekte nach sich ziehen. Bis auf einzelne genauer zu prüfende Ausnahmen dürfte die Strategie der Deregulierung systematisch einmünden in das Konzept der völlig individualisierten Ellenbogengesellschaft. Weil Solidarität in der Bundesrepublik im Wesentlichen vermittelt ist über staatliche Funktionen und dies umso mehr, als traditionelle Solidarstrukturen wie Nachbarschaften und verwandtschaftliche Beziehungen im Laufe des Modernisierungsprozesses mehr und mehr obsolet werden, dürfte die individualisierte deutsche Gesellschaft nicht einmal das Maß an Solidarität aufweisen wie die amerikanische, in der fernab von gewachsener Sozialstaatlichkeit trotz aller Krisen so etwas wie persönliche Hilfsbereitschaft überdauert hat. Eine grüne Politik, die mit der Bundesregierung auf dem Gebiet der Sparpolitik wetteifern wollte, um sich als die bessere Haushaltspolitik darzustellen, wäre von Beginn an verfehlt. Leichtfertig aber ist es auch, in spöttisch aggressiver Abgrenzung zur traditionellen Sozialstaatspolitik der SPD nun die ökologische Strukturpolitik der Grünen pauschal zum Lösungsansatz zu erklären. Unsere Strukturpolitik ist ökologisch optimiert, aber bisher nicht haushalts- und arbeitsmarktpolitisch. Haushaltspolitisch bringt sie eher Belastungen, während die positiven Arbeitsplatzeffekte zwar feststellbar, aber bisher nicht systematische Zielsetzung unserer Politik sind.  Ökologische Strukturpolitik, so richtig sie bleibt, muss deshalb ergänzt und flankiert werden durch Maßnahmen in anderen Politikfeldern.

  1. Frisches Geld statt Waigels faule Wechsel

(Theo Waigel war CSU-Finanzminister.) Diese Arbeitsfelder ergeben sich aus einer vertieften Krisenanalyse. Bei der momentanen Haushalts- und Arbeitsmarktproblematik handelt es sich nicht um eine Konjunkturkrise, die mit der Politik traditioneller Wachstumsimpulse beseitigt werden kann. Sie hat mindestens die Merkmale einer Strukturkrise. Das heißt, eine gewachsene Wirtschaftsstruktur – sowohl was die Verfahren als auch die Produkte angeht – ist nicht mehr in der Lage, Märkte zu bedienen, weil sie entweder die Nachfrage nicht befriedigt oder hinreichende kaufkräftige Nachfrage nicht vorhanden ist oder die Distributionswege nicht funktionieren. Die Krise erschöpft sich aber nicht in strukturpolitischen Aspekten. Die neue Qualität und das Spezifikum liegt darin, dass sie sich längst zur Über-Akkumulationskrise geweitet hat. Das heißt, bei einzelnen Wirtschaftssubjekten hat sich ein so hoher Kapitalbetrag gesammelt, dass sie ihn nicht mehr konsumieren oder sinnvoll investieren können.

Dies ist der Ausdruck der seit geraumer Zeit sich entwickelnden Entkopplung von monetärer und realer Akkumulation. Die Produktion von Gütern und Dienstleistungen bleibt weit hinter den Wachstumszahlen auf den Kapitalmärkten zurück. Die großen Kapitalbesitzer sehen die Rendite ihres Kapitals eher durch die Bedienung der spekulativen Hebel auf den Finanzmärkten als durch gezielte Investition in der realwirtschaftlichen Güterproduktion. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) stellt fest, dass die Höhe spekulativer Gelder im Vergleich des Bruttosozialproduktes von 5% im Jahr 1975 auf 135% im Jahr 1995 angestiegen ist. Heute verfolgen vom grenzüberschreitenden Kapitalverkehr nur 2 bis 3 % realwirtschaftliche Zwecke der Güterfinanzierung, während 97 bis 98 % rein spekulative Kapitalanlagen auf den Geldmärkten darstellen!

