(In meiner ersten Bundestagsrede, zum „Weltwirtschaftsgipfel“ 1985 in Bonn, forderte ich am 25. April 1985 einen Schuldenerlass für die „Dritte Welt“, die sich in der „Schuldenfalle“ befand, und die Abkehr von der zwangsweisen Weltmarktintegration. Diese Rede gilt als eine der ersten, die das, was später „Globalisierungskritik“ hieß, begründeten. Zugleich war sie ein Aufruf zur Teilnahme an den ersten kritischen Aktionen zu „Weltwirtschaftsgipfeln“ (G7) überhaupt (Demonstration und Gegenkongress), die ich maßgeblich mitorganisiert hatte. Plenarprotokoll 10/135)
Anfang Mai treffen sich in Bonn die Staatschefs der sieben reichsten Nationen und nennen sich Weltwirtschaftsgipfel. Welch ein vermessener und arroganter Anspruch!
Worauf gründen sie ihre Anmaßung, die Welt zu repräsentieren? Sie gründen ihn auf nichts anderes als auf ihre wirtschaftliche Überlegenheit und ihre militärische Vormachtstellung. Es geht ihnen in Bonn um nichts weiter, als ihre Weltwirtschaftsordnung der jährlichen Inspektion zu unterziehen und ihren Militärapparat, der sie absichert, den neuesten technologischen Möglichkeiten anzupassen. Ihre Handels- und Kreditpolitik kann nicht leben ohne ihre Kanonen-, Raketen- und Satellitenpolitik. Die Dritte Welt, die Bevölkerungsmehrheit der Erde, steht als Zaungast draußen vor der Tür und hat klaglos in Empfang zu nehmen, was die Industriestaaten ihr bescheren werden. Antiprotektionismus, freie Märkte, das sind die Themen, die in Bonn verhandelt werden. Den Drittweltländern wird seit Jahren weisgemacht, hier lägen die Lösungen für ihre Schuldenprobleme. Freier Welthandel, die Öffnung der Märkte in Europa und den USA würden ihre Exportchancen derart steigern, dass sie mit den erwirtschafteten Devisen ihre Schulden ablösen könnten. Nichts von dem ist richtig.
Wer glaubt denn schon im Ernst, dass ein Exportland wie die Bundesrepublik strukturell ein Handelsbilanzdefizit gegenüber den Drittweltländern in Kauf nehmen würde, was die notwendige Folge höherer Importe aus diesen Ländern bedeuten würde? Ganz im Gegenteil, die Bundesregierung versucht, durch das protektionistische Mittel der Mischfinanzierung und Lieferbindung mit ihrer sogenannten Entwicklungspolitik die Absatzchancen der deutschen Industrie in der Dritten Welt zu steigern. Die Entwicklungsländer haben jüngst auf der Interimstagung des Internationalen Währungsfonds klargestellt, dass sie sich von den leeren Versprechungen offener Märkte nichts mehr erwarten. Deshalb haben sie eine neue GATT-Runde abgelehnt.
Und selbst wenn die Märkte tatsächlich geöffnet würden, der Masse der armen Bevölkerung in der Dritten Welt käme es nicht zugute. Schon heute sterben Hunderttausende, weil alle produktiven Kräfte in den Export gesteckt werden und für die Binnenmärkte nicht einmal das Lebensnotwendige übrigbleibt. …Das betrifft besonders die Landwirtschaft. Wo Schnittblumen statt Hirse, Baumwolle statt Sorghum angebaut werden, dort stimmen vielleicht die Exportquoten, doch die Bevölkerung verreckt, weil die Nahrungsmittel fehlen. Jeder weiß, ein Land, das sich nicht selbst ernähren kann, ist politisch tot, weil jederzeit erpressbar. Von daher steckt sogar eine höhere humanitäre Logik darin, wenn die brutale Auflagenpolitik des IWF, die den Exportzwang in den Entwicklungsländern exekutiert, offentlich scheitert. Die GRÜNEN werden deshalb verschiedene Kampagnen gegen den IWF mit unterstützen, z. B. das Tribunal und die Demonstrationen am 3. und 4. Mai in Bonn gegen diesen Gipfel.
Jeder wird verstehen, dass wir wissen möchten …, wie die Bundesregierung sich in dieser Frage exakt verhält. Dass sie zu den Hardlinern der Ausbeutung gehört, ist bekannt. Einer unserer Anträge läuft darauf hinaus, dass die Regierung regelmäßig vor diesem Bundestag Rechenschaft über ihre Politik im IWF und in den Institutionen der Weltbankgruppe ablegen soll.
Antiprotektionismus, so wie der Wirtschaftsgipfel ihn versteht, bietet nicht die Lösung für die Probleme der Dritten Welt. Es steht vielmehr zu befürchten, dass er als weitere Waffe gegen sie gerichtet wird. Die letzten Investitionshemmnisse in der Dritten Welt sollen niedergerissen werden, die heute noch große Teile der Bevölkerung gegen den Zugriff der multinationalen Konzerne, wenn auch unzulänglich, schützen. Der Weg soll bereitet werden nicht nur für die Verlagerung von Produktionsstätten aus den Industrieländern in die Dritte Welt, auch Dienstleistungen sollen auf dem Wege der Direktinvestitionen ausgelagert werden. Bald werden in den karibischen Staaten Tausende von angelernten Frauen zu Hungerlöhnen Texte abtippen, die über Standleitungen in die Zentralen der Konzerne zurücktransferiert werden. Die billigen Arbeitskräfte der Dritten Welt werden auch im tertiären Sektor ausgebeutet, während die Lohnarbeitslosigkeit in den Industriestaaten weiter steigen wird.
