Zum 40-jährigen Jubiläum führte die Redaktion der „Bochumer Studentenzeitung“ (BSZ) mit mir, dem Chefredakteur von 1979, ein Interview. Hier die leicht redigierte Transkription und das Editorial; veröffentlicht in der BSZ im Juni 1997

Ludger Volmer hat in den 1970er Jahren an der Ruhr-Universität Bochum studiert und wurde 1979 Chefredakteur der „Bochumer Studentenzeitung“ BSZ. Im selben Jahr gründete er die Partei die Grünen mit, die er später auch im Bundestag vertrat. Er übte bis zum Jahr 2005 verschiedene Ämter aus, etwa als Staatsminister im Auswärtigen Amt und Sprecher des Bundesvorstandes der Grünen, und prägte das Profil der Partei. Heute ist er als Berater selbstständig und Dozent für Außen- und Sicherheitspolitik an der Freien Universität Berlin. Die BSZ hat mit ihm über seine Zeit an der Ruhr-Uni und die heutige Studentengeneration gesprochen.

BSZ: Herr Volmer, wie kamen Sie zur BSZ?

LV: Dazu ist es wichtig, einen Blick auf die damalige politische Situation an der Uni zu werfen. Nach dem Jahr 1968 wurde der AStA einige Zeit von linken Gruppierungen gestellt, dann allerdings in den siebziger Jahren wieder von Konservativen wie dem RCDS übernommen. Anfang der Siebziger gründeten sich K-Gruppen, die es aber nicht schafften, die Konservativen wieder rauszukegeln. Gemeinsam mit Freunden gründete ich dann ab 1975 die „Basisgruppen“, die sich als undogmatisch und links verstanden. Darauf hatten die Leute offenbar gewartet, denn 1977 gewann die „Fachschaftsliste“, auf der auch K-Gruppen zur Wahl angetreten waren, sofort den AStA. Aufgrund der inneren Widersprüche zerbrach dieses Bündnis bald, und im nächsten Jahr zogen die Konservativen wieder in den AStA ein. 1979 haben ich und andere dann großen Wert daraufgelegt, dass die Basisgruppen allein antreten, und so gewannen wir den AStA zurück, als stärkste Kraft in einer Koalition mit Jusos, Jungdemokraten und MSB Spartakus. Ich hätte damals auch AStA-Vorsitzender werden können, entschied mich aber dafür, Chefredakteur der BSZ zu werden.

BSZ: Links und undogmatisch, was bedeutete das damals?

LV: Wir sahen uns als Nachfolger der außerparlamentarischen Opposition und der Bewegung von 1968, lehnten aber, anders als die K-Gruppen, dogmatische Positionen ab und bezogen uns weder auf Moskau noch auf Peking.

BSZ: Wie sah der Alltag in der BSZ aus?

LV: Wir haben Schreibmaschine geschrieben, es gab noch keine Computer. Korrekturen wurden mit Tipp-Ex gemacht, manchmal wurden ganze Passagen neu geschrieben und auf den Artikel geklebt. Die Seiten wurden dann montiert, also die Artikel arrangiert und aufgeklebt, und Karl-Heinz Lehnardt, mit dem ich gut befreundet war, hat dann mit dem Lineal Kästen drumherum gezogen. Die ersten Ausgaben wurden sogar noch im Bleisatz gedruckt, wenig später dann mit Fotosatz. Nach Fertigstellung wurde mit den Druckern angestoßen.

BSZ: War die BSZ eine feste Größe auf dem Campus?

LV: Ja, neben den vielen Flugblättern fiel sie positiv auf. Die BSZ war auf jeden Fall sehr wichtig für den politischen Diskurs an der Uni und galt als eine der besten Studentenzeitungen Deutschlands. Das lag auch daran, dass wir damals noch ein allgemeinpolitisches Mandat hatten, uns also zu allen gesellschaftlich relevanten Themen äußern konnten. Ob ökologische Bewegung, die Bewegung gegen Atomkraft oder der kritische Rückblick auf die 68er, wir haben über das alles berichtet.