Gegenüber den Geldmassen, die spekulativ über den Globus verschoben werden, wird die politische Steuerungsfähigkeit der Volkswirtschaft immer geringer. Die liberal-konservative Antwort auf dieses Problem heißt, Renditesteigerung in der Güterproduktion durch Senkung von Lohn- und Lohnnebenkosten. Diese Rechnung wird nicht aufgehen, da die Kapitalgewinne über Finanzspekulationen immer höher bleiben werden und die Senkung der Gesamtlohnsumme unabhängig von ihrer Verteilung im Rahmen von Arbeitsumverteilung die Inlandsnachfrage bremst. Auf der anderen Seite fehlen für zahlreiche sinnvolle Investitionen z. B. in der ökologischen Infrastrukturpolitik aber auch für den nötigen Umbau des Sozialsystem die notwendigen Finanzmittel. Eine nachhaltige Entwicklung, die positive Arbeitsplatzeffekte und die Entwicklung neuer zukunftsfähiger Branchen hervorbringt, wird es nur geben können, wenn die notwendigen Investivmittel aufgestockt werden. Dies aber lässt sich nicht erreichen über allgemeine Steuererhöhungen oder allgemeine Steuersenkungen, sondern nur über die Mobilisierung frischen Kapitals, d.h. des Kapitals, das nicht im realwirtschaftlichen Kreislauf eingebunden ist. Es existiert in Überfülle bei den Reichen und Superreichen, die es am Roulettetisch oder an den internationalen Aktien- und Warenterminmärkten verzocken. Den Reichen muss das Spielgeld abgenommen werden. Es ist sozialpflichtig und muss in die Güterproduktion recycelt werden.

  1. Real erwirtschaften, statt am Spieltisch gewinnen

Die klassische linke These von der Notwendigkeit der Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums ändert in dieser Forderung ihre Form. Es geht nicht allein darum, den erwirtschafteten Reichtum anders, das heißt sozial gerechter zu verteilen. Es geht darum, ihn zu mobilisieren, um überhaupt wieder produktive Entwicklungseffekte zu erzielen. Eine solche Argumentation entzieht die Linke auch dem ständigen Vorwurf, sie wolle nur verteilen, was andere erarbeitet haben. Der Ansatz des Recyclings von überschüssigem Spekulationskapital zeigt im Gegenteil, dass es gerade die linke Umverteilungspolitik ist, die Ressourcen mobilisieren kann, die für die Produktivitätsentwicklung unabdingbar sind.

Auch selbstkritische Banker kommen zu diesem Ergebnis. So wendet sich Horst Köhler, Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes (später Bundespräsident) in einer Analyse der verselbständigten Kapitalmärkte gegen den „globalen Kasino- und Spekulationskapitalismus“: „Die Kreditwirtschaft kann kein Interesse daran haben, Gewinne zu machen, um den Preis, dass die Finanzsphäre selbst zum Risikofaktor für arbeitsplatzschaffende langfristige Investitionen in der Realwirtschaft wird.“ Statt sich von der Unternehmerseite in die Defensive treiben zu lassen, hat die Linke also gute Argumente, um offensiv einen neuen Unternehmens- und Produktivitätsbegriff zu diskutieren, an dem gemessen sich zahlreiche jammernde Kapitalvertreter als „Nieten in Nadelstreifen“ erweisen.  Einige der Instrumente, mit denen überschüssiges Kapital abgeschöpft werden könnte, sind längst in der Debatte und bei den Grünen programmatischer Konsens. Sie müssen nur systematisch auf dieses Ziel hin bezogen und optimiert werden.

  1. Politische Union gegen ruinösen Wettbewerb

Die Notwendigkeit frischer Kapitalzufuhr ergibt sich auch aus dem Umstand, dass ehemals effektive Mittel zur Förderung des Warenexportes mit entsprechenden positiven Arbeitsplatzeffekten heute nicht mehr funktionieren. In den siebziger Jahren wurde die D-Mark zu diesem Zweck künstlich schwach gehalten. Dies führte zum politischen Problem einer überhöht positiven, von anderen Ländern nicht mehr akzeptierten Handelsbilanz und mündete in eine DM-Aufwertungspolitik. Der Kapitalbedarf zur Finanzierung der deutschen Einheit, der Aufbauboom und die allen gegenteiligen Gerüchten zum Trotz wieder starke Außenhandelsposition hat die D-Mark stark werden lassen. Innerhalb eines währungspolitisch vereinheitlichten Europas fällt die Wechselkurspolitik als Stimulierung für den Export und indirektes Arbeitsmarktinstrument endgültig weg. Außenhandel wird dann ohnehin nicht mehr bezogen auf die nationalen Volkswirtschaften, sondern auf die der EU gegenüber anderen Wirtschaftsregionen definiert.

