(Spätestens ab Mitte 2002 bereiteten die USA als sog. Phase zwei im Antiterrorkampf eine Militäraktion gegen den Irak vor. In der rot-grünen Regierungskoalition bestand Einigkeit, dass Deutschland nicht michtmachen würde. Am 13. Februar 2003 plädierte ich im Bundestag als außenpolitischer Sprecher der Grünen mit dieser frei gehaltenen Rede gegen einen Irak-Einsatz. BT-Drs. 15/25)
Wir reden heute hauptsächlich darüber, wie die UN-Resolution 1441 umgesetzt werden kann. Wir reden darüber, wie Saddam Hussein dazu bewegt und genötigt werden kann, endgültig abzurüsten. … Dennoch möchte ich einige Fragen aufwerfen. Ich möchte zum Beispiel die Frage aufwerfen, wie der Irak überhaupt ins Visier geraten ist. Damit verbunden ist die Frage: Warum ausgerechnet der Irak? Nach dem 11.September 2001 waren wir alle – einheitlich, ohne Zweifel, ohne Zögern – solidarisch mit den Vereinigten Staaten. Wir alle wussten – manchen Pazifisten fiel es schwer –, dass man auch militärische Mittel braucht, um den internationalen Terrorismus einzudämmen und niederzukämpfen. Es ging kein Weg daran vorbei, solche Mittel auch gegen das Taliban-beherrschte Afghanistan einzusetzen. Bis dahin gab es keinen Dissens. Aber dann begann die Diskussion über die Phase zwei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Dann wurden neue Ziele Gegenstand der Diskussion und eines dieser Ziele war plötzlich der Irak.
Wir haben schon damals die Fragen gestellt: Warum der Irak? Wo ist eigentlich der Zusammenhang zwischen dem Irak und dem internationalen Terrorismus? Dieser Zusammenhang ist nie nachgewiesen worden. Ich wundere mich wirklich, dass diejenigen, die meinen, dass der Irak ein Ziel bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus sein muss, nicht auf das vor kurzem bekannt gewordene Tonband eingegangen sind, das angeblich einen Aufruf von Bin Laden enthält. Warum wird das in dieser Diskussion verschwiegen? Das geschieht doch wohl deshalb, weil dieses Tonband eher eines beweist: Es gab keine Unterstützung von al-Qaida für den Irak; vielmehr hatten der arabische Nationalismus, für den der Irak steht, und der islamistische Fundamentalismus, für den Bin Laden steht, in der Vergangenheit nichts miteinander zu tun. Ich halte jede Sicherheitspolitik für verfehlt, die diese beiden – gleichermaßen problematischen – Stränge in Verbindung bringt und sie geradezu veranlasst, sich gegen uns zu verbünden. Eine solche Sicherheitspolitik ist nicht in unserem Interesse, sie ist nicht im europäischen Interesse und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie im amerikanischen Interesse ist.
Wir müssen doch alles daransetzen, dass die arabische Welt und der islamische Fundamentalismus auseinandergehalten werden. Deshalb frage ich mich, ob diese Sicherheitspolitik – sie begründet den geplanten Angriff auf den Irak mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus – eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in Gang bringt: die Zusammenarbeit – es hat sie vorher nicht gegeben – von Bin Laden und Saddam Hussein. Eine solche verhängnisvolle Entwicklung müssen wir verhindern. Es wird die für manche Pazifisten durchaus unbequeme Auffassung vertreten, dass man auch ein militärisches Bedrohungsszenario braucht, um einen Despoten wie Saddam Hussein in die Knie zu zwingen bzw. zu veranlassen, die ihm in internationalen Resolutionen aufgetragenen Verpflichtungen zu erfüllen. Man kann darüber streiten. Aber der Aufbau einer Drohkulisse impliziert auf jeden Fall zweierlei: Erstens muss man selbst bereit und willens sein, die Drohung auch umzusetzen. Wenn man sich dazu bekennt, kann man schlecht sagen: Wir selbst halten uns heraus und lassen andere kämpfen. Von daher muss man sich vorher Gedanken darüber machen, ob man den Weg einer Drohpolitik einschlägt. Wir waren von Anfang an skeptisch.
Der zweite Punkt in diesem Zusammenhang: Wenn die an Saddam Hussein gerichtete Drohung in dem Sinne effektiv sein soll, dass er wirklich abrüstet, dann muss ihm auch das Gefühl vermittelt werden, dass die Drohkulissen irgendwann wieder abgebaut werden. Wenn Saddam Hussein aber glauben kann, dass er auf jeden Fall angegriffen wird, stellt sich doch die Frage, wo für ihn der Anreiz zur Abrüstung liegt. Das ist vielmehr ein Anreiz zur Aufrüstung. Ich denke, dies gehört zu den Unklarheiten einer solchen Drohpolitik.