BSZ: Heute scheint es außer zu Wahlkampfzeiten kein großes Interesse an Hochschulpolitik zu geben. War das früher genauso?

LV: Nein, es gab zahlreiche Vollversammlungen, Aktionen und Veranstaltungen. Es wurde zum Beispiel viel über Solidarität mit der „Dritten Welt“ diskutiert, über den Befreiungskampf afrikanischer Länder oder in Lateinamerika. Auch die Anti-AKW-Bewegung war sehr wichtig. An der Ruhr-Universität wurde zum Beispiel das „Atombüro“ gegründet, das wissenschaftliche Kritik an der Atomkraft lieferte.

BSZ: Sie haben die Kolumne „Unsymp der Woche“ ins Leben gerufen, die es noch lange nach Ihrer Zeit gab. Worum ging es da?

LV: Nach dem Deutschen Herbst 1977 antwortete der Staat mit umfassenden Repressionen gegenüber Linken. Wer links war, galt sofort als „Sympathisant“ der Terroristen. Deshalb haben wir in jeder Ausgabe der BSZ über einen „Unsymp der Woche“ beschrieben, der diese Repression verkörperte.

BSZ: Im Jahr 1998 sind Sie von der BSZ selbst zum „Unsymp“ gemacht worden. Haben Sie das gewusst?

LV: Ja, mein Professor Wilhelm Bleek bei den SoWi‘s (Volmer promovierte zu dieser Zeit an der Ruhr-Uni, Anm. d. Red.) kam auf mich zu und wedelte jubelnd mit der entsprechenden Ausgabe. Ich fand toll, dass ich anscheinend noch erwähnenswert war. Es ging in der Kolumne um den Atomausstieg. Allerdings wussten die Autoren wohl nicht, dass mein AStA die Bewegung gegen AKWs selbst mit stark gemacht hatte.

BSZ: Vermutlich wussten sie das doch.

LV: Dann haben ihnen vielleicht einzelne Positionen nicht gepasst. Der Artikel erschien zur Zeit der Koalitionsverhandlungen mit der SPD.

BSZ: Die Grünen haben sich in den letzten 30 Jahren verändert. Einige Mitglieder haben die Partei verlassen. Was würden Sie zu Oswald Metzger sagen, der im April zur CDU gewechselt ist?

LV: Dass er fünf Jahre zu spät ausgetreten ist.

BSZ: Und zu Rüdiger Sagel, der zur Linken übergetreten ist?

LV: Dass er fünf Jahre zu spät ausgetreten ist.

BSZ: Herr Volmer, Sie sind Heute selbst Dozent. Sind die Studierenden anders als früher?

LV: In meinem Seminar bin ich zufrieden mit der Qualität der Beiträge. Die Verbissenheit und der Aktivismus der Siebziger sind weg. Die Studenten haben aber auch weniger sehr konservative Dozenten; denn die Studenten der Sechziger und Siebziger sind schließlich die Dozenten von heute. Ich finde, die Studenten könnten gern kritischer sein. Manchmal breche ich sogar selbst eine Debatte vom Zaun, damit etwas ins Rollen kommt. Die radikalsten Redner sind dabei leider nicht unbedingt auch die klügsten. Insgesamt halte ich es für wichtig, dass Studenten immer wieder den Mainstream kritisch hinterfragen.

BSZ: Hätten Sie sich damals vorstellen können, dass es an der Ruhr-Uni einmal Studiengebühren und Bachelor – Masterstudiengänge geben würde?

LV: Damals ging es vor allem um ein neues Hochschulrahmengesetz. Die Debatte über Studiengebühren wurde durchaus schon geführt, nur konnten wir das immer abwehren. Es setzte sich am Ende doch immer die Idee einer Uni durch, die auch für sozial Benachteiligte offen ist. So etwas wie Bachelor und Master war noch nicht im Gespräch, aber es wurde eine abstrakte Debatte darüber geführt, ob das Studium eher zur kritischen, allgemeinen Bildung da sein sollte oder zur konkreten Vorbereitung auf den Beruf. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in der jetzigen Situation noch einmal studieren wollte.

