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(für eine Mail an alle Mitglieder von „Aufstehen“ formuliert; die Aussendung wurde von den Wagenknecht-Leuten, die Administratorenrechte besaßen, blockiert, Berlin, 18. März 2019)

Der Rücktritt von Sahra Wagenknecht am 9. März 2019 hat die Auflösung des politischen Vorstands der Sammlungsbewegung Aufstehen nicht eingeleitet, wie von ihr und manchen Medien behauptet, sondern besiegelt. Bereits Wochen zuvor, am 21. Februar haben wir – Marco Bülow, Ludger Volmer, Sabrina Hofmann, Hendrik Auhagen – als Vorstandskollegen durch ein Memo intern im Vorstand Alarm geschlagen. Es ging um die Blockade unserer Arbeit durch den Trägerverein von Aufstehen und seine Beauftragten sowie die massive Denunzierung und Beleidigung von Mitgliedern des Vorstandes und Arbeitsausschusses durch Mitarbeiter, die für technische Aufgaben (Website, Mail-Adressen) zuständig waren. Mangels Erfolgs unserer Initiative haben wir durch ein Schreiben an den 25-köpfigen Arbeitsausschuss, das übergeordnete Organ, am 26. Februar erklärt, die Arbeit ruhen zu lassen. Das war noch kein Rücktritt, sondern ein Moratorium. Es diente dem Ziel, eine endgültige Auflösung der Blockaden zu erzwingen. Sahra Wagenknecht hat sich ohne Vorabinformation von uns Kollegen direkt an die Öffentlichkeit gewandt – wenige Tage vor der von uns verlangten und bereits verabredeten bereinigenden Krisensitzung. Bei allem persönlichen Verständnis wegen ihrer Überlastung und allen besten Wünschen für ihre Gesundheit – dieser Schritt fixierte letztlich eine Richtungsentscheidung für die Bundesebene, die wir fatal fanden und nicht mittragen konnten.

Für die Bereinigungssitzung, die am 13. März 2019 abends hätte stattfinden sollen, gab es keine Grundlage mehr. Denn bereits am Nachmittag dieses Tages hatte der Trägerverein eine handverlesene Schar der insgesamt etwa 100 Initiatoren von Aufstehen eingeladen, um ohne Verständigung mit dem politischen Vorstand und dem Arbeitsausschuss in den strittigen Fragen Fakten zu schaffen. Strittig waren insbesondere die Zugänge zu den Knotenpunkten der bewegungsinternen Kommunikation (Website, Mail-Adressen) sowie die Frage, auf welchem Wege Personen zum Aufbau regionaler Strukturen gewonnen werden sollten – von unten durch Selbstorganisation der Basis oder durch Einsetzen „vertrauenswürdiger Personen“ von oben. Sahra Wagenknechts Rückzug kam faktisch einer Bestätigung für die eigenmächtigen Manöver des Trägervereins gleich, auch wenn sie eher getriebene als treibende Kraft war. Danach blieb uns anderen nur noch der definitive Rücktritt und politische Abgang.

Im Prinzip ging es bei dem Streit zwischen politischem Vorstand und Trägerverein darum, ob Aufstehen eine sich von unten frei entfaltende, parteiunabhängige Bewegung mit offener strategischer Zielsetzung oder eine politische Vorfeldorganisation einer bestimmten Strömung der Partei Die Linke sein sollte. Der Streit drückte sich seit Monaten darin aus, dass die Umsetzung von Entscheidungen des pluralistisch besetzten politischen Vorstandes durch den Trägerverein der Bewegung – dominiert von Mitgliedern und erklärten Anhängern der Linkspartei – blockiert wurde. Ein Beispiel bietet die Massenmail zu Sahra Wagenknechts Rückzug. Während der Vorstand oft wochenlang dafür kämpfen musste, dass seine ordentlichen Beschlüsse der Basis kommuniziert wurden, wurde ihre Botschaft sofort versendet. Der Grund lag darin, dass fast alle Schlüsselpositionen der Bewegungskommunikation ebenfalls von Linkspartei-Mitgliedern und Sympathisanten besetzt waren oder kontrolliert wurden. Dort und im Trägerverein entstand mit der Zeit eine destruktive Gemengelage sich überschneidender Motive: ein zur Geltungssucht übersteigertes Verantwortungsgefühl einzelner Akteure, strategische Manöver einer Strömung der Linkspartei, sektiererisches Anhimmeln von Sahra durch ihre Boyfans. Reformversuche des politischen Vorstandes scheiterten regelmäßig am Trägerverein, der aus angeblich datenschutzrechtlichen und finanziellen Gründen Änderungen blockierte.