Vom Standort Deutschland zu reden, wird volkswirtschaftlich immer unsinniger, wenn das wirtschaftende Volk als europäisches definiert wird. Gleichwohl aber speist das Steueraufkommen daraus nicht einen EU-Haushalt, sondern die jeweiligen nationalen Budgets. Sie sind also abhängig davon, wieviel des EU-Außenhandels auf den eigenen politischen Raum entfällt. Hier liegt das ökonomische Kernproblem des europäischen Einigungsprozesses.  Wirtschaften im EU-Rahmen und Nationale Haushaltspolitik geraten so immer stärker in Widerspruch. Daraus ist die Notwendigkeit entstanden, Hand in Hand mit der Durchsetzung der Währungsunion auch eine politische und soziale Union herzustellen.  Wenn es nicht zu einer gezielten Absprache im Rahmen einer politischen und sozialen Union kommt, wird es zu einem ruinösen Deregulierungswettbewerb im sozialen Bereich kommen müssen. Die Währungsunion abzulehnen kann aus übergeordneten außenpolitischen Gründen nicht empfohlen werden. Das umstandslose Bekenntnis aber, das einige grüne Freunde heute fordern, mag symbolisch in die angestrebte neoliberale Richtung passen; es ist genauso verfehlt. Wir können die Währungsunion nur akzeptieren, wenn sie als Inzentiv gedacht ist zur Entwicklung der politischen und sozialen. Wenn letztere nicht folgen, wird die gemeinsame Währungspolitik nur den Investitionsstrategien der Kapitalseite nutzen mit eher negativen Arbeitsplatzeffekten.

  1. Re-Regulieren und Kapitalverkehr steuern

So richtig es ist, Abschreibungsmöglichkeiten für Großkapitalbesitzer zu beschränken und die Spekulationsfrist für Wertpapiere auszudehnen, so gering ist das quantitative Aufkommen im Verhältnis zu dem Kapitalbedarf, der mobilisiert werden müsste. Von daher sollte diskutiert werden, wie im grenzüberschreitenden Kapitalverkehr, der sich spekulativ auf den internationalen Finanzmärkten bewegt, der Anspruch auf Sozialpflichtigkeit des Eigentums geltend gemacht werden kann. Es muss dabei nicht mehr abstrakt über Kapitalverkehrskontrollen geredet werden. Innerhalb der Europäischen Union und insbesondere im Europaparlament gibt es dezidierte Überlegungen. Auch ehemalige Päpste der Deregulierung sind mittlerweile bei der Fragestellung angekommen, inwieweit es in bestimmten Bereichen zu Re-Regulierungen kommen muss.

Instrumente wie die Tobin-Steuer, einer Transfersteuer auf grenzüberschreitendes Kapital, bieten Möglichkeiten spekulatives Geld abzuschöpfen. Die Mittel, die darüber eingebracht werden können, sind erheblich höher als alles, was durch eine Erhöhung der nationalen Besteuerung erreicht werden könnte. Bei der Erhebung von 0,5% Steuern auf alle grenzüberschreitenden Kapitaltransfers würden jährlich schätzungsweise 30 Mrd. DM eingenommen. Bei dieser Steuer handelt es sich um ein streng marktwirtschaftliches Instrument, das rein spekulative Anlagen unattraktiver macht, Geld nicht nur über den abgeschöpften Teil direkt, sondern durch die veränderten Renditeberechnungen auch indirekt in die Güterproduktion umlenkt und der Politik ein Stück Gewicht gegenüber der Anarchie der Marktkräfte zurückgibt. Solange die europäische Harmonisierung noch nicht vollständig gelungen ist, kann diese Steuer auch im innereuropäischen Grenzverkehr erhoben werden. Nach vollständiger Einführung der Währungsunion wäre sie an den europäischen Außengrenzen zu erheben.