BSZ: Und wie sehen Sie die Entwicklung an den Hochschulen Heute? Studiengebühren zum Beispiel?

LV: Ich habe mit Hochschulpolitik eigentlich nichts mehr zu tun.

BSZ: Mittlerweile haben Sie sich aus der Politik zurückgezogen. Haben Sie einfach keine Lust mehr?

LV: Kurz gefasst, ja. Nach fast 40 Jahren politischen Engagements, darunter 25 Jahre als Profi, reicht es irgendwann. Und die Strukturen und führenden Leute bei den Grünen gefallen mir nicht mehr.

BSZ: Jetzt arbeiten Sie als Berater. Wen beraten Sie?

LV: Vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die nachhaltige und Umwelt-Technologien etablieren möchten. Es ist häufig so, dass solche Technologien zwar in Deutschland entwickelt, hier aber nicht richtig nachgefragt werden. Das liegt unter anderem an den deutschen Managern, die für Fragestellungen außerhalb der Betriebswirtschaftslehre blind zu sein scheinen.

BSZ: Sie haben 1990 die NGO WEED (World Economy, Ecology, Development) mitbegründet, die auch zu den Themen Nord-Süd- und Ökologiepolitik arbeitet. Wie könnten Nahrungsmittel, die gerade immer teurer werden, dort landen, wo sie gebraucht werden?

LV: Da sollen sie eben nicht landen, das ist ja das Problem. Produkte sollen nicht dorthin exportiert werden, wo sie gebraucht werden, sondern Länder der Dritten Welt sollten sie selbst produzieren können. Es muss Schluss sein mit Subventionen für EU-Produkte, dafür sollten Strukturen vor Ort finanziell unterstützt werden, damit sie unabhängig sein können. Hoch verschuldete Dritte-Welt-Länder werden immer noch gezwungen, für den Export zu wirtschaften, um Kredite bedienen zu können. So können sie aber nicht in den Eigenbedarf investieren. Da läuft vieles in die falsche Richtung, auch in der deutschen Politik. WEED wurde übrigens gegründet, nachdem wir 1988 heftige Proteste gegen die Jahrestagung von Weltbank und IWF in Westberlin organisiert hatten. Ich habe damals die Kampagne zum Schuldenerlass maßgeblich mitorganisiert, und viele Inhalte wurden später von Attac aufgenommen.

BSZ: Hat Ihnen die Arbeit bei der BSZ eigentlich später etwas gebracht?

LV: Ich habe das immer sehr gerne gemacht. Natürlich habe ich handwerklich etwas gelernt, vor allem, Texte rechtzeitig fertig zu stellen. Wissenschaftler haben damit oft ein Problem. Sie liefern etwas zwei Wochen zu spät ab und wundern sich dann, warum es nicht genügend beachtet wird.

BSZ: Eine letzte Botschaft, die Sie der Bochumer Studierendenschaft mitteilen möchten?

LV: Seid nicht so kritisch gegenüber der Exzellenzinitiative. Es liegt nahe, sie zu kritisieren. Aber auch an der FU habe ich gemerkt, wie der Kampf um Exzellenz die Qualität erhöht, und das ist ja nichts Schlechtes. Ich würde mich freuen, wenn die Ruhr-Uni in gutem Licht dastehen würde. Und einen Satz solltet ihr immer kritisch überprüfen: „Die Hochschule als Ort der Vernunft ist tot.“  Dies war der letzte Satz meiner hochschulpolitischen Laufbahn und auch der letzte Satz, den ich in der BSZ geschrieben habe. Ich meinte damit: Raus aus der Uni, rein in die Bürgerinitiativen und Bündnisse.