Dabei sollte auf Beschluss des Arbeitsausschusses – um die Jahreswende herum – der in der Gründungsphase spontan gebildete provisorische „Arbeitsstab“ durch einen vorläufigen politischen Vorstand im Rahmen eines neuen Statuts ersetzt werden und der Bewegung im Übergang von der Gründungs- in die Konsolidierungsphase professionellere Strukturen geben. Bereits dazu war ein erheblicher Kraftakt vonnöten gewesen, bei dem auch die Frage gestellt wurde, ob die strategischen Vorstellungen der wichtigeren Akteure überhaupt zusammenpassten. Bei dieser Strukturbatte wurde zwar von allen Seiten betont, dass der Trägerverein lediglich eine dienende Funktion habe, nämlich der Bewegung den Status eines Rechtssubjektes zu geben und Fundraising zu betreiben. Dass diese Definition nicht in den Statuten fixiert wurde, stellte sich als entscheidender Fehler heraus. Denn der Trägerverein reklamierte in der Folge trotz gegenteiliger Beschlüsse ausdrücklich eine „Gesamtverantwortung“, aus der er faktisch das Recht zur Blockade des Vorstandes ableitete.

Bei einem Krisengespräch kurz nach Weihnachten wurde darauf gedrungen, dass Sahra Wagenknecht, die sich sträubte, dem neuen politischen Vorstand angehören müsse. Als pluralistisches Kollegialgremium mit erklärter Äquidistanz zu allen Parteien sollte der Vorstand demonstrieren, dass Sahra Wagenknecht zwar das wichtigste Gesicht der Bewegung nach außen sei, Aufstehen aber eben nicht die „Bewegung von Sahra Wagenknecht“ war, wie es in den Medien oft dargestellt wurde: Wertschätzung ja, Alleinvertretung nein, deshalb Einbindung in ein Kollegialgremium.

Das Verhältnis von politischem Vorstand und Trägerverein sollte auf Beschluss des Arbeitsausschusses dadurch geklärt werden, dass der zahlenmäßig kleine Trägerverein seinen Vereinsvorstand neu wählte und dazu die etwa 25 Personen des Arbeitsausschusses als Wahlberechtigte einlud. Ziel war es, eine weitgehende Personalunion von Vereins- und politischem Vorstand herzustellen und so den Trägerverein politisch zu neutralisieren. Der Trägerverein missachtete diesen Beschluss jedoch, wechselte ohne breite Einladung einzelne Personen in seinem Vorstand aus und verstärkte seine Blockadepolitik bis zu offener Sabotage.

Der Rücktritt von Sahra Wagenknecht aus dem politischen Vorstand unter dem Vorwand, die Basis wolle keine Politprofis an der Spitze, ergab unter diesen Umständen folgende Struktur: Ohne pluralistisch-kollegialen politischen Vorstand kontrolliert der Trägerverein über gezielt eingesetzte Personen die bewegungsinterne Kommunikation und Außendarstellung; darüber schwebt kraft ihrer öffentlichen Bedeutung Sahra Wagenknecht quasi als Präsidentin und Exegetin linker Politik. Statt durch Selbstorganisation der Basis von unten soll die Regionalisierung durch Kader von oben strukturiert werden. Die Bewegung soll erstarken, zugleich aber darf sie keine Konkurrenz zur Partei Die Linke werden. Faktisch wird Aufstehen so von einer Sammlungsbewegung mit Äquidistanz zu allen Parteien zur Vorfeldorganisation einer Strömung der Linkspartei.

Die von Sahra Wagenknecht öffentlich beklagte Funktionsunfähigkeit des Vorstandes ist übrigens – neben der Blockade durch den Trägerverein – auf Entscheidungen zurückzuführen, für die sie selbst eine nicht unerhebliche Verantwortung trägt. Ein deutliches Wort an ihre Boyfans etwa hätte deren denunziatorische Ausfälle stoppen können.

Wichtiger noch: Der unprofessionelle Umgang mit einer Dienstleistungsagentur für die interne und externe Kommunikation von Aufstehen kostete fast das gesamte bis dahin gesammelte Geldvermögen (70.000 €), das folglich für die operative Arbeit, etwa eine Geschäftsführung oder die Finanzierung von Treffen und Kampagnen, fehlte. Die Agentur hatte sich zunächst mit der Beteuerung angedient, kostenlos auf Solidaritätsbasis zu arbeiten, und hat dann – als ein wohl erhoffter kommerziell lukrativer Langfristauftrag ausblieb – plötzlich eine hohe Rechnung für ihre Aktivitäten präsentiert. Zudem besaß sie die Rechte an allen wichtigen Daten und Instrumenten, und als Gipfel der Absurdität gehörten Vertreter der Agentur dem Trägerverein an und konnten so nach dem Zerwürfnis die Arbeit von Aufstehen wochenlang lahmlegen. Wohlgemerkt: die Vereinbarung mit der Agentur wurde durch S.W. lange vor der offiziellen Gründung von Aufstehen getroffen und der Bewegung als Erbe aufgebürdet.