Der Inhalt der UN-Resolution 1441, auf die wir uns beziehen, ist klar: Sie hat die Abrüstung des Iraks zum Ziel. Es gibt aber viele kompetente Sprecher in und rund um die Administration in Washington, die andere Ziele verfolgen und auch nach außen hin propagieren. Sie propagieren nicht die Abrüstung des Iraks, sondern den Sturz des Diktators. Nun hat keiner von uns irgendwelche Sympathien für diesen Diktator; alle wären froh, wenn er weg wäre. Unter sicherheitspolitischen Aspekten braucht man aber klare politische Zielsetzungen, weil man sonst zu einer antagonistischen und widersprüchlichen eigenen Haltung kommt. Wenn Saddam Hussein den Glauben haben kann, dass es um seinen Kopf und nicht um die Abrüstung des Iraks geht, warum sollte er dann abrüsten? Wenn es um seinen Kopf geht, wird er die Waffen behalten und aufrüsten. Das ist eine der Unklarheiten, die sich bei einer Analyse dieser Drohkulisse ergibt.
Einige Kollegen haben argumentiert, wie richtig es damals war, mit dem NATO-Doppelbeschluss den damals noch gegnerischen Block durch Hochrüstung in die Knie zu zwingen. Ich will gar nicht darüber diskutieren, ob diese konservative Sicht der Dinge nicht auch etwas für sich hat. Aber dass es dann zur Abrüstung in beiden Blöcken kam, hing damit zusammen, dass die Drohpolitik, die mit atomarer Aufrüstung verbunden war, massiv an Rückhalt in der eigenen Bevölkerung verloren hatte. Der Ausdruck hiervon waren massenhafte Friedensdemonstrationen Diese wiederum waren in der Wahrnehmung der sowjetischen Seite mit ein Grund dafür, dass Gorbatschow zu dem Schluss kam, er könne abrüsten, ohne Gefahr zu laufen, gegenüber dem Westen in eine sicherheitspolitisch nachteilige Lage zu geraten. Auch Perzeption und Fehlperzeptionen sind Realitäten. Mit ähnlichen Fehlperzeptionen muss man bei Saddam Hussein und in der arabischen Welt rechnen.
Wir sind deshalb so froh, dass der Heilige Stuhl, der Papst, die katholischen Bischöfe und die EKD-Synode ein so klares Bekenntnis gegen den Krieg abgegeben haben. Das sind keine kleinen Gruppen schwärmerischer Friedensfreunde, das sind die wesentlichen Instanzen der christlichen Welt. Sie haben ihre Verantwortung in zweierlei Hinsicht wahrgenommen. Ich frage mich, warum die Partei, die das große C in ihrem Namen führt und sich christlich nennt, nicht zumindest aufmerksam wird, wenn der Heilige Stuhl so dramatische Mahnungen formuliert. Es gibt zum einen das moralische und das ethische Argument, dass ein Angriff auf den Irak ein massenweises Sterben der Zivilbevölkerung nach sich ziehen wird. Schon deshalb verbietet sich aus ethischen Gründen ein Angriff auf den Irak. Wir wissen, dass der Diktator, indem er seine Waffen in zivile Gebiete disloziert, mit dazu beiträgt, dieses Elend herbeizuführen. Aber da wir dieses wissen, können wir nicht mehr arglos so tun, als ginge es nur um militärische Ziele. Wir wissen heute, dass es Zehntausende von Toten und Millionen von Flüchtlingen geben wird. Das ist ethisch einfach nicht vertretbar.
Zum anderen hat der Heilige Stuhl deutlich gemacht, dass wir alles vermeiden müssen, was den Eindruck erweckt, es ginge hier um den fundamentalen Kampf der westlich-christlichen Welt gegen die arabisch-islamische Welt. Auch vor diesem Hintergrund – das ist die Rückmeldung aus allen arabischen Staaten – war es sinnvoll, notwendig und ein mutiger Akt, dessen Berechtigung sich jetzt wieder erweist, dass Frankreich und Deutschland von Anfang an gesagt haben: Wir beharren auf einer friedlichen Lösung; denn alles andere wäre in der Wahrnehmung – und sei es eine Fehlwahrnehmung, denn auch diese wäre Realität – der arabischen Welt so erschienen, als würde sich die gesamte westlich-christliche Welt gegen die arabisch-islamische Welt verbünden. Dann hätten wir den Kampf der Kulturen, den wir unbedingt vermeiden müssen. Auch auf diese Mahnung des Vatikans reagieren wir mit unserer Politik.
Wenn nun immer wieder die Blocklogik der 80erJahre zitiert wird, dann frage ich diejenigen, die so diskutieren, als ginge es hier um eine symmetrische Auseinandersetzung, um den Krieg zwischen Staaten, Blöcken oder Regionen: Wo ist denn heute der eine und wo der andere Block? Laufen Sie damit nicht in die Falle, indirekt den Kampf der Kulturen zu propagieren? Tun Sie dies nicht, wenn Sie sagen: Jeder, der nicht für uns ist, ist gegen uns; alle westlich-christlichen Staaten müssen zu einem bestimmten Fähnlein eilen? Besteht nicht genau dann die Gefahr, dass die anderen zu einem anderen Fähnlein eilen?
Deshalb frage ich mich: Wenn diese Blocklogik heute nicht mehr bedeutsam ist und nicht mehr wirkt, wenn wir heute völlig andere, asymmetrische Konfliktstrukturen haben, wenn es die erste Aufgabe ist, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, der durch Asymmetrie gekennzeichnet ist, warum dann dieser Rückfall in einen symmetrischen Staatenkrieg? Das ist Atavismus, ein Rückfall in eine längst überwundene Historie. Wir brauchen eine neue Sicherheitspolitik und eine friedliche Lösung für den Irak.