  1. Ökologisch-solidarische Strukturpolitik gegen die Ideologie der „Globalisierung“

 Die Arbeitsplatzkrise wird verschärft durch eine fehlentwickelte Außenwirtschafts- und Handelspolitik. Das Gerede von der Globalisierung der Märkte, der sich die Bundesrepublik anzupassen habe, täuscht darüber hinweg, dass es insbesondere die Politik der Bundesregierung in den letzten Jahren war, die zu einer völlig überzogenen Deregulierung der Weltmärkte beigetragen hat. In der wahnwitzigen Vorstellung, alle Regionen der Erde zum Markt für den Absatz industrieller Güter erschließen zu können, hat man übersehen, dass die so in den Weltmarkt integrierten Länder sich nicht nur als Märkte verstehen, sondern als Produzenten zunehmend in unmittelbare Konkurrenz zur heimischen Industrieproduktion treten. Nur in bestimmten Branchen sind die Qualitätsstandards der deutschen Produktion entscheidender Wettbewerbsvorteil. Bei anderen Gütern sind die Kostenvorteile der Wettbewerber wirksamer. Die liberal-konservative Regierung setzt nun einseitig auf Anpassung an die neuen Marktbedingungen durch Senkung der Lohnstückkosten. Dabei wird übersehen, dass die Lohnstückkosten ohnehin schon im internationalen Vergleich gering sind. Stärker ins Gewicht fällt eine andere Überlegung. Die Ideologie des Freihandels geht von der Vorstellung aus, dass der freie Handel mittelfristig zu einem Wohlstandswachstum in allen Regionen führt. Ob dies tatsächlich eintreten kann, sei dahingestellt. Festzustellen bleibt aber, dass es zumindest kurzfristig zu massiven Verwerfungen kommt. Handelspolitische Nachteile bleiben eben nicht nur auf die Sphäre der Geschäftswelt beschränkt, sondern schlagen sich unmittelbar nieder in Arbeitsplatzeffekte und Steueraufkommen. Nun war die Politik eines Nord-Süd-Ausgleiches, der insbesondere Drittweltländern einen Produzentenstatus verschafft, immer elementarer Bestandteil grüner Außenwirtschaftspolitik. Sie sollte aber geregelt und auf der Basis vernunftmäßiger Absprachen organisiert werden. Der Hauptanteil des deutschen Außenhandels aber spielt sich innerhalb der industrialisierten Welt ab. Hier erleben wir einen Wildwuchs, der positive und negative Effekte durchmischt.

Die Lösung kann nicht darin bestehen, die hyperliberale Deregulierungspolitik weiterzubetreiben. Sie kann nur in einer Re-Regulierung der Weltmärkte gefunden werden. Die Politik muss die Märkte organisieren, statt sich zur reinen Anpassungsgehilfin bestimmter Interessengruppen zu machen. Der klassische Protektionismus hatte zum Ziel, eine nationale Volkswirtschaft als ganze gegen Konkurrenten abzuschotten. Diese nationale Borniertheit hatte in der Tat durchbrochen werden müssen. Die Alternative kann nun aber nicht der Wildwuchs sein, sondern nur die vernunftmäßige Absprache über eine ökologisch-solidarische Strukturpolitik einschließlich eines Handelsaustausches, der allen Seiten einen optimalen Nutzen bringt. Denn wenn der Wildwuchs so weitergeht, dann werden außenhandelspolitische Probleme sich unmittelbar niederschlagen als innenpolitische Krise. Wenn Handelskriege entstehen wie z. B. der Autokrieg zwischen Japan und den USA, wird sichtbar, dass Handel nicht nur zur Völkerverständigung und zu einer Verbesserung des internationalen Klimas beiträgt, sondern ganz im Gegenteil neue internationale Konflikte geriert. Wenn bestimmte Branchen und damit auch wirtschaftspolitische Leitzahlen in einer Volkswirtschaft negativ betroffen sind, wird über die Verschärfung der sozialen Problematik die Außenhandelspolitik zu einem Faktor innenpolitischer Auseinandersetzung. Der Ruf, die Handelspolitik so zu gestalten, dass sie die Lebenschancen der Bevölkerung nicht verschlechtert, ist deshalb legitim.