Die SPD hat durch ihre Große Anfrage diese Debatte dankenswerterweise mit zustande gebracht. Inhaltlich fallen Ihre Fragen aber weit hinter den Stand zurück, der im letzten Herbst durch unsere drei Anfragen erreicht worden war. (Diese Großen Anfragen hatte ich 1984 erarbeitet, konnte aber, da ich noch kein MdB war, damals nicht die entsprechende Rede halten, sondern schrieb die Reden für Kollegen.) Die Lösungsansätze, die sich hinter Ihren Fragen verbergen, bringen für die Drittweltländer keine qualitativen Veränderungen. Gewiss, der hohe Dollarkurs spielt eine wichtige Rolle in der Verschuldungsproblematik. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben unsere volle Zustimmung bei der Kritik der amerikanischen Haushaltspolitik, die so hemmungslos auf die fürchterliche Hochrüstung abgestellt ist. Aber hier liegt, was die Dritte Welt angeht, nicht der Kern des Problems. Der liegt in ihrer erzwungenen Ausrichtung auf den Export; und den wollen auch Sie grundsätzlich nicht beseitigen.
Ihr Konzept zur Schuldenkrise baut auf Umschuldungsverhandlungen, Herr Hauchler (SPD), die Sie, was die finanziellen Bedingungen angeht, etwas weicher gestalten wollen als die Bundesregierung. Doch das Prinzip bleibt dasselbe; das haben Sie ja auch heute öfters betont. Es werden im Grunde völlig faule Forderungen auf Kreditzurückzahlungen aufrechterhalten. Statt die uneinbringbaren Schulden zu streichen, was unser Plädoyer wäre, werden in Umschuldungsverhandlungen Auflagen durchgesetzt, die die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer zwangsweise auf den Weltmarkt ausrichten. Die bundesdeutschen Industrien bekommen durch diese Politik billige Rohstoffe, die Multis billige Arbeitskräfte und die Bundesregierung billige Argumente. Denn die Bundesregierung weiß sich im Grunde einig mit der größten Oppositionspartei. Auch Ihre Politik, werte Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, und wenn Sie sie noch sohuman abzumildern versuchen, verfestigt diese Weltwirtschaftsordnung, die die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht. Deshalb können wir Ihren Antrag leider nicht mittragen.
Wir, die GRÜNEN, sehen die Lösung nur in einem glatten Schnitt. Das Verschuldungsproblem ist nicht das einzige, aber das zurzeit dringendste. Wir fordern nach der Zwischenphase eines Schuldenmoratoriums den völligen Schuldenerlass, wobei die erlassenen Beträge von den Schuldnerländern in einheimischerWährung in nationale Entwicklungsfonds eingezahlt werden sollen…Sie sollen der Eigenfinanzierung von binnenorientierten Entwicklungswegen dienen, die auf die Grundbedürfnisse der armen Bevölkerungsschichten ausgerichtet sind. Dies ist unser Globalkonzept.
Wir haben dieses Konzept nun als Einstieg in Antragsform spezifiziert. Wir haben es konkretisiert für eine Region und eine Kreditform. Wir wollen, dass der ärmsten Weltregion überhaupt, den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, alle Schulden aus öffentlichen Entwicklungshilfezahlungen erlassen werden. Ich habe gelesen, dass der Kollege Holtz (SPD)die GRÜNEN dadurch übertreffen möchte, dass er die Streichung aller Entwicklungshilfeschulden für alle Länder fordert. Einen solchen Wettstreit kann ich nur begrüßen. Ich fürchte nur, dass Herr Holtz sich in seiner Partei nicht durchsetzen kann. Unsere Zustimmung hätte er, so wie ich hoffe, dass er unseren Antrag unterstützen wird.
Was die Koalitionsparteien angeht, möchte ich sagen: Herr Warnke (CSU, Entwicklungshilfeminister), Herr Stoltenberg (CDU, Finanzminister), Herr Bangemann (FDP, Wirtschaftsminister), Sie betonen ein ums andere Mal, dass die Drittweltländer noch größere Opfer auf sich nehmen müssten. Wie hoch, frage ich Sie, soll denn die Zahl der Opfer noch werden? Müssen noch mehr unproduktive Esser sterben, weil die Inlandsnachfrage gesenkt werden muss, damit noch mehr landwirtschaftliche Produkte in die ach so arme Europäische Gemeinschaft fließen können? Ich behaupte nicht, dass Sie Millionen Hungertote anstreben, doch Hungersnöte können nicht leichtfertig mit der Dürre erklärt werden. Dürren gab es in Afrika immer, aber die Menschen hatten die Mittel, sie zu bewältigen. Erst die Zerstörung der Landwirtschaften wegen ihrer Exportausrichtung bringt diese unglaublichen Katastrophen mit sich. Der Hunger wird von Menschen gemacht. Die Bundesregierung ist mitverantwortlich.
Herr Warnke und die anderen Herren von der Regierung, Entschuldungsprogramme sind ein erster wirksamer Schritt im Sinne der Entwicklungsländer, weil sie den Exportzwang beseitigen. Die Entschuldung Afrikas von Entwicklungskrediten ist machbar. Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen sind gegeben; die haben Sie selbst mitbeschlossen. Einigen afrikanischen Staaten wurden die Schulden bereits erlassen. Auch den anderen können sie erlassen werden; es kommt nur noch auf den politischen Willen an. Es dürfte denjenigen,… die an dem fragwürdigen „Tag für Afrika“, medienwirksam drei Scheine in die Klingelbüchse geworfen haben, schwerfallen, sich nun aus der Verantwortung zu stehlen. Sie werden nachweisen müssen, dass diese Geste nicht nur Teil eines Propagandarummels war. Afrika und die entwicklungspolitische Öffentlichkeit erwarten Ihre Antwort.