Verhängnisvoll war auch die Weigerung, zu der Großdemo „Unteilbar“ aufzurufen. Zweifellos gab es dort Organisationen, von denen man sich abgrenzen muss wie rechtsgerichtete Islamverbände. Doch war es falsch, diesen das Feld zu überlassen und zugleich die Anschlussfähigkeit an die linksliberalen Kritikerströme unserer Gesellschaft aufs Spiel zu setzen. Ein Aufruf mit eigenem Text, der auch die Indifferenz des Linksliberalismus gegenüber sozialen Problemlagen kritisierte, wäre die Lösung gewesen, fand aber keine Mehrheit im damaligen „Arbeitsstab“. Tausende Mitglieder von Aufstehen sind trotzdem – eingereiht bei anderen Organisationen – mitgegangen, u.a. ich selbst. Wir konnten den fatalen öffentlichen Eindruck, Aufstehen sei nicht dabei, durch geschickt inszenierte Fotos kaschieren. Ein ungutes Gefühl blieb trotzdem. Eine Politik, die für neue Mehrheiten sammeln will, kann – bei aller Kritik an deren Beschränkung auf formale Rechts- und Demokratiefragen – nicht auf die linksliberale Mitte der Gesellschaft verzichten. Und sie darf sich nicht dem Missverständnis hingeben, aktive Bündnispolitik sei durch gute Talkshow-Auftritte zu ersetzen.

Wie geht es weiter?

Die Arbeit der Redaktionsgruppe für eine Art „Regierungsprogramm“ von Aufstehen hat bewiesen, dass es keine unüberwindbaren inhaltlichen Differenzen gibt. Zumindest dann nicht, wenn man aus der Irrtums- und Leidensgeschichte der Linken gelernt hat, dass ein gemeinsames Eintreten für die zweitbeste Lösung aussichtsreicher ist als der heldenhaft scheiternde Kampf für die eigene Lieblingsidee. Einhundert Jahre nach dem Schisma der Linken ist ein Annäherungsprozess der verschiedenen Traditionen überfällig. Anders lässt sich die Hegemonie der Neoliberalen und Neokonservativen sowie deren neu-rechten Alternativen nicht überwinden. Leider haben die linkeren Parteien SPD, Grüne und Die Linke die Chance nicht erkennen wollen, die in Aufstehen liegt. Sie deshalb zu kritisieren, ist zwiespältig. Denn sie haben nicht um Unterstützung gebeten. Sie dürfen sich aber nicht wundern, wenn im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung nun aus der Bewegung politische Konkurrenz erwächst. Allerdings nicht so, wie sie vom Trägerverein geplant wird. Die Ängstlichkeit und Schwäche der SPD, das Kaputtgelobtwerden der Grünen als neuer Hoffnungsträger der bürgerlichen Mitte und die Verbalradikalismen und Dogmatismen der Partei Die Linke können nicht durch ein Projekt Die Linke 2.0 kompensiert werden. Die Stellung der eigenen Strömung in einer Partei zu stärken, die insgesamt dem Niedergang entgegensieht, ist keine überzeugende Strategie. Eine eigenständige „Liste Wagenknecht“ übrigens dürfte nicht weit genug über die 5% hinauskommen.

Deshalb: Wiedervorlage nach der nächsten Bundestagswahl! Wenn die SPD bei 18% hängen bleibt, Die Linke selbst von der GroKo nicht profitiert und die Grünen jubelnd zu AKK überlaufen, um die Verschönerung des bürgerlichen Lebens mitzugestalten, dann ist Raum und Zeit für eine neue Sammlungsinitiative. Eine ungerichtete Bewegung ist dann jedoch zu wenig. Dann müsste sich – so meine ganz persönliche Meinung – eine neue Partei gründen, eine radikalreformistische, sozialökologische Partei, ohne Sektierer, Stalinisten und Heiligenverehrer, die ein neues Kraftfeld definieren kann, das die Zerfallsprodukte der linken Traditionsparteien ebenso aufsaugt wie die von Schwarz-Grün enttäuschten Grün-Alternativen und viele Bewegungsaktivisten, die einsehen, dass ein parlamentarischer Arm hilfreich sein könnte. Denn wenn man Druck auf die Parteien im Bundestag ausüben möchte, ist es dann nicht nahe liegend, dort besser selbst vertreten zu sein? SPD, Grüne, Die Linke haben sich mit ihrer aggressiven Abwehr von Aufstehen selbst unter Beweiszwang gesetzt. Sie werden scheitern. Das Spaltungsargument, das sie gegen Aufstehen vorgebracht haben, wird jedenfalls völlig absurd, wenn sie ihr Versagen erneut bewiesen haben werden. Und aus dem Reservoir, das 2018/19 aufgestanden ist, wird Neues entstehen.