  1. Handelspolitik zwischen Marktradikalität und Protektionismus

Auch unter der Perspektive, einen internationalen Lastenausgleich zu Gunsten der bisher benachteiligten Regionen leisten zu wollen, ist dennoch eine Re-Regulierung der Handelspolitik im Interesse der eigenen Volkswirtschaft denkbar. Sie müsste insbesondere zum Ziel haben, den Güterverkehr in der Triade zwischen Europäischer Union, Nordamerika und Japan/Südostasien effektiver und vernunftgemäßer zu gestalten.  Austauschrelationen werden in Zukunft nicht mehr zwischen der DM, dem Dollar und dem Yen festgestellt, sondern zwischen dem ECU und den anderen beiden Währungen. Von daher wird auch die Außenhandelspolitik nicht mehr über den Nationalstaat zu steuern sein, sondern nur noch über die europäische Union. Die Verteilung auf die bisherigen Nationalstaaten wäre dann Aufgabe einer politischen und sozialen Union. Vernunftmäßige Absprache würde bedeuten, dass bezogen auf bestimmte Regionen und Branchen verhandelt wird z.B. über Kontingentierung und Quoten. Die viel gescholtenen Absprachen in der ehemaligen EG z.B. über die Stahlproduktion oder den Schiffbau könnten dabei ebenso orientierend sein wie das Welttextilabkommen, das den Versuch einer globalen Absprache bedeutete. Abgesehen davon ist nicht die maximale, sondern die minimale Integration in die Weltmärkte wünschbar; einmal, um aus ökologischen Gründen verkehrsbedingte Emissionen und unnötigen Ressourcenverbrauch zu senken, zum anderen um regionale Wirtschaftskreisläufe und die Absatzchancen und Arbeitsplätze einer regional orientierten Wirtschaft zu fördern.

Hier auch könnten die Kriterien für Wohlstand politisch anders definiert werden. Nicht Wachstum an sich wäre Erfolgsmerkmal, sondern Wohlstandssteigerung auch im Sinne von ökologischer Lebensqualität. Ohne eine Re-Regulierung des Welthandels im Sinne von Absprachen und einer stärker Binnen- statt weltmarktorientierten Produktion wird die „Globalisierung“ als arbeitsplatzzerstörende Struktur nicht durchbrochen werden können. Es ist ein Unsinn anzunehmen, dass die Weltmarktorientierung mehr Arbeitsplätze schafft, als sie vernichtet. Auch das liberal-konservative Gerede von der Chancennutzung in der Technologieentwicklung kann davon nicht ablenken. Selbst wenn sich die Bundesrepublik gegen den Widerstand ökologisch orientierter politischer Kräfte auf Risikotechnologien wie die Gentechnik einlassen würde, wären die arbeitsplatzstiftenden Exporteffekte wahrscheinlich gering. Besser wäre es, dass nur noch solche Güter gehandelt werden dürfen, deren Produktion ökologischen und sozialen Mindeststandards entspricht.

Der Nachfolgeprozess von Rio und von Kopenhagen müsste in diesem Sinne organisiert werden. So dürfte z.B. nicht zugelassen werden, dass Güter gehandelt werden, deren Produktion gegen alle Forderungen der ILO verstößt. Auch wenn hier zahlreiche Probleme im Detail auftreten, z.B. dass einheimische Produzenten größere Schwierigkeiten haben, diese Standards zu erreichen als Transnationale Konzerne, ist die Richtung sinnvoll. Denn solche Standards sind nicht willkürlich herbeikonstruierte Handelshemmnisse, sondern sie werden immer stärker als Erfüllung der UNO-Standards für soziale Menschenrechte gesehen. Es ist zudem nicht einzusehen, warum bestimmte handelspolitische Maßnahmen, die z.B. in Nordamerika gang und gäbe sind (Kabotage beim Inlandsgüterverkehr) nicht auch innerhalb anderer Wirtschaftsregionen gelten sollten. Nicht im Einlassen auf den ruinösen Wettbewerb liegt die Chance der Zukunft, sondern im politischen Vorstoß, den internationalen Austausch in der Triade rationaler zu gestalten.

  1. Ein kapitales Erbe – die Unsittlichkeit im Generationenvertrag

Bei den Grünen wurde bereits zurecht die Diskussion um ein neues Rentenmodell begonnen, das die Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten des Generationenvertrags, die zu Lasten der nachfolgenden Generation gehen, überwinden helfen soll. Ergänzend dazu muss die Weitergabe aufgehäuften Kapitals, das nicht in die Güterproduktion investiert ist und auch bei heftigstem Verschwendungswillen nicht verkonsumiert werden kann, an die nachwachsende Generation neu geregelt werden. Denn es ist zwar (fast) die Gesamtheit der nachwachsenden Generation, die die vorangegangenen mit Rentenleistungen versorgt (auch wenn dies immer weniger leistbar ist); umgekehrt werden aber die Überschüsse der ablebenden Generation über das Erbschaftsrecht nicht an die Gesamtheit zurückgegeben. Hier kommt es zu einer doppelten Ungerechtigkeit. Zum einen werden erhaltene Rentenleistungen auch zurückgegeben an solche Bevölkerungsteile, die die Rentenlasten nie aufgebracht haben. Auf der anderen Seite wird der gesellschaftliche Reichtum, der sich in bestimmten Schichten akkumuliert hat über den Vererbungsprozess in wenige Familien hineinkanalisiert, die so zu Finanzdynastien werden, die in Zukunft mit den Reproduktionsproblemen einer Gesellschaft wenig zu tun haben.

In den nächsten Jahren wird ein riesiges Erbschaftsvolumen anstehen. Der Begriff der Erbengeneration suggeriert, dass es der Gesamtheit zugutekommt. Faktisch aber werden die das meiste erben, die ohnehin schon ein gutes Ein- und Auskommen haben. Denn in der Regel haben die Nachkommen wohlhabender Familien die besseren Bildungs-, Berufs- und Aufstiegschancen. Sie erhalten das Erbe zusätzlich, während die ärmeren Gruppen, die durch ihre Lohnarbeit zur Schaffung des gesellschaftlichen Reichtums beigetragen haben, weitgehend leer ausgehen. Schlimmer noch: über ein bestimmtes, durchaus gesteigertes Konsumniveau hinaus werden die ererbten Gelder nicht einmal die Inlandsnachfrage beleben und so Arbeitsplätze schaffen. Der Bedürfnishorizont ist eben nicht unbegrenzt. Viel Geld wird verzockt werden. Bei den ärmeren Gruppen sind dagegen unabgegoltene Bedürfnisse vorhanden, allein es fehlt die Kaufkraft. Wenn sie dann zur Kreditfinanzierung greifen, füllen sie noch einmal via Zins die Taschen der kreditgebenden Erben. Diesem Problem müssen wir durch eine Politisierung unserer Debatte über die Erbschaftssteuer gerecht werden. Der Generationenvertrag muss so definiert werden, dass Nutzen und Lasten von Gesamtgeneration zu Gesamtgeneration weitergegeben wird. Wenn aber einzelne nur den Nutzen des Erbes haben wollen, so müsste auch die Solidargemeinschaft der Rentenzahler aufgelöst und die Altersversorgung in die Obliegenheit der Einzelfamilie zurückgegeben werden. Die solidarische Gesellschaft darf nicht am Dynastiedenken wohlhabender Einzelfamilien scheitern. Wer sich mit seinem Kapital nicht daran beteiligen will, dem Recht auf Arbeit für alle die Geltung zu verschaffen, die selbst kein Kapital besitzen, dem muss das Recht auf Arbeit entzogen werden, bis er seinen Kapitalstock verzehrt hat.